SPD nominiert Steinbrück:Der Boxer und sein Manifest

Ein gutes Ergebnis war für Peer Steinbrück Pflicht. In Hannover versucht er mit einer monströsen Rede seine Genossen vor allem davon zu überzeugen, dass er durch und durch ein Sozialdemokrat ist. Und ihnen endlich zeigt, wo Merkels Schwachpunkte sind.

Eine Analyse von Thorsten Denkler, Hannover

Mit einem seitlichen Schwinger boxt Peer Steinbrück seine Faust nach vorne. Wie bei einem Nierenhaken. Kurz vor der imaginären Trefferzone öffnet er die Faust zur flachen Hand, spreizt die Finger wie ein Segel, lässt sie in die Höhe jagen, als könne der Schwung sie und ihn, den Kanzlerkandidaten, in neue Höhen treiben, ihn fliegen lassen. Getragen von den jubelnden und johlenden Genossen vor ihm in der Messehalle Hannover. Im Halbkreis stehen sie um ihn herum, klatschen, toben. Stampfen mit den Füßen. Die Halle dampft.

Steinbrück hat da vor knapp zehn Minuten seine Rede beendet. Ein Monstrum von 34 Manuskriptseiten, die er in zwei Stunden zu einem Kunstwerk macht. Kampf, Emotionen, Angriff, Abgrenzung. Auch ein wenig Selbstkritik, als er am Schluss seine Vortragshonorare als "Wackersteine" bezeichnet, die er in seinem "Gepäck" habe. Er dankt, dass "ihr mit mir diese Last getragen habt".

Das war nötig. Ohne diese kleine Passage hätte er schwerlich beginnen können, wie er begonnen hat: mit den Werten der Sozialdemokratie. Er geht weit zurück in die Geschichte, zitiert eine Rede von Otto Wels gegen das Ermächtigungsgesetz der Nazis: "Freiheit und Leben kann man und nehmen, die Ehre nicht!" Ein Gänsehaut-Moment. Etwas, das CDU-Chefin Angela Merkel so gut wie nie hinbekommt.

Steinbrück muss mit dieser Rede zeigen, dass er Sozialdemokrat ist. Und zwar durch und durch. Ein aufgeklärter und überdies noch recht wohlhabender Bürger ist er. Kein Malocher, kein Arbeiter, nicht mal ausgewiesener Gewerkschafter. Ein Fremdkörper im Grunde. So wie der Anwalt Gerhard Schröder auch einer war.

Alles kommt aus dem SPD-Grundwerten

Darum besinnt er sich und die Partei auf ihre Grundwerte: "Freiheit, Gerechtigkeit und Solidarität, diese Werte bleiben Richtschnur der SPD", sagt Steinbrück. Mehr noch: "In der Verpflichtung dieser Werte bewerbe ich mich darum, Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland zu werden."

Er macht es danach nicht wie andere Redner, die Thema um Thema abarbeiten um das eine Ziel zu erreichen: Am Ende zu allem und jeden irgend etwas Aufbauendes gesagt zu haben. Steinbrück leitet alles aus der Grundüberzeugung ab, dass Deutschland "sozial und demokratisch" sein müsse.

Steuererhöhungen will er, um den sozialen Frieden zu wahren. Geld in Bildung, weil es es nicht länger hinnehmen will, "dass man Schulen daran erkennt, dass sie die verkommensten Gebäude der Stadt sind". Geld für die Kommunen, damit die ihre Schwimmbäder betreiben, Straßen reparieren, Theater und Jugendzentren erhalten können. Geld in die Infrastruktur, damit Brücken erneuert, Stromtrassen gebaut werden können. Und Geld für die Schuldenbremse damit nicht die Kinder die Zinsen für die Schulden ihrer Eltern zahlen müssen.

Darum will Steinbrück den Spitzensteuersatz, die Kapitalertragssteuer und die Erbschaftssteuer anheben, das Ehegattensplitting reformieren, eine Vermögensteuer und eine Finanztransaktionsteuer einführen.

Merkel-Etiketten auf leeren Flaschen

Steinbrücks Rede wird immer wieder von Applaus unterbrochen. Es ist eine linke Rede. Eine, in der er sagt, dass Sozialdemokraten nicht immer erst darauf schauen sollen, was etwas kostet. Es ist aber auch ein bisschen eine rechte Rede, zum Beispiel bei der Pflege. Gibt es Missstände, die mit Geld behoben werden können, dann müssen sie behoben werden. So argumentiert Steinbrück. Also soll mit ihm der Beitragssatz zur Pflegeversicherung um 0,5 Prozent steigen.

Steuererhöher Steinbrück? Der sieht das offenbar gelassen: "Wer daraus propagandistisch den Untergang des Abendlandes ableitet, den gewinnen wir sowieso nicht."

Aber noch wichtiger für die Partei ist: Steinbrück zeigt, Merkel ist nicht unangreifbar. Zumindest er, Steinbrück, greift sie an. Die CDU? Nur noch ein Wahlverein. Die Kanzlerin? Eine Aufkleber-Erfinderin: "Das Jahr der Entscheidungen", "Energiewende", "Bildungsrepublik Deutschland". Steinbrück: "Diese Etiketten kleben auf leeren Flaschen". Lachen im Rund der Messehalle. Er will damit aber niemanden persönlich gemeint haben, setzte Steinbrück nach.

Er beugt sich vor, setzt seine Verschwörermine auf, und sagt: "Bei Frau Merkel bleibt vieles im Ungefähren." Pause. "Und das ist nicht ungefährlich."

Steinbrück verzichtet auf ausufernde Monologe

Steinbrück zeichnet das Bild einer machtversessenen Kanzlerin, die jede Überzeugung über Bord werfen würde, um im Amt zu bleiben. Eine, die sich vor lauter Realitätsverweigerung "im Winter vor der Strandtapete mit Sonnenmilch einreibt".

Für Merkels Satz von der "besten Regierung seit der Wiedervereinigung" hat er nur Hohn und Spott übrig: "Selten-so-gelacht!" Die Delegierten lachen mit.

Steinbrück redet und redet, die Delegierten klatschen und klatschen. Nach fast jedem Satz, jedem Gedanken. Selbst wenn sie noch so besoffen wären von seiner Kandidatur: Wäre es keine gute Rede, gäbe es auch weniger Beifall. Hier hat Steinbrück seine Kritiker überzeugt. Jene die glauben, er könne nur über Finanzmarktkrisen sprechen. Das hat er so gut wie gar nicht getan, sich ausufernde Monologe zu Bankentrennung und Finanzinstrumenten gespart. "Das kennt ihr alles schon von mir".

Stattdessen war dies das gesellschaftspolitische Manifest eines Mannes, der das Land regieren will, der Kanzler werden will. Ein Mann, der auch gegen eine Frau in den Ring steigt und in der Lage ist gnadenlos zuzuschlagen. Die Delegierten wählen ihm mit 93,45 Prozent zu ihrem Kandidaten. Sie wollen Steinbrück boxen sehen.

Der Wahlkampf hat begonnen.

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