SPD-Spitzenkandidat Torsten Albig:"Die SPD wird sich von den Piraten inspirieren lassen"

Wahlkampf-Finale in Schleswig-Holstein: Eindringlich warnt SPD-Spitzenkandidat Torsten Albig davor, dass sich das vergiftete Klima früherer Jahre auf die künftige Koalitionsbildung auswirkt. Im SZ-Gespräch räumt der Kieler Oberbürgermeister ein, dass ihn der Erfolg der Piraten überrascht - und erklärt, was er von seinem früheren Chef Oskar Lafontaine gelernt hat.

Ralf Wiegand und Oliver Das Gupta

Torsten Albig kam 1963 in Bremen zu Welt. Bis vor drei Jahren wirkte der Jurist eher im Hintergrund in der Politik: 1998 bis 2001 leitete der Sozialdemokrat das Referat Presse-und Öffentlichkeitsarbeit des Bundesfinanzministeriums unter den Ressortchefs Oskar Lafontaine und Hans Eichel. Nach einer Station bei der Dresdner Bank kandidierte er erfolgreich für den Kieler Stadtrat. 2006 kehrte er als Sprecher von Peer Steinbrück in das Bundesfinanzministerium zurück, bis er überraschend bei der Kieler Oberbürgermeisterwahl gegen die CDU-Amtsinhaberin siegte. Später setzte er sich gegen den schleswig-holsteinischen SPD-Chef Ralf Stegner durch, als es um die Spitzenkandidatur für die Landtagswahl am 6. Mai ging. Albig tourt in diesen Tagen durch sein Bundesland, Interviews werden dem Terminplan untergeordnet. So findet das SZ-Gespräch in einem Kleinbus statt - irgendwo zwischen Neumünster und Kaltenkirchen.

TV-Duell der Spitzenkandidaten vor der Wahl in Kiel

"Nie Teil der streitenden Krabbelgruppe": Rivalen Albig und de Jager, hier beim TV-Duell

(Foto: dpa)

SZ: Herr Albig, Sie wurden von Oskar Lafontaine gefördert ...

Torsten Albig: Naja, ich habe für ihn gearbeitet. Aber gefördert? Er hat sich bei seinem Rücktritt nicht einmal von mir und meinen Kollegen verabschiedet.

SZ: Haben Sie trotzdem was von ihm lernen können?

Albig: Zwischen 1996 und 1998 konnte ich im Büro Lafontaine beobachten, wie man eine zerstrittene Partei eint und stark macht. Das war beeindruckend: Kein Mensch hätte anfangs einen Pfennig darauf gesetzt, dass die SPD 1998 die Bundestagswahl gewinnt. Ohne Lafontaines Aufbauarbeit als Vorsitzender hätte auch die Aura von Gerhard Schröder ihre Wirkung nicht entfalten können.

SZ: Wie 1998 im Bund sind bei der Nord-SPD bei der Landtagswahl 2012 die Spitzenplätze geteilt: Sie sind Spitzenkandidat, Ralf Stegner Landesvorsitzender. Warum haben Sie mit der Kandidatur nicht auch den Vorsitz übernommen?

Albig: Weil es nicht klug gewesen wäre. Vorsitzender kann Ralf Stegner besser. Ich bin Oberbürgermeister der Landeshauptstadt Kiel: das ist gefühlt der zweitwichtigste Posten in Schleswig-Holstein nach dem des Ministerpräsidenten. Mit dieser Autorität im Rücken kann ich einen Wahlkampf viel besser führen. Wir Bürgermeister werden nicht so sehr als einfache Politiker wahrgenommen, wir sind oft eher Teil der guten alten Honoratiorenwelt. Die Bürger schätzen ihre Bürgermeister.

SZ: Stegner ist Ihr innerparteilicher Rivale...

Albig: Nein! Wir sind beide Teil einer Volkspartei. Es geht nicht darum, dass wir unsere Egos restlos befriedigen, sondern darum, gemeinsam die Wahl zu gewinnen. Außerdem bin ich in der Landespartei noch deutlich weniger verwurzelt als Ralf Stegner. Er führt sie gut und kraftvoll. Zusammen bringen wir die SPD voran.

SZ: Stegner polarisiert stark, in den anderen Landtagsfraktionen sind die Vorbehalte gegen ihn groß. Was ist, wenn nach der Wahl mögliche Partner das Ausschlusskriterium Stegner formulieren?

Albig: Wir sind doch nicht im Kindergarten oder im Wünsch-dir-was-Land. Wenn ich als Kunde meinen Bankberater nicht mag, wäre es doch Unsinn, deren Konditionen auszuschlagen, oder? Es geht zuerst um Inhalte. Da erwarte ich von Verhandlungspartnern, persönliche Animositäten zurückzustellen. Das ist eine Frage von politischer Professionalität.

SZ: Fakt ist: Der politische Zoff früherer Jahre wirkt noch nach.

Albig: Aber ich bin nicht Teil davon, der Grüne Robert Habeck und der Christdemokrat Jost de Jager auch nicht. Das sind schon mal drei wesentliche Akteure, die nie Teil der streitenden Krabbelgruppe waren.

SZ: Wolfgang Kubicki zählen Sie wohl zur Krabbelgruppe dazu. Wie gehen Sie damit um, dass der FDP-Spitzenkandidat freundliche Worte für Sie findet, aber eine Ampel-Koalition wegen Stegner für so wahrscheinlich hält, wie einen Sechser im Lotto?

Albig: Ich arbeite dafür, dass SPD und Grüne eine Mehrheit haben werden, vielleicht auch zusammen mit dem SSW. Sollte es dazu nicht kommen, werde ich die notwendigen Gespräche führen. Genau wie meine Partei. Und Parteien sind es auch, die Koalitionsverträge schließen - und nicht Egozentriker, die sich mögen müssen.

SZ: Die Ampel ist also auch möglich?

Albig: Wenn es darauf ankommt, kann ich mit allen reden - außer mit Faschisten. Alles andere wäre doch albern.

SZ: Mit welchem Stil wollen Sie regieren, sollten Sie Ministerpräsident werden?

Albig: Ich werde die Bürgernähe eines Oberbürgermeisters auf das Amt des Ministerpräsidenten übertragen. Die Regierung muss draußen sein, bei den Menschen. Ich mache Politik, weil ich die Menschen in meinem Land mag und nicht, weil ich sie klein verwalten will. Wer politische Verantwortung tragen will, muss Bodenhaftung haben. Sie müssen regelmäßig ran an den Bürger. Zuhören. Mit Respekt und Ernst. Aus den Hinterzimmern der Politik wieder auf die Marktplätze.

SZ: Gibt es jetzt schon eine Kluft zwischen der Rolle des honorigen OB und der Rolle des Spitzenpolitikers?

Albig: Manche Dinge ändern sich. Zum Beispiel, wenn man eine Rede hält. Als OB hält man eher Ansprachen, die manchmal pastoral klingen. Denen man mehr zuhört. Als Spitzenkandidat im Landtagswahlkampf muss man auch mal eine Rede schreien. Da geht es stärker um Emotionen. Beides müssen Sie können.

SZ: Konnten Sie das schon immer?

Albig: Nein, natürlich nicht. Als junger Jurist war ich eher schüchtern. Mein erster großer Lernerfolg in dieser Hinsicht war, vor Schülern einer Finanzschule zu stehen und ihnen Unterricht zu geben. Manche kleine Blamage als junger Schulleiter hat mir sehr geholfen. Auch die späteren Jobs waren eine gute Lehre: Ich bin vielleicht der Mensch, der die meisten Bundespressekonferenzen abgehalten hat. Das war ein hartes, aber wirksames Training.

SZ: Welche Rollen waren das?

Albig: Die ganze Bandbreite. Es ging darum, die Regierung zu verteidigen, Ihren Minister. Dafür müssen Sie charmant und freundlich, aber auch hart und schneidend sein können. Immer müssen Sie aber besser vorbereitet sein als Ihr Gegenüber. Das war ich meistens. (lacht)

SZ: Üben Sie Ihre Reden vorher?

Albig: Wenn ich 40 Minuten rede, habe ich meist einen kleinen Entwurf. Den formuliere ich dann nochmal etwas um. Aber ich bin dann am besten, wenn ich frei spreche.

"Als Kandidat läuft du Gefahr, neben Spitzenpolitikern kleiner zu wirken"

SZ: Peer Steinbrück unterstützt Sie in Ihrem ersten richtigen Wahlkampf. Hat sich das Verhältnis zu Ihrem ehemaligen Chef verändert?

Spitzenkandidaten der Wahl in Schleswig-Holstein

Albig: Unser Verhältnis hat sich verändert. Es ist einfach schön, wenn er da ist. Es gibt mir eine gewisse Sicherheit, ihn an meiner Seite zu haben. Wir haben Spaß, und er passt auf mich auf.

SZ: Er passt auf Sie auf?

Albig: Neulich habe ich an einer Stelle etwas Unfug geredet. Er merkte sofort, dass mein Satz doof war. Zack - er relativierte ihn sofort und baute einen Schutzwall aus Worten auf. Und keiner merkte das. Das war wie ein Rollentausch. Er war für eine Minute mein Sprecher. Aber die Hilfe von Parteiprominenz hat auch seine Nachteile.

SZ: Inwiefern?

Albig: Hast du einen Spitzenpolitiker wie Steinbrück, Steinmeier und Gabriel neben dir, sind die immer groß - und du als Kandidat läufst Gefahr daneben kleiner zu wirken. Das Schöne ist: Wenn die neben Helmut Schmidt sitzen, wirken auch meine Großen etwas kleiner. (lacht)

SZ: Wie der Papa mit dem kleinen Jungen.

Albig: Deshalb sind auch auf den CDU-Plakaten hier klugerweise nie Carstensen und de Jager gemeinsam zu sehen. Wer glaubt, es würde ihn voranbringen, bei 37 Auftritten neben der Kanzlerin zu stehen, irrt gewaltig. Denn unterschwellig kommt die Botschaft an: Der Kandidat ist dann 37 Mal nur der Mitarbeiter von Angela Merkel.

SZ: Man darf die Hilfe der Alten und Großen also nicht überbeanspruchen.

Albig: Den Großteil seines Wahlkampfs muss man schon alleine machen, sonst wird es gefährlich. Es ist wichtig, dass möglichst viele prominente Politiker im Land auftreten und über mich und unseren Erfolg sprechen. Dazu muss man nicht immer daneben stehen.

SZ: Haben Sie all diese Erfahrungen erst machen müssen, oder war Ihnen das schon vor dem Einstieg in die große Politik bewusst?

Albig: Es hilft, viele Jahre Bundesminister gewesen zu sein und in der Wirtschaft beraten zu haben. Politik ist mehr als das Aneinanderreihen von Worten. Politik sind auch Bilder. Mir ist die Wirkung der Bilder vermutlich bewusster als beispielsweise Herrn de Jager.

SZ: Auf Ihren Plakaten steht das Wort "Lieblingsland". Ist das noch Politik?

Albig: Unsere Plakate stehen für Gelassenheit, Ruhe, sich Zeit nehmen. Sie nennen den Grund, warum ich Politik mache. "Lieblingsland" ist hochpolitisch, und das werden unsere Mitbewerber am Wahlabend auch feststellen. Wir wollen in vier Wochen des heißen Wahlkampfs ein großes, gutes Gefühl für unser Land erzeugen. Andere wie der Grüne Robert Habeck diskutieren lieber an jedem Ort die Lösung des Haushaltsproblems en Detail. Das ist auch spannend, aber das wird die Aufgabe nach der Wahl sein. Dann wissen wir nämlich, mit welchen Partnern wir regieren werden. Mein Konzept konzentriert sich darauf, die Menschen zu überzeugen, dass ich und meine Partei dieses Land am besten führen könnten. Dass man mir vertrauen kann.

SZ: Enthielt Ihr Wahlkampf-Konzept auch das Aufkommen der Piraten?

Albig: Das hat mich genauso überrascht, wie die meisten. Ich konnte mir vor einem Jahr noch nicht vorstellen, dass es in Schleswig-Holstein ein solch großes Protestpotential gibt.

SZ: Vermasseln die Ihnen die Tour?

Albig: Erst mal stelle ich fest: Da interessieren sich wieder Menschen für Politik, die sich vorher von ihr abgewandt haben. Das ist gut. Dass die noch nicht die gesamte Politik durchdrungen haben, halte ich für normal. In Schleswig-Holstein könnten sie allerdings das Gegenteil von dem bewirken, worauf viele ihrer Anhänger eigentlich hinaus wollen: Möglicherweise führt der Erfolg der Piraten zur großen Koalition - und damit wieder zu mehr Frust. Wer jetzt eine wirklich andere Politik will, muss Rot-Grün wählen.

SZ: Sind die Piraten der Abwahlknopf der etablierten Parteien?

Albig: Ich glaube das eher nicht. Die Piraten haben noch nicht beweisen können, ob sie in komplexen Politikprozessen mit liquid democracy wirklich arbeiten können. Wenn es darum geht, zwischen den Parteien belastbare Kompromisse zu erzielen. Lernen kann man von den Piraten, dass man Beteiligungsprozesse von Anfang an viel breiter aufstellen muss, und dass man es zulassen muss, Ideen von außen in die Parteien rein zu tragen. Die SPD kann und wird sich davon inspirieren lassen.

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