SPD-Generalsekretärin Nahles:Mit einer ordentlichen Portion Pathos

Andrea Nahles SPD

Andrea Nahles bei einer Pressekonferenz.

(Foto: Reuters)

Generalsekretärin Andrea Nahles wirbt auf der ersten SPD-Regionalkonferenz für die große Koalition. Sie bewegt sich zwischen Lobpreis für die eigene Arbeit und Respekt vor der verunsicherten Basis. Trotzdem schont sie ihre Partei nicht: Sie trage die Verantwortung für das Gesamtergebnis. Das muss für manchen da im Saal wie eine Drohung klingen.

Von Nico Fried, Leinfelden-Echterdingen

Wenn Andrea Nahles demnächst Ministerin einer Regierung von Union und SPD werden sollte, dann hat sie sich diesen Platz in gewisser Weise hart ersessen. Die Generalsekretärin der SPD sitzt in der großen Runde der Koalitionsverhandlungen, sie sitzt in der kleinen Steuerungsrunde der engsten Parteiführungen, sie sitzt der Verhandlungsgruppe zu den Themen Arbeit und Soziales vor - und damit Ursula von der Leyen gegenüber, was sicherlich in vielfacher Hinsicht eine strapaziöse Aufgabe ist.

Neulich saß sie drei Tage auf dem Parteitag in Leipzig und bekam ein Wahlergebnis, das auch gesessen hat. Und an diesem Freitag abend sitzt Nahles wieder, jetzt in der Filderhalle von Leinfelden, das mit Echterdingen zusammen eine schwäbische Gemeinde bildet. Wenigstens ein paar Minuten konnte Nahles vorhin mal stehen, wenn auch nur im Stau auf dem Weg vom Flughafen Stuttgart zur ersten Regionalkonferenz der SPD.

Es geht um die große Koalition, könnte man einfach sagen. Aber einfach darf nichts sein dieser Tage in der SPD. Sonst sagen die Genossen von der Basis nämlich ganz schnell, die in Berlin hätten es sich zu einfach gemacht und stimmen in einem Mitgliedervotum Mitte Dezember womöglich gegen die große Koalition. Deshalb legt Nahles eine ordentliche Portion Pathos in ihre Worte, als sie mit halbstündiger Verspätung die Veranstaltung eröffnet und sagt, worum es wirklich geht: "Können wir die Weichen stellen, damit es Millionen Menschen besser geht?" Das müsse der Anspruch sein. "Darum geht es", sagt Nahles. Knapp 200 SPD-Mitglieder sind gekommen, wenn man mal ein wenig großzügig zugunsten der Partei schätzt. Nahles referiert, was die SPD in den Verhandlungen mit CDU und CSU schon erreicht habe und was sie noch erreichen wolle. Manchmal ist die Abgrenzung nicht ganz eindeutig zu erkennen, manchmal habe man sich grundsätzlich geeinigt, manchmal müsse man noch ein wenig kämpfen und manchmal sei halt nichts zu machen.

Vom richtigen Gefühl

Die Stimmung ist freundlich, Nahles wird immer mal wieder von Applaus unterbrochen. Was die Generalsekretärin alles als Erfolge der SPD anpreist, vom Mindestlohn über die Besserstellung von Werksvertragsarbeitern, die Mindestrente, mehr Pflegekräfte und die Abschaffung des pauschalen Zusatzbeitrages in der Krankenversicherung, hinterlässt durchaus Eindruck, auch bei den Skeptikern, wobei man wahrscheinlich die allermeisten hier als Skeptiker sehen muss. Nahles tut das jedenfalls: "Wenn ihr das Gefühl habt, hmmm, mal abwarten, dann ist das genau das richtige Gefühl", sagt sie. Noch sei ja nicht sicher, dass es zu einer großen Koalition kommen könne, aber sie sei optimistisch. Und: "Ihr entscheidet".

Es ist diese Spanne zwischen Lobpreis für die eigene Arbeit und Respekt vor der verunsicherten Basis, die jeder SPD-Spitzenpolitiker dieser Tage aushalten muss. Die Abstimmung der 470.000 Mitglieder soll daraus den Weg weisen. Weil die SPD noch immer eine linke Partei ist, könnte man es Dialektik nennen.

Millionen Menschen soll es also besser gehen. Das Problem, das sich damit eröffnet, besteht darin, dass es womöglich mehrere Millionen sein müssen, denn die Basis der SPD ist nicht nur sehr anspruchsvoll, sondern ausgesprochen diversifiziert. Schon die erste Rednerin, Leni Breymaier, macht deutlich, dass sie einen sehr individuellen Zugang wählen wird auf dem Weg zu ihrer Entscheidung im Mitgliedervotum: "Ich habe meine Leidenschaftsthemen. Und ich möchte, dass meine Leidenschaftsthemen im Koalitionsvertrag berücksichtigt werden." Wenn das so käme, würde sie zustimmen.

Verschärft wird dieses Verhalten in gewisser Weise noch dadurch, dass Leni Breymaier es versäumt, ihre Leidenschaftsthemen auch zu nennen. Da sie stellvertretende Vorsitzende der baden-württembergischen SPD ist, kann man diese Positionen möglicherweise irgendwo nachlesen. Aber so kann das ja nicht mit allen 37.000 Genossinnen und Genossen in Baden-Württemberg laufen.

"Die wollen das nicht"

Rund 30 Wortmeldungen hat Nahles an diesem Abend abzuarbeiten. Viele haben konkrete Fragen, die meisten zum Mindestlohn. Nahles sagt, es gebe 8,50 Euro, sonst gebe es keine Koalition, und was die Union da mit Eingewöhnungsfristen meine, wisse sie auch nicht genau. Viele vermissen die Steuererhöhungen, für die man doch im Wahlkampf gekämpft habe. Nahles sagt, die Union habe da "ideologisch eine Barriere". Dann macht sie ein wenig Hoffnung, dass bei der Abgeltungssteuer auf Kapitalerträge vielleicht noch etwas gehe, beim Subventionsabbau und bei der Betrugsbekämpfung.

Aber so richtig überzeugend klingt das nicht in den Ohren und Seelen der Sozialdemokraten, deshalb bedient sich die Generalsekretärin jetzt mal der Polemik: "Die wollen das nicht", sagt sie über CDU und CSU, "aber die ganzen Argumente, man dürfe die Wirtschaft nicht belasten und Investitionen nicht hemmen, das ist ja nur das Wording, das die dafür benutzen, um zu kaschieren, dass sie gut damit leben können, dass manche immer reicher werden und andere immer ärmer".

Es gibt noch so manchen Genossen, der von der Liste seiner persönlichen Leidenschaftsthemen referiert. Vieles hat mit größeren Belastungen für Reiche zu tun, Kampfdrohnen haben in der Südwest-SPD keine Zukunft, die Homo-Ehe schon eher. Und manche Frage nach der Energiewende und den künftigen Bedingungen für Photovoltaik auf dem Dach von Privathäusern scheint einfach nur der persönlichen Betroffenheit eines Häuslebauers geschuldet zu sein.

Wie eine Drohung

Nahles antwortet geduldig. Aber an der einen oder anderen Stelle schont sie ihre Partei auch nicht. Die Beteiligung der Mitglieder fänden ja nun alle gut, "aber Ihr tragt dann auch Verantwortung für das Gesamtergebnis", sagt Nahles. Das muss für manchen da im Saal wie eine Drohung klingen. Und was die Leidenschaftsthemen angehe, warnt Nahles die Basis: "100 Prozent werden wir nicht schaffen, das kann ich jetzt schon sagen."

Bleibt noch die eine Frage, die von manchen offengestellt wird und bei anderen nur mitschwingt: Wie könne die SPD vermeiden, aus dieser großen Koalition wieder so schlecht herauszukommen wie aus der letzten? Da wird Nahles einmal sogar richtig hart: "Es stört mich, wenn hier so ein beknackter Angstdiskurs geführt wird in unserer Partei", schimpft sie. "Wenn wir kämpfen wollen für sozialdemokratische Themen, dann müssen wir da auch reingehen. Wir müssen das nicht als Auflösung unserer Politik, sondern als Chance für unsere Politik begreifen." So erschrocken ist da die Basis, dass sie das Klatschen vergisst.

Nach gut zwei Stunden macht sich Nahles auf den Weg, 300 Kilometer muss sie noch fahren an diesem Abend. Am Samstag wartet schon die nächste Regionalkonferenz in Kaiserslautern. Es ist noch ein weiter Weg, bis alles sitzt mit dieser großen Koalition.

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