SPD nach der Wahl:Das kurze Jahr des Franz Müntefering

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Der SPD-Vorsitzende deutet nach dem Wahldebakel und Kritik aus den eigenen Reihen seinen Rückzug an. Doch wer folgt ihm nach?

Susanne Höll

Wenn man die Dinge richtig versteht, macht sich die SPD daran, ihren bisherigen Vorsitzenden-Rekord zu brechen. Beim Parteitag im November in Dresden dürfte es abermals einen Wechsel an der Spitze geben, den dann zehnten Nachfolger von Willy Brandt. Getrieben von Kritik aus den eigenen Reihen machte Franz Müntefering, wenn auch etwas umständlich klar, dass er sich nach dem Wahldesaster der SPD auf einen neuerlichen Rückzug aus seiner Spitzenfunktion einrichtet.

Müntefering, der erst vor Jahresfrist auf Bitten des nachmaligen Kanzlerkandidaten Frank-Walter Steinmeier zurück in die Bundespolitik gekehrt war und nach dem Rücktritt des tief gekränkten damaligen Vorsitzenden Kurt Beck sein altes Amt neu übernahm, ergriff am Montag die Initiative. Auf die Frage eines Journalisten, ob man ihn recht verstehe, dass er auf eine neuerliche Kandidatur in Dresden verzichte, antwortete Müntefering: "Sie können davon ausgehen, dass Sie nahe an der Wahrheit sind mit Ihrer Frage." Und ebenso umständlich gab Müntefering zu verstehen, wen er gern als seinen Nachfolger sehen würde, Steinmeier nämlich. Falls der neben dem Fraktions- auch noch den Parteivorsitz übernehmen wolle, werde er, Müntefering, sich nicht sträuben. "Das wäre für mich sofort akzeptabel", sagte er.

Dass Müntefering sich nicht klarer ausdrückte, hängt mit dem miserablen Abschneiden der SPD bei der Bundestagswahl und der allseits spürbaren Ratlosigkeit der sozialdemokratischen Spitzenpolitiker zusammen. Die fordern allesamt, dass man aus dem desaströsen Resultat vom Sonntag Konsequenzen ziehen müsse, auch personeller Art, wissen aber nicht, wie die aussehen sollen und können.

Einen unumstrittenen Nachfolger für Müntefering gibt es nicht. Selbst Steinmeier, der nach Lage der Dinge der Posten ohne Gegenkandidatur offen steht, ist nicht für alle überzeugend. Wieso der einstige Kanzlerkandidat, der das Ergebnis von nur 23 Prozent mit zu verantworten habe, als neuer Partei- und Fraktionsvorsitzender den Neubeginn der SPD ernsthaft verkörpern wolle, können auch namhafte Sozialdemokraten nicht verstehen.

Die Antwort: Es fehlt aus Sicht der meisten derzeit eine Alternative. Aus SPD-Führungskreisen verlautete, es gebe bereits einen Plan. Danach solle Steinmeier auch Parteichef werden. Ihm sollten statt der bislang drei dann fünf Stellvertreter an die Seite gestellt werden. Unter ihnen sei Andrea Nahles, die schon Vize-Chefin ist.

Vier Neulinge sollten hinzukommen: Berlins Regierender Bürgermeister Klaus Wowereit, der bisherige Arbeitsminister Olaf Scholz, Umweltminister Sigmar Gabriel sowie die nordrhein-westfälische SPD-Vorsitzende Hannelore Kraft, die den größten SPD-Landesverband vertritt und im kommenden Mai eine auch aus Bundessicht wichtige Landtagswahl zu bestreiten hat. Dieser Plan ist aber bereits teilweise hinfällig: Scholz wurde am Montagabend vom Hamburger Landesverband als Nachfolger von Ingo Egloff nominiert, der am Nachmittag als Landeschef zurückgetreten war.

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Der amtierende Finanzminister Peer Steinbrück hatte zu verstehen gegeben, dass er im Fall, dass die SPD in die Opposition muss, zwar sein neues Bundestagsmandat, nicht aber einen Führungsposten in Partei oder Fraktion annehmen wolle. Müntefering und andere SPD-Spitzenpolitiker dementierten, dass es schon feste Absprachen gebe. Unter den als Stellvertretern Genannten wird bislang nur Gabriel offenes Interesse am Parteivorsitz nachgesagt.

Über eine personelle Neuausrichtung und insbesondere den Parteivorsitz hatten zahlreiche führende SPD-Politiker schon seit Sonntagnachmittag zahlreiche Gespräche in kleinem Kreis geführt, zunächst aber ohne klare Resultate. Steinmeier wurde von Vertrauten und namhaften Unterstützern gedrängt, außer dem Fraktionsvorsitz unbedingt auch den Parteivorsitz zu übernehmen, weil er sonst nicht über die volle Autorität eines Oppositionschefs verfügen würde.

Öffentlich und später auch im Präsidium machte der brandenburgische Ministerpräsident Matthias Platzeck kaum verhohlen klar, dass er sich Steinmeier als Parteivorsitzenden wünscht. Bis zum Montag hieß es aber, es sei unsicher, ob Steinmeier den Parteivorsitz tatsächlich anstrebe. Andere SPD-Politiker warnten Steinmeier vor diesem Schritt: "Dann ist er in einem Jahr am Ende. Jede neue Wahlniederlage, jeder Fehler der passiert, wird ihm dann in seiner Doppelrolle angerechnet", sagte ein Spitzenvertreter, der nicht genannt werden wollte.

Nicht Steinmeier, sondern vor allem Müntefering von Bundespolitikern, aber auch aus Landesverbänden seit dem Wahlabend für das desaströse Resultat und den gegenwärtig schlechten Zustand der SPD verantwortlich gemacht. Bei einem für Montagabend in Berlin angesetzten Treffen der Landes- und Bezirkschefs musste sich der Parteivorsitzende nach Einschätzung einiger Präsidiumsmitglieder auf Kritik einrichten.

Schon in den vergangenen Monaten hatte das Ansehen Münteferings gelitten, nicht nur beim linken Flügel, der ihn seit seiner Rückkehr und dem Rückzug Becks skeptisch beurteilte. Auch Vertreter des rechten Flügels äußerten zuletzt Kritik an dem Vorsitzenden. Dessen politische Kraft habe nachgelassen, er suche nicht das Gespräch mit den Parteikollegen im Bund und den Ländern, schließe sich mit wenigen Vertrauten im Willy-Brandt-Haus ab und sei, anders als in früheren Jahren, doch kein brillanter Wahlkämpfer mehr. Einige dieser Kritiker räumen aber ein, dass ihre Hoffnungen in Müntefering übergroß, vielleicht unrealistisch gewesen sein könnten. Im Willy-Brandt-Haus fanden sich am Wahlabend jedenfalls einige Sozialdemokraten, die sich unverhohlen für einen baldigen Rückzug Münteferings aussprachen.

Dass der Mann aus dem Sauerland am Montag nicht deutlicher wurde, liegt einerseits an Steinmeier und dessen immer noch unklaren Ambitionen. Zum zweiten muss eine Neuaufstellung mit allen Akteuren und möglichst vielen Gremien abgeklärt werden, um Eifersüchteleien und Flügelkonflikte zu vermeiden. Anderenorts führte die historische Wahlschlappe bereits zu personellen Konsequenzen. Neben Egloff kündigte auch Bayerns SPD-Landesfraktionschef Franz Maget an, sein Amt zurückzugeben. In Baden-Württemberg erwägt die Landeschefin Ute Vogt ihren Rückzug.

Am Montag war auch die Zusammensetzung der neuen, auf 146 Mitglieder geschrumpften neuen SPD-Bundestagsfraktion klar, die sich am Dienstag erstmals treffen und Steinmeier als Nachfolger des scheidenen Peter Struck zum Vorsitzenden wählen soll. Einige Mitglieder der einstigen Fraktionsführung verpassten am Sonntag den Einzug in den Bundestag. Unter ihnen ist auch der bisherige Vize-Fraktionsvorsitzende Klaas Hübner, der in Sachsen-Anhalt seinen Wahlkreis nicht direkt gewinnen konnte. Er galt als der letzte namhafte Wirtschaftsexperte der SPD in der Fraktion.

Der bisherige Parlamentarische Geschäftsführer der Fraktion, Thomas Oppermann, soll auch unter Steinmeier im Amt bleiben. Trotz mancher Bedenken gilt Steinmeiers Wahl zum Fraktionschef als sicher. Der in der Bundespolitik bislang wenig bekannte Vorsitzende der SPD-Landtagsfraktion in Mecklenburg-Vorpommern, Norbert Nieszery, kritisierte allerdings Steinmeiers Pläne. "Herr Steinmeier steht für die SPD, die über die Maßen Glaubwürdigkeit bei den Menschen verspielt hat", sagte Nieszery.

© SZ vom 29.09.2009/jab - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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