SPD in Nordrhein-Westfalen:Hilflose Hoffnungsträgerin

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Verkümmerte Gespräche, ein abgelesenes Statement, Nachfragen nicht erlaubt: SPD-Landeschefin Hannelore Kraft hat den Fall Clement deutlich unterschätzt. Nun werfen ihr Kritiker fehlenden Instinkt vor.

Dirk Graalmann

Den Fall Wolfgang Clement gibt es bereits als Kurzversion: Die SPD in NRW schließt auf Antrag nordrhein-westfälischer Genossen ihren früheren Ministerpräsidenten aus. Ein Akt der Selbstverstümmelung, so die simple Deutung.

Hannelore Kraft erfuhr erst durch Journalisten von Wolfgang Clements Parteiausschluss. (Foto: Foto: AP)

Und Hannelore Kraft, die mächtigste Sozialdemokratin in NRW, Landes- wie Fraktionsvorsitzende, Chefin des größten SPD-Landesverbandes, designierte Spitzenkandidatin für die Landtagswahl 2010, diese so augenscheinlich mächtige Frau hat es nicht verhindern können. Der politische Schaden für die SPD ist hoch, ihre Schwächung ist der Kollateralschaden.

Hannelore Kraft weiß, dass man ihr öffentlich mangelndes Geschick attestieren wird. Ihr sanfter Verweis, dass die Landesschiedskommission "völlig unabhängig und ohne Weisungen" arbeite, ist juristisch korrekt. Aber in der politischen Realität, in der gekungelt und gefeilscht wird wie auf dem Basar, gleicht er einer Kapitulation. Sie war von der Bestätigung der Rüge ausgegangen, sie erfuhr - das versichert sie ebenso wie ihr Umfeld vehement - erst durch einen Journalisten von dem Ausschluss. Es gibt nicht wenige, die ihr jetzt fehlenden Instinkt vorwerfen, ihr vorhalten, "den eigenen Laden nicht im Griff zu haben".

Aufmunterung für die linken Genossen

Die 47-Jährige hat den Fall unterschätzt, wie so viele. Sie aber hätte es vielleicht besser wissen müssen als jeder andere. Es war schließlich Clement, der sie anno 2001 zur Ministerin machte, es sind Ortsvereine ihrer Heimat gewesen, die laut scheppernd den Kampf aufnahmen. Sie hat es laufen lassen, vielleicht, so spekulieren manche in Düsseldorf, weil ihr eine Rüge als Warnsignal für Clement und zugleich Aufmunterung für die linken Genossen gar nicht unrecht gewesen sei.

Krafts Beziehung zu Clement ist ambivalent. Sie selbst spricht von einem "guten persönlichen Verhältnis", auch wenn man politisch nicht stets einer Meinung sei. "Damit können wir beide umgehen. Grundsätzlich gilt, dass ich kantige Typen mag." Bei Leuten, die sie besser kennen, hört man eine andere Version: "Sie muss und will ihn ertragen."

Kraft selbst habe, so heißt es in SPD-Kreisen, der Berliner Parteiführung versichert, dass sie "sich gekümmert" habe. "Kümmern" ist ihr Lieblingswort, ein edler Begriff nahe an der sozialdemokratischen Seele. Doch ihre Versuche verkümmerten nur. Eine dezente Annäherung der SPD-Führung an die Schiedskommission endete mit deren Mahnung, sich nicht weiter einzumischen. Ein angekündigtes Gespräch mit Clement fand nie statt, den Kontakt mit den Klägern suchte Kraft offenbar erst gar nicht. "Sie hätte die Mittlerin sein können", sagt Martin Rockel vom Ortsverein Bochum-Hamme. "Doch sie hat uns nicht einmal zum Gespräch gebeten. Wir wären sofort gekommen."

Das dürfe sie rechtlich nicht, heißt es bei der SPD. Dabei hätte es wohl juristisch nicht angreifbare Möglichkeiten gegeben, Stimmungen auszuloten, Verhärtungen aufzulösen, Kompromisse zu organisieren. Sie hat es nicht getan - und am Donnerstag wirkte sie so, als ob es sie bitter reute. Nie sah die sonst so resolute Frau so hilflos aus wie in jenen Momenten, in denen sie den Entscheid vom Blatt ablas. Zwölf Sätze, 90 Sekunden, Nachfragen waren nicht erlaubt.

Krafts größtes Problem ist, dass es derzeit niemanden gibt, der sie wirklich stützen kann. Eine öffentlich wahrgenommene starke zweite Reihe gibt es in der NRW-SPD nicht. Seit dem Sturz in die Opposition hat Hannelore Kraft die Partei zwar mühsam wieder aufgerichtet, sie nach der schleichenden Entfremdung wieder in der Nähe der Gewerkschaften positioniert, doch der Exodus von Führungsfiguren ging weiter. Kraft gilt als Solitär, im Erfolgsfall ließe sie das hell strahlen.

Doch positive Schlagzeilen hat die Landes-SPD jüngst nur selten produziert. In Umfragen liegt Kraft deutlich hinter Ministerpräsident Jürgen Rüttgers (CDU), der mit ungerührter Chuzpe den Nachlassverwalter des sozialdemokratischen Übervaters Johannes Rau mimt. Kraft, die vielen Linken in NRW nach der Ära Clement/Steinbrück als Hoffnungsträgerin gilt, tut sich schwer, mit eigenen Positionen durchzudringen.

Der Fall Clement richtet das Brennglas darauf, wie fragil die SPD-Stimmungslage auch in Nordrhein-Westfalen ist. So hat die Bundestagsabgeordnete Ulla Burchardt für ihren Unterbezirk Dortmund konstatiert, dass der Beschluss "einhellig begrüßt wird". Dagegen polterte ihr Kollege Reinhard Schultz aus dem münsterländischen Everswinkel über die "lächerliche Entscheidung von ein paar wichtigtuerischen Funktionärskretins".

Es geht kreuz und quer, die Partei wirkt zerrissen. In tristen Momenten erinnert sich die SPD gern an ihre Tradition, in NRW besonders gern an Johannes Rau - und dessen Motto: "Versöhnen statt spalten". Das ist lange her.

© SZ vom 02.08.2008/cag - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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