SPD-Spitzenkandidat Schäfer-Gümbel:Mr. Uncools Aufstieg

Thorsten Schäfer-Gümbel

Spitzenkandidat der SPD in Hessen: Thorsten Schäfer-Gümbel

(Foto: dpa)

Als Thorsten Schäfer-Gümbel 2009 Spitzenkandidat der Hessen-SPD wurde, war er ein Neuling, über den viele spotteten. Doch er einte die zerrissene Partei und ist nun mindestens so beliebt wie der CDU-Ministerpräsident. Im Wahlkampffinale setzt er auf einen Joker.

Von Jens Schneider, Frankfurt

Mit gutem Grund hat die Natur es sich so ausgedacht, dass hoch gewachsene Menschen sich meist mit kleinen Gesten begnügen. Es sieht schnell vogelwild aus, wenn ein Riese Grimassen schneidet. Thorsten Schäfer-Gümbel ist auffallend groß und ein Mann, der oft minutenlang in der gleichen Pose verharrt und zuhört.

Im Gasthaus "Zur Sonne", einem Äppelwoi-Klassiker, werden die Helfer der SPD auf die heiße Phase des Wahlkampfs eingestimmt. Frankfurts Oberbürgermeister Peter Feldmann hält eine kämpferische Willkommensrede für den Parteichef. Sie seien, sagt er, "beide nicht mit dem silbernen Löffel im Mund zur Welt gekommen". Sie wüssten, welche Sorgen die Leute umtreiben.

Schäfer-Gümbel kennt das alles. Es gehört zum Repertoire, wenn Parteifreunde ihn vorstellen. Aber nun grinst er, für einen Augenblick. Der Thorsten, sagt Feldmann, sei ein dynamischer Spitzenkandidat. Der 43-Jährige nickt, als wäre er ganz erstaunt. Und wiederholt das Wort leise vor sich hin: "dynamisch". Sein Blick sagt: Donnerwetter! Dynamisch bin ich also!

Es ist die ironische Geste eines Chefs, der sich ganz bei sich fühlt, souverän in seiner Rolle, ohne es groß zu zeigen. Wenig später scherzt er, dass manche es ja kaum noch aushalten könnten, wie gut gelaunt er durch diesen Wahlkampf gehe.

Schäfer-Gümbel war nie eine traurige Gestalt

Tatsächlich müssen sich diese Wochen wie eine Kurpackung anfühlen nach allem, was der Mann hinter sich hat. Kleine Erinnerungshilfe gefällig? Das ist der mit der ulkigen Brille, der auf diese Ypsilanti folgte. Die Brille war so schlimm gar nicht, viele haben so ein Gestell. Aber vor vier Jahren legten manche Journalisten alle Hemmungen ab. Sie witzelten über sein Aussehen, auch den Doppelnamen, den er annahm, weil seine Frau nicht Schäfer heißen wollte.

Andrea Ypsilanti war mit dem Versuch gescheitert, eine von der Linken gestützte Regierung in Hessen zu etablieren. Es gab Neuwahlen, ein Sozialdemokrat musste zum Verlieren seinen Kopf hinhalten. Auf einmal war da dieser Unbekannte, der tapfer kämpfte, und doch mit einer gespaltenen SPD im Rücken verlor. Solch traurige Gestalten kommen und gehen in der Politik. Sie werden bald nach der Niederlage fallen gelassen. Schäfer-Gümbel aber war nie eine traurige Gestalt, er argumentierte politisch gegen die Niederlage an. Vieles tat damals übel weh, das verhehlt er nicht.

Seine Frau und er haben viel nachgedacht, ob die Zumutung sein musste. Aber er blieb. Vier Jahre später hat er gute Chancen, am 22. September Ministerpräsident in Hessen zu werden, nach 15 Jahren CDU-Regierung. Er ist ähnlich populär wie Ministerpräsident Volker Bouffier, CDU. Die Hessen halten ihn für besonders glaubwürdig. Das Phänomen Schäfer-Gümbel macht auch Menschen jenseits der Politik neugierig, in Zeiten, da viel von Resilienz die Rede ist und gefragt wird, wie Menschen schwere Zeiten durchstehen können: Wie ist er da durchgekommen?

Er ist also ein "interessanter Case", zumindest ist das ein Ausdruck, der Marketing-Experten in den Sinn kommt. Er fällt, als der Kandidat an einem Donnerstagabend Gast ist beim Frankfurter Marketing-Club. Hier fragt einer gleich zu Anfang, was die "Marke Schäfer-Gümbel" ausmacht. Er findet die Marke offenbar gelungen.

Der Sozialdemokrat hört erst mal an, was alle anderen zu sagen haben. Das gehört gewissermaßen zur Marke, ob im Straßenwahlkampf oder bei Marketing-Experten: Er wartet, lässt Menschen, die gehört werden wollen, sprechen. Erst dann gibt er ausführlich Antwort, oder bekennt, dass er lieber nichts sage, wenn er von einer Sache nichts verstehe. Nie wirkt er wie ein Sprinter, der vorpreschen muss vor Ungeduld. An einem Tag mit ihm fällt schnell auf, wie hilfreich es sein kann, erst mal unterschätzt zu werden.

Schäfer-Gümbel spielt gerne mit seinem Image

Seine Antwort hat nichts mit Marketing-Ideen zu tun. Er spricht über seine Herkunft und über die Art, in der er die hessische SPD umgekrempelt hat. Sie war in zwei Lager gespalten, Linke und Rechte. Worum es auch ging, alles sei vorhersehbar gewesen: Äußerte sich einer aus einem Zirkel, konterte sofort die andere Seite, worauf wieder Wortmeldungen der Gegenseite kamen. Er schildert, wie er das Spiel durchbrach, den leeren Schlagabtausch nicht mehr duldete. Heute sind die Lager nicht mehr zu erkennen. Dafür zollen auch viele außerhalb der SPD Respekt.

Seine Marke aber, das ist seine Lebensgeschichte. Er glaube, erklärt er, die Menschen würden ihm seinen Einsatz für soziale Gerechtigkeit abnehmen, weil sein Lebensweg dafür stehe. Die Partei verteilt eine Broschüre, in der viel von seiner Kindheit in der Gießener Nordstadt erzählt wird - wie in alten sozialdemokratischen Erzählungen. Von kleinen Verhältnissen ist die Rede; einem Stadtteil, "der nicht auf der Sonnenseite des Lebens lag". Es gibt ein Alphabet mit TSG, das ist sein Kürzel. Mit: G wie Gerechtigkeit, die sei sein Antrieb. Und: P wie Putzhilfe - so verdiente seine Mutter Geld für die Familie. "In den Schulferien hat der Junge mitgeholfen." Das klingt erst mal dick aufgetragen.

Aber das Leben neigt dazu, dick aufzutragen. Die Geschichte war eben so. Wenn er erzählt, losgelöst von der Broschüre, klingt es noch härter. Ein Lehrer empfahl ihn für das Gymnasium, das musste gegen den strengen Vater durchgesetzt werden, der verlangte, dass dabei wirklich was rauskommt. Er wurde als ältestes von vier Kindern früh gefordert. Der Vater war Zeitsoldat, dann Lkw-Fahrer. Als er schwer krank wurde und als Ernährer ausfiel, die Mutter viel bei ihm im Krankenhaus war, kümmerte sich der 13-jährige Thorsten um die Jüngeren. Ihm wurde die höhere Schulbildung zugestanden, einem kleineren Bruder nicht. Dieser Sozialdemokrat weiß, wie es sich anfühlt, wenn das Geld nicht reicht, um auf die Klassenreise mitzufahren.

Fleiß und Pünktlichkeit sind für ihn große Tugenden

Fast jeder junge Politiker kommt irgendwann auf den Gedanken, sich eine wilde Jugend zu erfinden. Mit schlechten Zeugnissen, weil man ja hochbegabt, aber faul war, und mehr mit dem Frisieren von Mofas und Kiffen beschäftigt. Kann sein, dass Schäfer-Gümbel auch was Wildes angestellt hat. Viel Zeit hatte er nicht dafür.

Verantwortung macht ernst. Er nennt sich einen "Leistungssozialisten", für den Fleiß und Pünktlichkeit große Tugenden sind. Er gilt als Kümmerer. Seine Geschichte ist, gemessen an den Typen mit den frisierten Mofas, absolut uncool. Aber derzeit sieht es ja bis hinauf ins Kanzleramt oft aus, als wäre uncool das neue Cool. Auf dieser Skala wäre er Hessens Mr. Cool.

Längst spielt er gern mit seinem Image. Fröhlich bekennt Schäfer-Gümbel, der gern nach Asien reist, dass er in Frankfurt nicht leben könnte: "Ich bin ein Landei." Er wohnt mit seiner Frau und den drei Kindern in Birklar bei Gießen. Das könnte ihn mit Ministerpräsident Bouffier verbinden. Auch er stammt aus Gießen, ist bis nach Wiesbaden, aber nicht weit darüber hinaus gekommen. Sie kämpfen gegeneinander um ein Direktmandat - aber stehen für gegensätzliche Welten. Der bürgerliche Bouffier hat dem Sozialdemokraten einige Male das Gefühl gegeben, dass er ihn für einen Emporkömmling hält. Wo der herkommt, entwickelt man schnell eine Allergie gegen solche Herablassung. Eine große Koalition ist schwer vorstellbar.

Noch vor einem halben Jahr stellte sich die Frage nicht. Rot-Grün lag deutlich vorn. Nun ist es ein enges Rennen, Bouffier setzt auf einen lieblichen Landesvater-Wahlkampf. Schäfer-Gümbel kontert mit einem Joker, den er sich mit einem Freund aus der Bankenwelt ausgedacht hat. Mitten in dessen Welt hat er ihn präsentiert. Vor der Europäischen Zentralbank stellte der Sozialdemokrat sich neben einen riesigen Jutesack. Es sah komisch aus, aber das Bild prägt sich ein. Auf dem Sack steht die Zahl 800 Millionen. So viel könne das Land zusätzlich einnehmen, verspricht er.

Dafür müsse man entschiedener gegen Steuerflucht und Steuervermeidung von großen Unternehmen vorgehen, die hierzulande viel Geld verdienen, aber kaum Steuern zahlen. Er sammelt dazu Unterschriften. Überall spielt er diesen Joker aus, genüsslich: Wird er gefragt, woher Geld für Ganztagsschulen kommen soll, gibt er sich entspannt und erzählt von den 800 Millionen: "So werden wir das locker hinkriegen." Es ist eine kalkulierte Frechheit. Der Kümmerer zeigt, dass er sich auf politische Tricks versteht.

Ausgedacht hat er sich die Kampagne für Hessen. Gern wollte er auch die Bundes-SPD einbeziehen, an diesem Montag hat die engere Parteispitze in Offenbach mit ihm eine Erklärung "Null Toleranz für Steuerhinterziehung" vorgestellt. Eigentlich muss Schäfer-Gümbel fürchten, dass die Krise der SPD im Bund ihm bei der gleichzeitigen Wahl in Hessen schadet. Nun sagt er: "Peer Steinbrück ist der Erfinder der Kavallerie. Ich will, dass er dafür sorgen kann, dass sie ausrückt." Als ob der Mann, den die Berliner einst belächelten, dem Kanzlerkandidaten aufs Pferd hilft.

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