SPD in der Krise:Verzagte Volkspartei

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Der krisengebeutelten SPD mangelt es an Autoritäten, die Partei schämt sich für alles, was sie macht. Bleibt die Partei weiterhin so verzagt, ist ihr Ende endgültig.

Heribert Prantl

Wenn in einem Hohlkörper der Innendruck niedriger ist als der Außendruck, kommt es zur Implosion: Das Objekt wird von den äußeren Kräften zerdrückt und fällt in sich zusammen. Das ist die Gefahr, die dem Hohlkörper SPD droht. Sie ist eine Partei geworden mit zu wenig Potenz, zu wenig Stolz, zu wenig Selbstbewusstsein und zu wenig Machtbewusstsein. Kurz gesagt: ihr fehlt das intellektuelle wie auch das politische Feuer.

Der letzte mit Machtbewusstsein und Schwung in der SPD: Altkanzler Gerhard Schröder. (Foto: Foto: ddp)

Ihr letzter Politiker mit Machtbewusstsein war Gerhard Schröder. Mit dieser Fähigkeit hat er seiner Partei die Agenda 2010 diktiert. Seit Schröder gilt daher das Machtbewusstsein als diskreditiert, auch deshalb liegt die SPD in Ohnmacht. Wäre Schröder an der Stelle von Andrea Ypsilanti in Hessen, hätte er dort mit der Linken schon koaliert - und zur Begründung erklärt, dass die SPD nun, wie damals bei den Grünen, die Aufgabe habe, die neue Partei zu parlamentarisieren und in die demokratische Pflicht zu nehmen.

Das würde dann zwar in der öffentlichen Meinung überwiegend als Unverschämtheit kommentiert; aber die Wähler könnten mit solcher Unverschämtheit wohl besser umgehen als mit der Verschämtheit, mit der die SPD derzeit Politik macht: Diese Partei schämt sich für fast alles, was sie macht und in jüngerer Zeit gemacht hat: sie schämt sich für die Agenda und für den Atomausstieg, sie schämt sich für Ypsilanti, für Clement und für Beck; sie schämt sich auch für ihre unverschämt schlechten Umfragewerte, die aber wiederum in erster Linie aus ihren Verschämtheiten resultieren. In dieser Partei herrscht der Narzissmus der Verzagtheit.

Bei der Linken ist das anders. Dort herrscht, das ist kein Kunststück, die Euphorie von Anfang und Aufbau. Die Linke sammelt das Fallobst der SPD, und sie lebt davon und von der Missachtung der anderen Parteien nicht schlecht. Aus dieser Partei kommen daher, um es deftig und mit Martin Luther zu sagen, die fröhlichen Fürze. Oskar Lafontaine, der einst auf dem legendären SPD-Parteitag von Mannheim ausgerufen hat: "Nur wer selbst begeistert ist, kann andere begeistern", versucht den Spruch nun noch einmal in politische Praxis zu übersetzen - und tut das in der Linkspartei mit fast derselben Politik, mit der er damals in der SPD, nach Mannheim, Erfolg hatte.

Es ist eine sozialdemokratische Politik, über die aber die Geschichte und die SPD hinweggegangen ist, gewürzt mit linkem Pathos. An der SPD-Basis verbindet sich damit auch Erinnerung an Leidenschaft und Begeisterung, an die Eigenschaften also, welche die SPD verloren hat. Das weckt roten Neid. Franz Müntefering will demnächst ein Buch veröffentlichen, das den Arbeitstitel "Blick nach vorn" trägt. Das Bittere für die SPD ist, dass ihr nicht einmal mehr der Blick nach hinten gelingt. Sie hat den Bezug zu ihrer Geschichte verloren. Das Bewusstsein, in einer Tradition zu stehen, die älter ist als die Staatlichkeit Deutschlands, ist mitsamt den Erfahrungen, die darin geborgen sind, abhanden gekommen. Die Wirren der ständigen Vorsitzenden-Wechsel haben dazu beigetragen.

Die Tradition der Sozialdemokratie ist eine Tradition auch ihrer Autoritäten: Nach Willy Brandt konnten als Vorsitzende nur Hans Jochen Vogel und Oskar Lafontaine, kurzzeitig, Autorität und Kontinuität verkörpern. Ihre Geschichte ist daher kein Lehrstück mehr für diese Partei: Aus der Geschichte von der Abspaltung, dem Aufstieg und dem Ende der Unabhängigen Sozialdemokratischen Partei Deutschlands (USPD) beispielsweise - eine Geschichte, die 1917 begann, glänzende Wahlerfolge verzeichnete, und schon 1922 wieder endete - , ließe sich für die SPD Gelassenheit lernen im Umgang mit der neuen USPD, die jetzt Linkspartei heißt, und die Überzeugung gewinnen, dass die SPD einen linken Flügel braucht: erstens zum fruchtbaren Streiten und zweitens, um höher fliegen zu können als bis zu zwanzig Prozent.

Die Geschichte der SPD lehrt, dass diese Partei dann strahlt, wenn sie mit sich ringt: Aus dem Ringen von Leuten wie Eduard Bernstein und vielen anderen mit ihrer Partei hat sie geistige Kraft gewonnen und den Weg zur Volkspartei gefunden. Sie ist Volkspartei geworden, weil sie es verstanden hat, Partei der kleinen Leute und derer am Rand der Gesellschaft zu bleiben und zugleich auch Partei der gesellschaftlichen Mitte zu werden. Wenn sie nur noch die gesellschaftliche Mitte vertreten will und die Kleinen und die Randständigen allein der Linkspartei überlässt, ist sie keine Volkspartei mehr. Dann wird sie mit den Schmuddelkindern koalieren müssen, um wieder politisches Gewicht auf die Waage zu bringen.

Die deutsche Demokratie befindet sich in der Krabbelstube des Fünfparteienlandes. Es zeigt sich, etwa beim schwarz-grünen Bündnis in Hamburg, dass sich die CDU da sehr viel schneller zurechtfindet als die SPD. Es ist aber nicht so, dass es kein Projekt mehr gäbe für eine Sozialdemokratie - im Gegenteil: dieses Projekt ist Gegenstand fast jeder Nachrichtensendung, es heißt "Spaltung der Gesellschaft". Wenn die SPD sich der Aufgabe, diese Spaltung zu verhindern, nicht beherzt annimmt, bleibt sie selbst als Partei gespalten. Dann wäre ihr Ende als Volkspartei endgültig.

© SZ vom 25.08.2008/cag - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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