SPD-Parteitag:Sehnsucht nach dem Mutmacher

Die SPD konnte ihren Mitgliederschwund stoppen, doch neue Probleme drohen: Die Gewerkschaften verweigern den Schulterschluss und der designierte Generalsekretär Klaus-Uwe Benneter entlockt der Basis keine Freudenschreie. Nun hoffen die Genossen für den Parteitag auf ein Aufbruchsignal von Franz Müntefering.

Von Nico Fried

Kurz vor ihrer Zusammenkunft an diesem Sonntag erreichte die SPD frohe Kunde: Günter Völker ist der Partei beigetreten. Völker war Koch für Bundeswehr-Soldaten auf dem Balkan und führt mittlerweile das Restaurant Deutscher Hof in der afghanischen Hauptstadt Kabul.

Er wolle "Farbe bekennen", schrieb das Jungmitglied an den Vorsitzenden des Unterbezirks Bonn, Ulrich Kelber, der auch den internationalen Ortsverein aller im Ausland lebenden SPD-Mitglieder verwaltet.

Es könnte der SPD womöglich nicht schaden, Völker kurzfristig zum Sonderparteitag nach Berlin einzufliegen. Der gebürtige Thüringer hat eine interessante Botschaft für seine Neu-Genossen: "Ich hoffe, dass unsere Arbeit in Kabul den einen oder anderen in Deutschland ermutigt, mit dem Klagen aufzuhören, die Ärmel hochzuziehen und anzufassen. Deutschland ist ein schönes Land und den Menschen (auch den vermeintlich Armen) geht es nicht schlecht, es wird nur Zeit, dass die Leute dieses wieder erkennen und sich auf ihre Stärken besinnen."

Sozialdemokraten erwarten ein Aufbruchsignal

Aufrüttelnder wird es Franz Müntefering kaum formulieren können, der nun zum neuen Vorsitzenden gekürt werden soll. Aber etwas Ähnliches muss er sich einfallen lassen, wenn er seiner zermürbten Partei wieder Mut einflößen will.

Das berühmte Aufbruchsignal erwarten die Sozialdemokraten von ihm, man könnte auch sagen: ein neues Heilsversprechen. "Ich wünsche mir, dass er Pragmatismus und Programm wieder zusammenführt", sagt der Fraktionsvize Michael Müller.

Der Pragmatismus, das war die Reformpolitik der vergangenen zwölf Monate - das Programm muss die Antwort auf die Frage sein: Wozu das Ganze? "Eine Partei ohne Programm ist wie eine Kirche ohne Religion", sagt SPD-Vorstandsmitglied Hermann Scheer.

Schröder lässt Nachfolger einfach machen

Müntefering hat zuletzt immer wieder erkennen lassen, dass er diesen Anspruch teilt - und wie er ihm gerecht zu werden gedenkt. Das Bild einer sozialdemokratisch geprägten Gesellschaft im Jahr 2010 will er entwerfen. Demnach sieht Deutschland in sechs Jahren in etwa so aus: Wohlstand und stabile Sozialsysteme, gleiche Bildungschancen für alle, jede Menge Kindergartenplätze, viel mehr berufstätige Frauen, eine bessere Betreuung für ältere Menschen und eine blühende Forschungslandschaft, auf der wettbewerbsfähige Produkte sprießen.

Was die Partei betrifft, scheint für Müntefering hingegen der Weg das Ziel zu sein. Denn statt Hektik soll nun wieder die Diskussion gepflegt werden. Breite Debatten will er führen lassen, wohl auch um der SPD-Basis das Gefühl der Mitsprache zu geben und nicht mehr nur der vollendeten Tatsachen.

Soweit die gewünschte Zukunft. Die Gegenwart sieht anders aus. Sechs Wochen lang war Müntefering designierter Parteivorsitzender. Gerhard Schröder hat das Interim geschwänzt, ist sogleich umfänglich ins Ausland gereist und hat seinen noch nicht gewählten Nachfolger einfach machen lassen.

Massiver Mitgliederschwund vorerst gestoppt

Beruhigt hat sich in dieser Zeit immerhin die Kakophonie, die aus den Forderungen auch zahlreicher führender Sozialdemokraten nach Korrekturen an bereits beschlossenen Reformen entstanden war. Müntefering hat die Kommunikation in der Parteiführung verbessert und ein gewisses Maß an Disziplinierung erreicht.

Der massive Mitgliederschwund ist vorerst gestoppt, wenn man den offiziellen Verlautbarungen glauben darf. Und fast wie bestellt vermeldete die Forschungsgruppe Wahlen am Freitag erstmals seit Monaten wieder einen Zuwachs der SPD bei der Sonntagsfrage - von 28 auf 29 Prozent.

Nicht verhindern konnte Müntefering dagegen den offenen Aufstand einiger Kritiker, die nun seit Tagen mit dem Gedanken an eine neue Partei die SPD provozieren. Auch auf dem Kongress der Arbeitnehmer in der SPD stieß Müntefering vergangenes Wochenende auf überraschend harsche Kritik.

Die nächsten Probleme warten schon

Den Gewerkschaften macht Müntefering ein klares Gesprächsangebot, doch die sind derzeit nicht in der Lage, sich zwischen Schulterschluss mit der SPD und der Vorbereitung von Massendemonstrationen gegen die rot-grüne Regierung zu entscheiden.

Und die nächsten Probleme warten schon. Sie haben mit Themen wie mit Personen zu tun. Der Ruf nach einer Korrektur dessen, was viele in der Partei als soziale Schieflage bei den Reformen ansehen, ist ungebrochen.

Die schleswig-holsteinische Ministerpräsidentin Heide Simonis propagiert ihre Pläne für eine neue Erbschaftsteuer weniger mit wirtschaftlicher Sinnhaftigkeit als mit dem Ziel, auch die Vermögenden in die Verantwortung zu nehmen. Und selbst der besonnene Alt-Sozialdemokrat Egon Bahr ließ sich in einer Talkshow zu dem Satz hinreißen: "Ich will, dass auch die Reichen und die Wirtschaft schreien."

Politische Fragen von Personalfragen verdrängt

Lehrstellenumlage, Erbschafts- und/oder Vermögensteuer sowie die Bürgerversicherung im Gesundheitswesen sind mittlerweile zu Symbolen einer solchen Politik geworden. Müntefering wird außer an Wahlergebnissen auch daran gemessen werden, ob er diese Wünsche der Parteimehrheit durchsetzt.

Doch die damit verbundenen politischen Fragen werden in der Partei wie in der Öffentlichkeit zunehmend von viel einfacher zu deklinierenden Personalfragen verdrängt. Kann sich Müntefering bei der Umlage gegen die eigenen Ministerpräsidenten durchsetzen? Und vor allem: Zwingt der neue Parteichef bei allen anstehenden Projekten auch den erklärten Widerständler Wolfgang Clement in die Knie?

Hinter dem Wirtschaftsminister und seiner Zukunft als Parteivize steht das erste große Fragezeichen. Manch einer vermutet, Clement wolle mit dem unerquicklichen Gerangel um den Emissionshandel noch einmal eine Drohung formulieren, ihn nicht zu sehr zu reizen.

"Ich hoffe, dass er bis zum Parteitag noch mal ruhig schlafen kann und sich besinnt", sagt ein Abgeordneter. Dass Clement die Feierlichkeiten am Sonntag sabotieren könnte, glaubt ernsthaft niemand in der SPD - aber ein mulmiges Gefühl bleibt.

Erst mal ratlos

Gleiches gilt für den neuen Mann hinter Müntefering. "Er hat am Sonntag wahrscheinlich den schwierigsten Part", sagt ein Abgeordneter über den designierten Generalsekretär Klaus Uwe Benneter.

Seit seiner Nominierung ist Benneter einmal im Bundestag aufgetreten und hat "eine grottenschlechte Rede" gehalten, wie sogar ein ihm wohlgesonnener Parteifreund befindet. An der Basis, wo er sich künftig tummeln soll, hielt sich Benneter vor seiner Wahl bewusst zurück. Ein paar Auftritte gab es trotzdem - Freudenschreie wurden nicht vermeldet.

Und auch viele Journalisten blieben nach ihren ersten Begegnungen mit Benneter erst mal ratlos zurück. Unverdrossen prophezeit ein SPD-Mann dennoch: "Er wird viele überraschen und den Job gut machen." Wenn nicht, hat die SPD sofort wieder eine Personaldiskussion - und Müntefering ein Problem, weil er stets betont hat, der Kanzler-Kumpel Benneter sei ihm nicht von Gerhard Schröder vor die Nase gesetzt worden, sondern seine eigene Wahl gewesen.

"Es muss eine emotionale Rede sein"

Ach ja, Gerhard Schröder. Gereizt wirke der Kanzler, genervt von seiner Partei, so wird kolportiert. Andere dementieren das. Fest steht, dass Schröder zuletzt ins Philosophieren geraten ist über die Reformfähigkeit der Gesellschaft im Allgemeinen wie auch der SPD im Besonderen - und manch einer wertet das als leise Resignation.

Am Sonntag nimmt Schröder erst mal seinen Abschied nach fünf Jahren als Chef der SPD. "Es muss eine emotionale Rede sein", findet ein Sozialdemokrat. "In solchen Momenten muss man auch mal öffentlich weinen können." Es ist unwahrscheinlich, dass Schröder seiner Partei diesen letzten Dienst als Vorsitzender erweist.

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