SPD und Linke vor der Wahl:Hoffen auf Genosse Trend

Zwei Parteien, die sich nicht ausstehen können, feiern gleichzeitig den Höhepunkt des Wahlkampfs. Steinmeier kommt besser an als Lafontaine und seine Empörungs-Rhetorik.

Th. Denkler und M. König, Berlin

Beide versuchen im Osten ihr Glück: Frank-Walter Steinmeier am Brandenburger Tor, Oskar Lafontaine wenige hundert Meter entfernt auf dem Alexanderplatz. Zwei Männer, die sich nicht viel zu sagen haben.

Der eine ignoriert den anderen. Der andere drischt auf den einen ein, als wäre er der ausgestoßene Sohn und nicht der, der 1998 vor Amt und Verantwortung geflüchtet ist, wie das die Sozialdemokraten hier am Brandenburger Tor mehrheitlich sehen.

Tausende sind gekommen, um Steinmeier zu sehen. Ein Bühne ist aufgebaut, der große Würfel mit dem SPD-Signet auf der rechten Seite, in der Mitte unter dem Bühnendach der Claim: "Unser Land kann mehr". Darunter das Frank-Walter-Steinmeier-Team, dem so viele Menschen angehören, das die Breite der Bühne kaum ausreicht, um allen Platz zu gewähren. Zwei Videoleinwände übertragen Steinmeiers Rede bis in die letzten Reihen ganz hinten am Hotel Adlon.

Er will den Schwung mitnehmen

Steinmeier hat gerade das, was man einen Lauf nennt. Seit dem TV-Duell steigen die Umfragwerte für ihn und seine Partei. Das gibt Hoffnung. Und Hoffnung braucht die SPD.

Den Schwung will Steinmeier mitnehmen, muss er mitnehmen, wenn er die Sensation schaffen will. Klaus Wowereit, der Regierende Bürgermeister von Berlin, kündigt Steinmeier zuvor noch vollmundig als den künftigen Kanzler der Bundesrepublik Deutschland an. Einige lachen. Als am Ende Franz Müntefering erneut vom künftigen Kanzler spricht, lacht keiner mehr. Geht da doch was?

Ein Viertelstunde lang spricht Steinmeier nur darüber, wie eng es werden wird, dass schwarz-gelb nicht gewollt sei, dass das Rennen offen sei, das alles offen sei: Wer aufholen kann, der kann auch überholen." Mit jedem Halbsatz wird seine Stimme höher, er singt jetzt fast. Immer wieder fällt ein Wort: kämpfen, kämpfen, kämpfen. Gegen soziale Ungerechtigkeit, für Mindestlöhne, gegen schwarz-gelb.

Die Leute hier scheinen ihm zu glauben, dass da mehr drin ist, als sie alle erwarten, die Meinungsforscher und Journalisten. Sie jubeln, als hänge es von ihrem Beifall ab, dass CDU und FDP es nicht schaffen werden, eine gemeinsame Regierung zu bilden.

Auf dem Alexanderplatz: Obwohl hier zahlreiche rote Flaggen wehen, scheinen die Linken nicht unter sich zu sein. Spitzenkandidat Gregor Gysi arbeitet sich an der SPD ab. Sie wollen eine schwache SPD, weil nur die eine starke Linke verspricht. Gysi richtet sich direkt an die vermeintlich Unentschlossenen, die eigentlich nur shoppen gehen wollen in den diversen Kaufhäusern am Alex. "Die SPD muss jetzt eins auf die Mütze bekommen, damit eine innere Rebellion stattfindet und sie sich wieder demokratisiert".

Ihn trägt die gleiche Hoffnung wie die SPD: Bis zu 40 Prozent der Wähler entscheiden sich erst kurz vor der Bundestagswahl für eine Partei, sagen die Demoskopen.

Gregor Gysi sagt: "Seit Wochen quatsche ich mir in jeder Stadt den Mund fusselig. Wenn sie mich am Sonntag mit einem schlechten Ergebnis da stehen lassen, dann bin ich aber pappsatt, kann ich ihnen sagen."

Oskar Lafontaine erhöht noch einmal den Druck - zunächst den in seiner Hand. Die Fingerknöchel seiner geballten Faust treten weiß hervor.

Gysi ist für die humoristischen Einlagen verantwortlich, Lafontaine für die Empörung. Er hält sich nicht mit Begrüßungsformeln auf. Seine Rede ist noch keine drei Minuten alt, da hat er schon schwarz-gelb als Verursacher der Finanzkrise verteufelt, Investmentbankern gedroht ("Die müssen wir an die Kette legen"), Manager-Boni und Steueroasen verdammt.

Nach sechs Minuten Redezeit ist er bei den Parteispenden angekommen: Die CDU habe in den vergangenen Jahren fünf Millionen Euro von Banken und Versicherungen bekommen, sagt Lafontaine, dessen Gesichtsfarbe nun stark an Jupp Heynckes erinnert. Bei der FDP seien es über zwei Millionen Euro gewesen - und bei der SPD nur 1,5 Millionen. "Ich kritisiere das", sagt Lafontaine: "Nach allem, was die SPD für die Banken und Versicherungen getan hat", seien 1,5 Millionen Euro viel zu wenig.

Die Leute lachen, Lafontaine tritt einen Schritt zurück und legt den Kopf in den Nacken. Er greift nach dem Wasserglas, es ist schon das zweite, das er leert. Die Stimme klingt heiser, aber die Stimmung ist gut: Die Linke liegt in Umfragen mit FDP und Grünen gleichauf. Die SPD, Lafontaines ehemalige Heimat, sieht er ohne die Linken als praktisch handlungsfähig an - es sei denn, "sie kriecht wieder bei der Union unter", sagt er.

Die große Koalition. Sie ist die einzige Machtoption der SPD, die einzige Chance für Steinmeier, weiter mitregieren zu dürfen. Doch am Brandenburger Tor wirbt er mit keinem Wort für sie. Steinmeier stellt die große Koalition als Erfolgsgeschichte der SPD dar und lässt die Union aussehen, als sei sie nur der staunende Zuschauern auf der Regierungsbank gewesen. "Keine Konzepte, keine Ideen", sagt Steinmeier. Wer das nicht habe, "der muss auch nicht regieren". Das Wort von der sozialen Gerechtigkeit fällt. So oft, dass man nicht mal Zeit hat, an Hartz IV und die Rente mit 67 zu denken.

Das erledigt am anderen Ende der Allee Unter den Linden Gregor Gysi. Er wettert gegen die Rente mit 67, so laut, dass der Schall von den umliegenden Kaufhäusern abprallt und als Echo zurückkehrt.

"Konsenssoße" ist Gysis Lieblingswort: "Die anderen Parteien können uns nicht leiden, weil wir nicht mit drin sind in der Konsenssoße!" Es gebe zwischen SPD und Grünen auf der einen sowie CDU und FDP auf der anderen Seite nur drei nennenswerte Unterschiede: Atomenergie, Mindestlohn und die Bürgerversicherung. Die Linke sei die einzige echte Alternative.

Er beantwortet auch die Frage, warum jemand die Linke wählen soll, wenn die doch gar nicht regieren will: "Wenn Sie wollen, dass Ihre Partei sozialer wird, müssen Sie uns wählen, um die anderen zu erziehen!", ruft er. Erziehung der Konkurrenz als Lebensaufgabe einer Partei. Den Menschen, die hier klatschen reicht das.

Steinmeier steht am Brandenburger Tor vor dem Rednerpult, hinter sich hat sich sein Team versammelt. Auf den Videoleinwänden sieht es aus, als stünden Dutzende hinter ihm. Er streckt die Fäuste nach vorn, Daumen nach oben. Die Menschen jubeln ihm zu. Neben ihm steht seine Frau, schwenkt einen roten Schal durch die Luft.

Zwei Tage vor der Wahl ist Steinmeier endlich ein echter Kandidat geworden. Viele, auch in den eigenen Reihen haben gezweifelt, ob er das noch werden wird. Er hat geliefert. Jetzt ist Genosse Trend dran, das Blatt zu wenden. "Jetzt hilft nur noch warten", sagt einer aus Steinmeiers Umfeld. Er hat Recht.

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