SPD:Gabriels Abschied von der großen Koalition

SPD-Bundesparteitag

Der SPD-Parteivorsitzende Sigmar Gabriel im Bundestag

(Foto: dpa)

Der SPD-Chef hat die Mitte-Links-Parteien dazu aufgerufen, miteinander regierungsfähig zu sein. Das ist ein Appell, so ein Bündnis anzustreben.

Kommentar von Nico Fried, Berlin

In diesen Tagen beginnt die SPD mit dem Abschied von der großen Koalition. Ein Abschied, angetrieben von der Enttäuschung, dass sich die Regierungsarbeit unter Angela Merkel nicht auszahlt. Ein Abschied, dem der Verzicht Joachim Gaucks auf eine zweite Amtszeit als Bundespräsident mit der Hoffnung auf einen linken Nachfolger Anschub verliehen hat. Ein Abschied, den Sigmar Gabriel anführt, der einst seinen ganzen Einfluss als Parteichef dafür einsetzte, die SPD in die große Koalition zu führen, dessen Macht als Parteichef aber nur erhalten bleiben wird, wenn er die SPD 2017 wieder vom schwarzen Joch befreit.

Gabriel weiß, dass die SPD sich nach der nächsten Bundestagswahl von ihm kein zweites Mal überzeugen lassen wird, wieder in die große Koalition zu gehen. Im Spiegel hat der SPD-Chef nun angesichts des Erstarkens rechtspopulistischer Parteien und Bewegungen die Mitte-Links-Parteien dazu aufgerufen, miteinander regierungsfähig zu sein. Überall in der Welt und eben auch in Deutschland. Das ist mehr als die Öffnung für Koalitionen mit der Linken, wie sie Gabriel schon auf dem ersten Parteitag nach der letzten Bundestagswahl veranlasst hat. Es ist der Appell, so ein Bündnis anzustreben.

Der SPD-Chef will die Welt vor rechts retten. Weniger geht nicht

Der Feind steht rechts, das Gute links - so lautet die Botschaft. Doch in Wirklichkeit ist ein solches Bündnis weit entfernt. Das Einzige, was SPD, Grüne und Linke derzeit verbindet, mag ein gemeinsamer Gegner sein. Jenseits davon ist aber kein gemeinsamer Plan sichtbar. Deshalb skizziert Gabriel nichts weniger als die Rettung der parlamentarischen Demokratie vor alten Nazis und neuen Rechten. Es ist, wenn man so will, ein Meta-Projekt: Was einen im Kleinen nicht verbindet, sucht man halt im Großen. Für eine gute Sache sucht er sich aber das falsche Bündnis.

Die SPD kämpft gegen doppelten Frust an. Der eine macht sich an der Basis breit. Er speist sich aus dem erbarmungswürdigen Zustand der Partei, Umfragewerten um die 20 Prozent und massiven Zweifeln am Vorsitzenden. Der andere Frust ist der des Sigmar Gabriel, dem die Kehrtwende nicht gelingt, der Regierungsarbeit wie das Freihandelsabkommen TTIP gegen die eigenen Leute rechtfertigen muss. Obwohl er der SPD-Chef ist, wird Gabriel deutlich seltener gefragt, wie er das Kanzleramt erobern will. Vielmehr soll er erklären, wer es an seiner Stelle tun könnte.

Um diese Malaise zu überwinden, braucht Gabriel eine Perspektive, und sei sie noch so vage. Die fehlende Machtoption war bei den letzten Bundestagswahlen stets ein Problem, weshalb weder Frank-Walter Steinmeier noch Peer Steinbrück zu echten Rivalen Merkels ums Kanzleramt avancieren konnten. Um dieses Defizit für 2017 zu beseitigen, erklärt Gabriel nun SPD, Grüne und Linke zum Kern des deutschen Ablegers einer weltweiten Allianz der progressiven Kräfte.

Was praktisch folgen soll, bleibt offen

Bernie Sanders müsse sich mit Hillary Clinton zusammentun, schreibt Gabriel mit Blick auf die USA. Das erscheint immer noch realistischer, als dass sich Frank-Walter Steinmeier von Sahra Wagenknecht zum Bundespräsidenten wählen lässt, auch wenn die jüngste Kritik des Außenministers an den Nato-Manövern in Osteuropa manches linke Herz höher schlagen lässt. So ehrenwert das von Gabriel beschriebene Ziel ist, die Rechte in die Schranken zu weisen, so steht jedenfalls für große Teile der SPD die Selbstachtung auf dem Spiel, sich nicht von einer Partei abhängig zu machen, deren Existenzgrundlage jahrelang die Bekämpfung der SPD gewesen ist.

Niemand kann Gabriel ernsthaft widersprechen, wenn er die Rechten zurückzudrängen will. Das ist ein Projekt, in das Gabriel nun die Glaubwürdigkeit seiner persönlichen Biografie als entsetzter Sohn eines unverbesserlichen Nazis investiert. Dass der SPD-Chef der Union und namentlich Angela Merkel eine Mitschuld am Erstarken der Rechten gibt, sie aber aus der Verantwortung für das Zurückdrängen dieser Strömung entlässt, erscheint indes nur verständlich, wenn man dahinter den Versuch einer künstlichen Lagerbildung zwischen rechts und links im weitesten Sinne und somit bar jeder Lebenswirklichkeit vermutet.

Wie so oft bleibt bei Gabriel offen, was nun praktisch folgen soll. Das erste sichtbare Signal wäre die Wahl eines rot-rot-grünen Bundespräsidenten. Mit seinem jetzigen Vorstoß hat sich der SPD-Chef in dieser Hinsicht völlig unnötig festgelegt, offenbar im Alleingang - wie aus dem gleichzeitig vorgetragenen Wunsch seines Stellvertreters Olaf Scholz nach einem Kandidaten von Union, SPD und Grünen ersichtlich ist. Kommt die linke Zusammenarbeit nun schon bei der Berufung des Staatsoberhauptes nicht zustande, ist Gabriel politisch gescheitert. Dann vermutlich endgültig.

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