SPD:Verzagte Volkspartei

Der Kleine-Leute-SPD geht es wieder besser. Doch noch immer traut sich die Partei nicht, auch Wähler außerhalb ihrer Kernklientel zu umwerben. Sie riskiert, das Feld den Grünen zu überlassen - und verzichtet auf den Anspruch, Volkspartei zu sein.

Susanne Höll

Vor gerade mal einem Jahr prophezeiten nicht wenige Auguren der SPD den Untergang. Sie werde sich nach der katastrophalen Niederlage bei der Bundestagswahl radikalisieren, sich mit der Linkspartei vereinigen und jedwede Regierungsambitionen für Jahre aufgeben. Nichts davon ist Wirklichkeit geworden.

Sigmar Gabriel

SPD-Chef Sigmar Gabriel zu Besuch bei seinen Stammwählern - beim Bauriesen Hochtief.

(Foto: AP)

Im Gegenteil: Die in ihren Grundfesten erschütterten und von erbitterten Flügelkämpfen ausgezehrte SPD brachte seither ein Projekt auf den Weg, an dem sich Union und FDP grundsätzlich ein Beispiel nehmen sollten. Die SPD hat ein Konzept für eine Steuerreform erarbeitet, die dankenswerterweise darauf verzichten würde, den Menschen bis in die Reihen der Spitzenverdiener hinein unbezahlbare Entlastungen zu versprechen. Stattdessen will sie all jene unterstützen, die bei klassischen Fiskalreformen leer ausgehen: die Geringverdiener, die gar keine Steuern zahlen, sondern unter der Last der Sozialabgaben leiden.

Zur Wahrheit gehört zwar auch, dass die SPD die Mehreinnahmen aus diesen Steuererhöhungen theoretisch am liebsten mehrfach ausgeben würde, für Ganztagsschulen, notleidende Kommunen, den Schuldenabbau und Entlastungen. Aber der Ansatz ist richtig.

Die SPD hätte also zu Beginn dieses Jahres durchaus Grund zur Freude und zu Selbstbewusstsein. An Letzterem mangelt es dem Vorsitzenden Sigmar Gabriel zwar bekanntlich nicht. Aber das unter seiner Führung entstandene Arbeitsprogramm für das Wahljahr 2011 beweist, dass die SPD noch immer unter Verzagtheit leidet. Ansonsten würde sie sich nicht darauf beschränken, um jene zu werben, die man früher einmal die kleinen Leute genannt hätte, Arbeitnehmer mit niedrigen oder bestenfalls durchschnittlichen Einkommen. Für hoch bezahlte Facharbeiter, Freiberufler, mithin das gut situierte Bürgertum bietet die Gabriel-SPD jenseits der Verheißungen einer Bildungsoffensive und mehr direkter Demokratie kaum etwas an.

Nun hat man den Sozialdemokraten in ihren Regierungsjahren oft genug vorgeworfen, sich nicht genug um genau diese kleinen Leute zu kümmern. Ohne Unterstützung dieser klassischen Klientel hat die SPD keine Aussicht auf Wahlerfolge. Doch allein mit deren Stimmen wird sie auch keinen Bundeskanzler stellen. Es scheint, als hätten die Sozialdemokraten den Wettbewerb mit ihrem erklärten politischen Lieblingspartner, den Grünen, um ganze Wählerschichten vorerst aufgegeben. Das freilich würde bedeuten, dass sie auch auf den Anspruch verzichtet, eine Volkspartei zu sein.

Mag sein, dass die SPD in den nächsten Jahren an Zutrauen gewinnen und über Themen diskutieren kann, die in diesem Jahr bei ihr keine große Rolle spielen werden - über Freiheit als Bürgerrecht etwa und über die Grenzen der Freiheit in der digitalen Welt. Gelingt ihr dies nicht, wird der SPD, die so gern als Kraft des gesellschaftlichen Fortschritts verstanden werden will, der ungute Geruch der Altbackenheit anhaften.

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