Bundestagswahl:Plötzlich weiß die SPD genau, was sie will

Election Night: Social Democrats (SPD)

Für Martin Schulz und die SPD geht es nun darum, wie sie weitermachen.

(Foto: Getty Images)
  • Die SPD will keine große Koalition mehr, Martin Schulz aber Parteivorsitzender bleiben.
  • Nicht alle in der Partei stützen nach dem Debakel diese Entscheidung.
  • Und was passiert eigentlich, wenn das Jamaika-Bündnis platzen sollte?

Von Christoph Hickmann, Berlin

Fast genau acht Jahre ist es an diesem Sonntagabend her, dass im Willy-Brandt-Haus eine Menschenmenge stand, das schlechteste SPD-Ergebnis seit Bestehen der Republik zur Kenntnis nahm und dann den Wahlverlierer Frank-Walter Steinmeier mit kräftigem, teils frenetischem Applaus bedachte. Genauso läuft es auch diesmal, als um 18.30 Uhr Martin Schulz vor seine Anhänger tritt: Jubel, Applaus. Und diesmal rufen sie hier tatsächlich "Martin! Martin!"

Dabei ist jetzt schon klar, dass dieses Ergebnis noch einmal schlechter, und zwar deutlich schlechter ist als jene 23 Prozent, die sich der Partei 2009 als Trauma eingebrannt haben. (Am Ende werden es 20,5 Prozent.) Damals jubelten sie trotzdem, als Steinmeier verkündete, den Vorsitz der SPD-Bundestagsfraktion zu übernehmen. Und auch diesmal erntet Schulz Jubel, als er ankündigt, Parteivorsitzender bleiben zu wollen. Er empfinde es, so sagt er, als seine Aufgabe, den Prozess der Neuaufstellung als Parteichef anzuführen.

Man fragt sich: Geht's noch?

Und man sieht an den Genossen um Schulz herum, dass sich manche diese Frage ebenso stellen. Andrea Nahles zum Beispiel, die Arbeitsministerin, sie klatscht bei dieser Aussage nicht - anders als Sigmar Gabriel, der den Kanzlerkandidaten Schulz sozusagen erfunden hat. Die Sache mit dem Parteivorsitz, das zumindest raunen manche an diesem Wahlabend, sei womöglich noch nicht endgültig entschieden. Erst im Dezember werde der Vorsitzende gewählt. Die Strecke bis dahin sei lang.

Allerdings macht Schulz in den gut zehn Minuten seines Auftritts noch eine andere bedeutsame Aussage, und für die bekommt er noch mehr Applaus als für die Ankündigung, trotz der Niederlage Chef bleiben zu wollen: Er erklärt die Zusammenarbeit mit der Union, die große Koalition, für beendet. Angela Merkel, sagt er, habe in den vergangenen Wochen eine Präferenz für ein Bündnis mit FDP und Grünen erkennen lassen. Die Frage ist zwar, woher er diese ziemlich exklusive Erkenntnis nimmt - doch das geht im Lärm unter, in den Schulz hineinruft, die SPD werde nun in die Opposition gehen. Es ist das, wonach sie sich hier so sehr gesehnt haben: endlich Schluss mit Schwarz-Rot.

Nur, was passiert eigentlich, wenn das sogenannte Jamaika-Bündnis platzen sollte? Stünde die SPD dann nicht doch wieder zur Verfügung? Staatspolitische Verantwortung und so? Auf keinen Fall, wird am Sonntagabend im Willy-Brandt-Haus versichert. Das sei nicht denkbar - anders als 2013, als man am Wahlabend zunächst auch harsch klang und am Ende trotzdem sprang. Weniger einig sind sich die Genossen darin, wie es personell weitergehen soll. Kann sich ein Vorsitzender halten, der dieses Ergebnis eingefahren hat?

"Nä", sagt Schulz später in einem Interview auf die Frage, ob er nicht wenigstens kurz überlegt habe hinzuwerfen. Doch in der Sitzung der engsten Parteiführung am späten Nachmittag soll es durchaus Debatten gegeben haben. Und in einer Telefonschalte des Parteivorstands soll Brandenburgs Ministerpräsident Dietmar Woidke der einzige Teilnehmer gewesen sein, der Schulz für seinen Einsatz als Wahlkämpfer dankte. Dass sich niemand anschloss, wird in der Parteizentrale als Indiz dafür gedeutet, dass die SPD-Spitze nicht so geschlossen dasteht, wie es nach außen wirken soll. In drei Wochen wird in Niedersachsen der Landtag neu gewählt, bis dahin wollen manche Genossen Ruhe haben, allen voran Ministerpräsident Stephan Weil, der verzweifelt gegen die Abwahl kämpft. Was danach kommt, wird man sehen.

Bleibt die Frage, wer den Fraktionsvorsitz übernimmt

Und dann ist da noch die Frage, wer den Fraktionsvorsitz übernimmt. Auch hier wogen die Meldungen an diesem Abend zunächst hin und her. Die einen, wie der konservative Seeheimer Kreis, sprechen sich für Schulz aus - während andere Andrea Nahles favorisieren, bislang Arbeitsministerin. Schulz selbst ist es, der dann in einem Fernsehinterview zumindest teilweise Klarheit schafft: Er selbst strebe den Fraktionsvorsitz nicht an, sagt er, sondern wolle sich auf den Parteivorsitz konzentrieren. Wobei er vorher durchaus erwogen hat, beides für sich zu reklamieren.

Es war der bisherige Fraktionschef Thomas Oppermann, der Schulz in einer internen Runde am Sonntag klarmachte, dass es für ihn in der Fraktion keine Mehrheit gebe. Und wer wird es nun? Dazu gibt es am Wahlabend zunächst keinen abschließenden Stand. Allerdings sieht alles danach aus, als stünden Andrea Nahles' Chancen sehr gut. Sie werde es wohl, heißt es. Schon beim Auftritt des Kandidaten ist sie direkt neben ihm positioniert, zu seiner Linken. Überhaupt hat die Regie, statt all der sauertöpfisch dreinschauenden Männer früherer Wahlabende, überraschend viele Frauen um Schulz herum gruppiert. Es steht dort Manuela Schwesig, Ministerpräsidentin von Mecklenburg-Vorpommern, es steht da Malu Dreyer, Regierungschefin in Rheinland-Pfalz. Die Partei, das hatten diverse Strategen vor diesem Wahlabend verbreitet, müsse künftig jünger daherkommen und vor allem weiblicher. Bleibt die Frage, ob die Frauen sich damit zufriedengeben werden, bei Auftritten des Chefs zentraler im Bild zu stehen als bisher. Nahles als Fraktionschefin, das wäre allerdings ein echtes Signal - zumal dieser Posten in der Opposition letztlich wichtiger ist als der des Parteivorsitzenden.

Gekämpft bis zuletzt - Schulz ließ sogar Freunde wie Gegner staunen

In der sogenannten Elefantenrunde der Spitzenkandidaten hat dann an diesem Abend im Fernsehen aber noch einmal Schulz einen großen Auftritt. Wobei groß hier nicht zwingend großartig heißt - stattdessen lässt er erst mal ordentlich Druck ab. Von einer "verdienten Niederlage" der Union spricht er da - und beklagt noch einmal, wie schon dauernd im Wahlkampf, dass sich die Kanzlerin der Auseinandersetzung verweigert habe. Als ihn einer der Moderatoren unterbricht, sagt Schulz, es reiche ihm, dass man ständig im öffentlich-rechtlichen Fernsehen "Lektionen erteilt" bekomme. Er wolle jetzt erst mal seinen Gedanken zu Ende führen. Das tut er dann. Man kann ja verstehen, dass es in ihm arbeitet, schließlich hat er gekämpft bis zuletzt - und zwar so, dass Freunde wie Gegner staunten. Am Ende dieses Kampfes, bei seiner letzten Kundgebung in Berlin, sagte er am Freitagabend: "Geht wählen." Was er anfügte, klang fast schon wie eine Rechtfertigung: "Ich kämpfe nicht aus Selbstzweck. Ich kämpfe nicht für mich."

Doch genau das dürfte in den nächsten Wochen auf ihn zukommen: Martin Schulz wird nun auch für sich kämpfen müssen.

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