SPD-Kandidat:Mehr Gerechtigkeit und mehr Gefühl

Martin Schulz tastet sich vorsichtig an programmatische Aussagen heran. Er steht zur Agenda 2010, räumt aber Fehler ein - die er als Kanzler wiedergutmachen will.

Von Cerstin Gammelin, Berlin

Wer Martin Schulz über die Jahre begleitet hat, weiß, dass er vor allem eines kann: laut und deutlich auftreten. An diesem Wochenende hat der Kanzlerkandidat der Sozialdemokraten erkennen lassen, dass er sich auch anders zu präsentieren vermag: selbstkritisch und differenziert in den Argumenten. In einem Interview mit dem Spiegel und auf dem sogenannten Hessengipfel der SPD im osthessischen Friedewald ließ Schulz ebenso freimütig "Stilkritik" an seinen Äußerungen zu wie er einräumte, sich vor programmatischen Festlegungen - etwa zur Vermögensteuer - mit Experten seiner Partei konsultieren zu wollen. Was ihn nicht daran hinderte, erstmals in groben Zügen das wirtschaftspolitische Konzept zu skizzieren, mit dem er in den Wahlkampf ziehen will.

Für die in der SPD noch immer heftig umstrittene Agenda 2010 des früheren Bundeskanzlers Gerhard Schröder formulierte Schulz ein klares Ja, aber. Er habe Schröder und dessen Agendapolitik stets unterstützt, sagte er dem Spiegel. Tatsächlich gehört Schulz zu den Initiatoren, die auf dem Nürnberger SPD-Parteitag im Jahre 2001 die geheimnisvolle "Nürnberger Mitte" gründeten, eine reformorientierte Strömung zwischen der "Parlamentarischen Linken" und dem konservativen "Seeheimer Kreis". Knapp zwei Jahre später dann legte Schröder seine Agenda 2010 vor. Die darin angestoßenen Reformen, sagt Schulz heute noch, seien "die richtige Antwort auf eine Phase der Stagnation" gewesen. Dass es heute in Deutschland Rekordbeschäftigung gebe, sei eben auch Schröder zu verdanken.

Rückblickend räumt Schulz zugleich Versäumnisse ein. "Wir haben auch Fehler gemacht", sagt er. "Wir hätten gleichzeitig den Mindestlohn einführen und Superreiche stärker belasten sollen". Weil die rot-grüne Regierung das damals nicht gemacht habe, sei der Eindruck entstanden, die Reformen seien ungerecht gewesen. Was dem Land geholfen habe, hätte der SPD schwere Kollateralschäden eingebracht. Weshalb eben jetzt Gerechtigkeit auf der Agenda ganz oben stehen müsse.

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Schulz' Versprechen: "Wer mit harter Arbeit sein Geld verdient, soll nicht schlechter gestellt sein als die, die nur ihr Geld arbeiten lassen."

(Foto: Frank Rumpenhorst/dpa)

Aber geht das überhaupt, dass eine nationale Regierung angesichts globaler Krisen, international agierender Konzerne und eines nahezu unkontrollierbaren Internets in den eigenen Grenzen für Gerechtigkeit sorgen kann? Schulz verlegt sich abermals auf ein Ja, aber. Sicher sei, dass er keine "absolute Gerechtigkeit" garantieren könne. Sondern nur versprechen, "alles Menschenmögliche" zu tun, das er Gerechtigkeit sichere oder mehr davon schaffe. Vor allem, wenn es um gleichberechtigte Chancen auf Bildung gehe oder den gleichberechtigten Zugang ins Internet.

Der Kanzlerkandidat kündigte zugleich an, sich ureigenen sozialdemokratischen Aufgaben zu widmen, etwa prekäre Arbeitsverhältnisse zu reduzieren. "Wir könnten die Zulässigkeit von Leih- und Zeitarbeit deutlich begrenzen, wenn wir die notwendigen Mehrheiten dafür hätten", sagte Schulz. Diese Beschäftigungsverhältnisse seien einst geschaffen worden, um flexibel auf krisenhafte oder vorübergehende Engpässe in der Produktion reagieren zu können. Manche Arbeitgeber hätten dies allerdings ausgenutzt, um die Löhne zu drücken. "Generell muss gelten: gleicher Lohn am gleichen Platz für gleiche Arbeit."

In der Steuerpolitik hält sich der Kandidat noch bedeckt. Zwar will er "bei der Besteuerung großer Vermögen nachlegen". Wie genau, lässt er offen. Nur die Richtung deutet er an: "Die Menschen, die mit harter Arbeit ihr Geld verdienen, dürfen nicht schlechtergestellt sein als die, die nur ihr Geld für sich arbeiten lassen". Was nichts anderes heißt, als dass der Kanzlerkandidat bestätigt, was die Sozialdemokraten schon länger fordern: Sie wollen die Abgeltungsteuer für Kapitalerträge abschaffen, die Einkommen aus Kapital pauschal mit 25 Prozent besteuert. Schulz' Parteifreund Peer Steinbrück hatte sie einst eingeführt, und gegenüber Kritikern in den eigenen Reihen mit dem Satz rechtfertigt: "Besser 25 Prozent von X, als 42 Prozent von nix."

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Kanzlerkandidat Martin Schulz (SPD), 61, beendet sein Mandat im Europäischen Parlament zum 10. Februar. Dieses Jahr kandidiert er erstmals für den Deutschen Bundestag.

(Foto: Harald Tittel/dpa)

Schulz verzichtet zugleich darauf, sich verbal auf potenzielle Koalitionspartner zuzubewegen, vor allem auf Grüne oder Linke. Vermögensteuer? "Bitte haben Sie Verständnis dafür, dass ich das erst mal mit Leuten wie Thorsten Schäfer-Gümbel diskutieren will." Hartz-IV-Sanktionen abschaffen? "Nicht pauschal." Bedingungsloses Grundeinkommen? Er sei "kein Befürworter des bedingungslosen Grundeinkommens. Ich bin aber sehr wohl ein Befürworter von anständigen Tariflöhnen, dauerhaft sicheren Arbeitsverhältnissen, Mitbestimmung und einer permanenten Überprüfung der sozialen Rechtfertigung von Ansprüchen und Zahlungen".

Schulz will die Bürger nicht nur mit Inhalten, sondern auch über Gefühle ansprechen. Es stehe ein Wahlkampf bevor, "wo wir beweisen müssen, dass wir nicht nur Kopfmenschen sind", sagte er am Samstag im osthessischen Friedewald. Es gehe immer auch um Gefühle. Die SPD müsse "im Bauch spüren, was es heißt, wenn der K+S-Arbeiter morgens aufwacht und nicht weiß, wie es weitergeht". K+S ist ein alteingesessenes Unternehmen mit Sitz in Kassel, das Düngemittel und andere Salzprodukte herstellt.

Der künftige SPD-Chef verzichtet auf das Übergangsgeld der EU. Ihm stehen 170 000 Euro zu

Von welchem Geld Schulz in den kommenden Monaten selbst leben will, ist derzeit noch unklar. Wie am Wochenende bekannt wurde, will der Kanzlerkandidat nach seinem Ausscheiden aus dem EU-Parlament auf das ihm zustehende Übergangsgeld aus Straßburg verzichten. Das geht aus einem Brief des bisherigen EU-Parlamentspräsidenten an die Bundestagsverwaltung hervor, die in Deutschland für derartige Mandatsangelegenheiten zuständig ist. In dem Brief heißt es, Schulz lege sein Mandat zum 10. Februar 2017 nieder "und verzichtet hiermit auf sämtliche Übergangsgeldansprüche". Dem designierten SPD-Chef hätten knapp 170 000 Euro an Übergangsgeld zugestanden. Das monatliche Grundgehalt des Parlamentspräsidenten beträgt, wie das aller 751 Abgeordneten, fast 8500 Euro vor Steuern, dazu kommen diverse Zuschläge und Pauschalen. Schulz hatte die europäische Volksvertretung in den vergangenen fünf Jahren präsidiert und das Kunststück geschafft, das Parlament in Straßburg europaweit bekannt zu machen, indem er sich stärker in aktuelle politische Debatten einbrachte als seine Vorgänger. Bei der Bundestagswahl im September will Schulz als SPD-Spitzenkandidat das Kanzleramt erobern.

Seit der Bekanntgabe seiner Kandidatur gewann die SPD nach Angaben des Parteimagazins Vorwärts bundesweit 3195 neue Mitglieder. In Umfragen nähert sich die Partei der 30-Prozent-Marke.

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