SPD:Jünger und weiblicher, jetzt aber wirklich

Andrea Nahles soll die erste Chefin der SPD werden. Ihr Image war lange schlecht. Das ändert sich zwar, doch leicht wird ihre Aufgabe trotzdem nicht.

Von Hannah Beitzer, Berlin

Es ist noch lange nicht das Ende eines ohnehin schon langen Tages, als Martin Schulz an diesem entscheidenden Mittwoch um kurz vor sieben im Willy-Brandt-Haus steht und redet und redet. Schulz erklärt, warum der Koalitionsvertrag, den er mit der Union ausgehandelt hat, gut ist, er steigt tief in die Kapitel ein, wie er es schon den ganzen Tag immer wieder getan hat. Neben ihm steht Andrea Nahles, nickt und lächelt. Sie soll Schulz' Nachfolgerin als SPD-Vorsitzende werden.

Schulz redet viel mehr als Nahles, lang und breit erklärt er seine Entscheidung für die große Koalition und für sie als seine Nachfolgerin; selbst auf Fragen, die die Journalisten ihr stellen, antwortet er. Und doch sind es ihre Sätze, die hängenbleiben. Was sie besser kann als Schulz? Nur ein Wort: "Stricken." Sie dankt ihm für seine Kollegialität, für die Bereitschaft, einen Generationenwechsel in der SPD durchzuziehen, lobt dessen Erfolge in den Koalitionsverhandlungen. Punkt. Andrea Nahles strahlt Souveränität aus an diesem Abend, gerade im Vergleich zu Schulz, dessen Ausführungen ein wenig umständlich geraten. Wenn die Partei zustimmt, dann wird die 47-Jährige als erste Frau in der 154-jährigen Geschichte der Partei die SPD führen.

Kann Andrea Nahles die SPD erneuern?

Andrea Nahles wurde 1970 als Tochter eines Maurers und einer Finanzamt-Angestellten in Mendig in der Vulkaneifel geboren, mit 18 trat sie in die SPD ein, war Vorsitzende der Jusos, Generalsekretärin der SPD und Arbeitsministerin. Sie bekämpfte die Agenda 2010 und setzte sich nach der Wahlniederlage der SPD 2005 in einem Machtkampf um das Amt der Generalsekretärin gegen den Kandidaten des damaligen Parteichefs Franz Müntefering durch. Müntefering trat danach nicht mehr als SPD-Chef an. Als Arbeitsministerin war sie für die Einführung des Mindestlohns und die Rente mit 63 verantwortlich. Nach der Bundestagswahl wurde sie als erste Frau Fraktionschefin der SPD im Bundestag. Nun steht also die nächste Aufgabe an.

Leicht wird sie nicht. Noch vor Nahles' möglicher Wahl zur Parteivorsitzenden steht der Mitgliederentscheid über die große Koalition an, für die Nahles gemeinsam mit Schulz wirbt. Und sie muss die SPD zusätzlich überzeugen, dass sie die Partei nach der Wahlniederlage wiederbeleben kann. Einen Neuanfang fordern viele, am lautesten die Gegner der großen Koalition um Juso-Chef Kevin Kühnert. Der hatte gleich nach Bekanntwerden der Personalrochade in der SPD getwittert: "#NoGroko bedeutet auch die Absage an den politischen Stil, der heute aufgeführt wird."

Ist eine altgediente Funktionärin und Befürworterin der großen Koalition wie Nahles also überhaupt die richtige für einen Neuanfang in der SPD? Jünger und weiblicher als er, das kann sich Schulz nicht verkneifen zu sagen, sei sie ja in jedem Fall. Aber da sei noch mehr: "Andrea Nahles ist eine Person, die Hammer und Amboss gleichzeitig sein kann. Sie kann Schläge austeilen, aber auch abfangen." Das trifft es schon ganz gut.

Ihr Image war lange schlecht

Stichwort Schläge austeilen: Andrea Nahles ist bekannt dafür, auch mal derbe Worte zu wählen, manchmal sogar in die Albernheit abzudriften. Youtube-Videos von ihr, wie sie im Bundestag in schräger Tonlage das Pippi-Langstrumpf-Lied anstimmt, belegen diese Wahrnehmung für die Ewigkeit. Nach der Bundestagswahl gab es mächtig Aufregung, weil sie scherzhaft ankündigte, ihren ehemaligen Koalitions- und Kabinettskollegen von der Union "auf die Fresse" geben zu wollen.

Viele in der SPD, insbesondere im rechten Flügel, tragen es ihr bis heute nach, dass Franz Müntefering ihretwegen den Parteivorsitz aufgab - so steht es heute noch in den Berichten über sie. Und auch ihre früheren Auftritte als laute Juso-Chefin formen noch das Bild von Nahles als Nervensäge, als linke Krawallschachtel, als Proletin, als karrieregeile Parteifunktionärin.

Das Bild von Nahles wandelt sich

Da ist man beim Stichwort Schläge einstecken: Denn Nahles bekam dieses Bild oft genug um die Ohren gehauen. Frühe Zeitungsartikel über sie, das Mädchen vom Lande, waren gönnerhaft und herablassend, ihre Beliebtheitswerte sind mau, regelmäßig toben sich die Hasser unter jedem Artikel über sie in den Kommentarspalten der sozialen Medien aus. Doch seit einiger Zeit ändert sich der Ton: Im vergangenen Jahr erschienen sowohl im Spiegel als auch im SZ Magazin Porträts, die sie als eine beschrieben, die Respekt sucht - und die nahelegen, dass sie ihn auch verdient.

Sie habe "Substanz", zitiert etwa das SZ Magazin ihren einstigen großen Gegner Müntefering. Außerdem, so schreibt Autor Thomas Bärnthaler, könne sie eine einnehmende Rednerin sein, sei nie staatstragend oder langweilig. Es gebe eigentlich einiges, was die Bevölkerung für sie einnehmen müsste: "Sie ist ein Teil jener Post-68er-Generation, die aus dem Schatten der Ideologisierung getreten ist, aber noch unkonventionell genug war, um frischen Wind in die Politik zu bringen. Als Arbeiterkind hat sie gezeigt, wie weit man kommen kann, wenn man hart dafür arbeitet. Sie hat lange den Sozialstaat gegen den neoliberalen Schröder-Kurs verteidigt. Sie ist Mutter einer fünfjährigen Tochter (sie ist heute sieben; Anm. d. Red.), macht aber kein großes Auf­hebens um den Spagat, den so ein Leben mit sich bringt."

Und der Spiegel-Artikel von Veit Medick legt nahe, dass ein Teil der Ablehnung, die Nahles in der Bevölkerung entgegenschlägt, schlicht Sexismus sein dürfte: "Was ihr als Hysterie ausgelegt wird, gilt bei Männern als Entschlossenheit. Wo sie aufmüpfig ist, sind die Kollegen angeblich durchsetzungsstark. Teilt sie die Welt in Gut und Böse, wird das als Kaderdenken eingestuft, bei Männern ist es Strategie." Und: "Niemand hat etwa Gerhard Schröder seinen Ehrgeiz vorgeworfen. Er war der Mutige, wenn er Parteifreunde aus dem Weg räumte. Es war Machtwille, wenn er am Zaun des Kanzleramts rüttelte."

Der lange Weg von links in die Mitte

Auffällig ist auch, dass sich über das "Fresse"-Zitat kurz nach der Bundestagswahl diejenigen am wenigsten aufregten, an die es eigentlich gerichtet waren: die politische Konkurrenz von der Union. Unionspolitiker schätzen Nales' Arbeit als Ministerin, heißt es einhellig. Ihr spezieller Stil? Halb so wild. Und wie steht es um ihren Ruf in der SPD? Das bleibt kompliziert, wie SZ-Redakteur Christoph Hickmann in diesem Artikel schreibt:

"Es ist ein weiter Weg, den Andrea Maria Nahles, 47, in ihrer Partei mittlerweile gegangen ist, von links außen in die Mitte. Das begann bereits, als sie 2007 zur stellvertretenden Parteivorsitzenden gewählt wurde. Und spätestens als sie Ende 2009 Generalsekretärin wurde, gab sich die frühere Anführerin der Parteilinken als 'Zentristin'. Sie, die unter konservativen Sozialdemokraten für ihre Angriffslust gefürchtet war, musste sich nun um die Belange der gesamten Partei kümmern. Auch als Arbeits- und Sozialministerin setzte sie in der vergangenen Legislaturperiode zwar diverse sozialdemokratische Herzensanliegen um, agierte aber stets pragmatisch und verlässlich, was ihr bei der Union Respekt und Wertschätzung eintrug. Von den eigenen Leuten hingegen musste sie sich zum Teil harte Kritik anhören - zum Beispiel, ausgerechnet, als der Mindestlohn durchgesetzt war: Statt das Projekt als Meilenstein zu feiern, prangerten die Jusos gemeinsam mit manchen Parteilinken die Ausnahmen an, die es geben sollte."

Und dann ist da ja auch noch die Sache mit der großen Koalition. Andrea Nahles ist dafür - und hielt auf dem Parteitag, als es um die Aufnahme von Verhandlungen mit der Union ging, eine Rede für die große Koalition, die so gut war, dass es für den eigentlichen Parteichef Martin Schulz ebenso gefährlich wurde wie für die von den Jusos angeführte Gegner-Fraktion. Spätestens seitdem dürfte ihr Name ebenso mit dem SPD-Mitgliederentscheid verbunden sein wie der von Martin Schulz. Nach der Rede herrschte unter Beobachtern jedenfalls nur noch eine Meinung vor: An dieser Frau führt in der SPD kein Weg vorbei. Die Frage ist nun, was sie draus macht.

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