SPD:Stolpern in der Herzkammer

Es wird eng für Martin Schulz: Der Parteivorsitzende, der nach seiner Kanzlerkandidatur schon als Erlöser gefeiert wurde, verliert die dritte Wahl in Folge - wie soll er die Partei jetzt noch aufbauen?

Von Nico Fried

Horst Seehofer meldete sich aus dem Fernen Osten. Der CSU-Vorsitzende sah sich Ende vergangener Woche veranlasst, seine Partei und die CDU eindringlich vor jeder Überheblichkeit oder Siegesgewissheit zu warnen. "Es wäre völlig fatal zu glauben, die Bundestagswahl sei jetzt schon klar", sagte Seehofer am Freitag am Rande seiner China-Reise in der Küstenstadt Qingdao.

"Das ist mitnichten der Fall." Seehofer reagierte auf Umfragen, die der Union seit einiger Zeit für den Bund wieder deutliche Zuwächse in der Wählergunst vermeldeten. Aber er meinte wohl auch das absehbare Ergebnis in Nordrhein-Westfalen. Die CDU, das war frühzeitig zu erwarten, würde mindestens deutliche Stimmenzuwächse verzeichnen. Das war angesichts des schlechten Ergebnisses von 2012 noch keine allzu große Überraschung. Gute Chancen bestanden auch, dass die rot-grüne Regierung von Ministerpräsidentin Hannelore Kraft in Düsseldorf ihre Mehrheit verlieren würde.

Aber jetzt ist die CDU der klare Sieger. Seehofer wird es schwer haben in den nächsten Tagen und Wochen. Und Angela Merkel auch. Die Euphorie dürfte schwer zu bremsen sein. Michael Grosse-Brömer, der parlamentarische Geschäftsführer der Unionsfraktion im Bundestag, gab sich am Sonntagabend schon mal alle Mühe: Als er im Fernsehen gefragt wurde, was das Ergebnis in NRW für den Bund bedeute, tat er erst einmal so, als gebe es Angela Merkel gar nicht. Ein Erfolg für Armin Laschet, den Spitzenkandidaten, sei dieser Sieg, so Grosse-Brömer. Und dann sprach er lange, lange über Nordrhein-Westfalen. Erst am Ende der Antwort nannte er das Ergebnis auch "Rückenwind" für Angela Merkel. Aber so, wie er es sagte, klang es eher nach einem lauen Lüftchen. Nichts, womit man abheben kann. Und so war es auch gemeint. Für die SPD war der Sonntag wieder eine Enttäuschung - wobei das Wort Enttäuschung zu klein sein wird, für das, was die Sozialdemokraten an diesem Sonntag erleben mussten. "Ein ganz bitterer Tag", sagte Generalsekretärin Katarina Barley. "Eine herbe Niederlage", konstatierte Parteivize Ralf Stegner. Es sei wie ein Leberhaken beim Boxen gewesen, so Stegner. Die SPD wanke zwar, "aber sie steht noch". Wie groß die Katastrophe am Ende sein würde, war am Abend noch nicht endgültig absehbar. Und die Konsequenzen auch nicht. Drei Landtagswahlen wollten sie gewinnen.

Drei haben sie verloren. Da kann es nicht ohne Konsequenzen weiter gehen. Fest steht: Der Schwung, mit dem die SPD nach der Nominierung von Martin Schulz ins Wahljahr aufbrach, ist dahin. In den ersten Wochen hat Schulz die eigenen Leute mitgerissen - in den nächsten Wochen wird er sie aufbauen müssen. Nur wie? Man hat ja schon nicht so recht verstanden, woher die Begeisterung kam. Wie soll man jetzt verstehen, woher der steinschlagartige Stimmungsabfall plötzlich kommt? Das Saarland, nun ja: In Annegret Kramp-Karrenbauer hatte sich eine starke Amtsinhaberin durchgesetzt. War das nicht aus Sicht der SPD ein gutes Omen für die eigenen Ministerpräsidenten in Kiel und Düsseldorf? Schleswig-Holstein: Gut, was will man machen, wenn Torsten Albig als Amtsinhaber den sicher geglaubten Sieg durch unbedachte Äußerungen über sein Privatleben quasi wegwirft? Aber jetzt auch noch Nordrhein-Westfalen. Das historisch schlechteste Ergebnis seit der ersten Landtagswahl 1947. Wie erklärt man, dass es so gekommen ist - mit einer Ministerpräsidentin, die doch als Landesmutter anfangs so populär zu sein schien, die schon zur Angela Merkel der SPD erklärt wurde, ehe sie von sich aus erklärte, nie in die Bundespolitik wechseln zu wollen.

Die Frage wird lauter: Wofür steht der Kandidat, außer für gute Stimmung?

Die Diskussionen dürften sich nun vor allem um die Schuldfrage drehen. Im Mittelpunkt dürften Kraft und Schulz stehen, die sich ohnehin nicht besonders gut leiden können, sich aber für die Zeit der Wahlkämpfe auf Harmonie verpflichteten. Barley und Stegner zeigten am Sonntagabend schon mal, wohin die Reise gehen soll: "Vor allem landespolitische Themen" hätten den Wahlausgang beeinflusst, sagte die Generalsekretärin. Und Stegner fügte den verräterischen Satz hinzu, von nun an müsse der Parteivorsitzende Schulz keine Rücksicht mehr auf Landtagswahlkämpfe nehmen. Kraft ist also schuld. Sie muss jetzt schuld sein, wenn die SPD überhaupt noch eine Chance haben will. Und Hannelore Kraft nimmt das am Sonntagabend mit ihrem Rücktritt auf sich. Sie soll darauf gedrängt haben, dass ihr Wahlkampf nicht durch bundespolitische Themen überlagert werden dürfe. War das der Grund, warum sich Martin Schulz nach der anfänglichen Dauerpräsenz in den Medien wochenlang zurückhielt; warum er keine neuen inhaltlichen Vorschläge machte, obwohl die Frage selbst in der SPD immer lauter gestellt wurde, wofür der Kandidat denn stehe, außer für gute Stimmung? Und war das gut so? Für Kraft? Für Schulz? Aber reicht das alles als Erklärung? Oder war am Ende doch der Wechsel vom unbeliebten, aber gerissenen Sigmar Gabriel zum fröhlichen, aber innenpolitisch nicht versierten Martin Schulz der große Irrtum?

So weit dürfte die SPD in ihrer Analyse nicht gehen - schon weil kaum jemand Gabriel zurückhaben will, auch wenn der als Außenminister immer populärer wird. Aber der Zweifel wird wachsen.

Der Kandidat selbst, Martin Schulz, ist am Sonntagabend schon weiter. Er will über NRW am liebsten gar nicht mehr reden. Eine "Delle" klar, sei das Ergebnis. Aber jetzt gehe es um die den Bundestagswahlkampf. Und da wolle er eines einmal feststellen. Er sei ein "kampferprobter Mann - und davon können Sie ausgehen, auch ein erfahrener Wahlkämpfer".

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