SPD vor Sonderparteitag:Das rote Wunder vom Schwielowsee

Seit der Nominierung von Franz Müntefering zum Parteichef ist es ruhig geworden in der SPD. Erstaunlich genug - doch das wird sich bald ändern. Auf dem Sonderparteitag am Samstag wird die Partei aus dem Erholungsschlaf aufwachen.

Thorsten Denkler, Berlin

Wenn in lärmenden Zeiten Stille etwas Wundergleiches ist, dann ist mit der SPD ein Wunder geschehen. Ruhe ist eingekehrt. Eine gar wundersame Ruhe. Das ist bei einer Partei, die zuvor monatelang durch den Höllenlärm des Fegefeuers trieb, schon die halbe Rettung.

SPD vor Sonderparteitag: Und über allem schwebt Willy: Der designierte Kanzlerkandidat Steinmeier (re.) stellt den designierten Parteichef Müntefering vor.

Und über allem schwebt Willy: Der designierte Kanzlerkandidat Steinmeier (re.) stellt den designierten Parteichef Müntefering vor.

(Foto: Foto: dpa)

Dabei hat sich im Grunde nicht viel geändert. Kurt Beck ist zurückgetreten. Franz Müntefering wird an diesem Samstag in Berlin zu seinem Nachfolger gewählt werden. Es scheint als habe dieser Schritt gereicht, die tiefen Risse zwischen Reformern und Bewahrern, die seit Jahren die Partei beschäftigt haben, zu kitten.

Als Franz Müntefering kürzlich sein Buch vorstellte, da sagte er Sätze wie, es stehe ein "starkes Team" hinter ihm oder dass die SPD die "Meinungsführerschaft" im Land übernehmen werde oder dass er noch lange Parteivorsitzender bleiben wolle.

Niemand im Raum, der widersprochen hätte, auch weil nachher kein Genosse aufzutreiben gewesen wäre, der widersprochen hätte. Wäre es Kurt Beck gewesen, der da gesessen hätte, ein Raunen wäre durch den Saal gegangen, manche hätten vielleicht geprustet und gelacht, so unverstellbar wären solche Sätze aus dem Mund des Pfälzers gewesen.

Die SPD, so scheint es, hat sich aus einem hässlichen Raupenstadium in einen Kokon geflüchtet, in dem sie sich erholt und neu aufgestellt hat. An diesem Samstag will sie den Kokon als Schmetterling verlassen und dem Wähler wieder eine ernstzunehmende Alternative sein.

Besser kann es auch kaum laufen. Die Finanzkrise hat linke, sozialdemokratische Themen wieder in Mode kommen lassen. Der Raubtierkapitalismus wird von vielen kritisiert. Aber nur die SPD hat Finanzminister Peer Steinbrück, der in den Augen der Menschen das Land ruhig aber kraftvoll durch die Krise führt.

Die Union hat da niemanden. Und die Linke nur Lafontaine, der im Moment auch nicht mehr zu tun weiß, als Steinbrücks Rettungspaket im Grundsatz zu unterstützen und ansonsten darauf hinzuweisen, dass er ja schon immer vor solchen Krisen gewarnt hat.

Und dann ist da ja noch Frank-Walter Steinmeier, der Bundesaußenminister, der noch vor Münteferings Wahl zum Parteichef von Delegierten in geheimer Wahl zum Kanzlerkandidaten der SPD für 2009 gekürt wird.

Noch konnte er sich in der neuen Funktion nicht so recht zur Geltung bringen. Aber sobald die drohende Rezession um sich greift und zum existentiellen Problem für die Bürger wird, erwarten die Menschen, dass Steinmeier Lösungen präsentiert. Kaum jemand, der Zweifel daran hat, dass Steinmeier das hinbekommen wird.

So aufersteht mit Steinmeier, Müntefering und Steinbrück die alte Troika-Idee der SPD. Zweimal gab es dieses Konstrukt schon. Erstmals waren es Willy Brandt, Helmut Schmidt und Herbert Wehner, die sich aber gegenseitig das Leben schwermachten. Es folgten zur Wahl 1994 Oskar Lafontaine, Gerhard Schröder und Rudolf Scharping. Ein Trio, das wohl nie mehr war, als ein unglücklich pointierter und vor allem erfolgloser Mediengag.

Und jetzt eben Steinmeier, Müntefering und Steinbrück. Die drei haben den entscheiden Vorteil, dass sie sich gegenseitig respektieren und keiner dem anderen seinen Posten neidet. Steinmeier hätte Parteichef werden können, er wollte nicht. Er wollte Müntefering.

Steinbrück weiß, dass er mit seinem Hang zur gezielten Provokation als Parteichef nicht taugt und dass seine Massenkompatibilität nicht ausgeprägt genug ist, um Kanzler zu werden. Müntefering wiederum hält den Parteivorsitz ohnehin für das schönste Amt der Welt "außer Papst".

Auch die Rollenverteilung ist klar geregelt. Wenn Steinmeier morgen spricht, wird er ein Rede an die Nation halten. Wenn Müntefering ans Mikrofon tritt, wird er eine Rede an die Partei halten. Und sollte Steinbrück in der Aussprache wie geplant noch das Wort ergreifen, dann wird er sich als Retter des Finanzplatzes Deutschland feiern lassen können.

Kurt Beck hat die Partei noch als oppositionellen Rammbock gegen die von der SPD mitgetragene Regierung aufgestellt. Müntefering will die Regierung ihren Job machen lassen. "Die Partei ist stark, wenn sie die Himmelsrichtung angibt, aber sich nicht in die Details des Regierungshandelns einmischt", sagt er. Und sieht sich und die Partei im kommenden Wahlkampf als "Diener" des Kanzlerkandidaten Steinmeier. So offensiv hat kaum ein erfahrener Koch zuvor die Rolle des Kellners an sich gerissen.

Das nahezu Unglaubliche aber ist: Die Partei folgt. Seit Becks Demission ist kein Murren, kein Mucken mehr zu hören. Die vorher tiefzerstrittenen Parteiflügel scheint ein Ziel zu einen: den wieder möglich gewordenen Wahlsieg zu erreichen. Wenn diese neue Geschlossenheit anhält, dann wird es tatsächlich ein spannender Wahlkampf. Und auch das grenzt irgendwie an ein Wunder.

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