Votum für Koalitionsverhandlungen:Ein Sieg, der Martin Schulz schwächt

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Martin Schulz hat in Bonn gewonnen und verloren zugleich. (Foto: Getty Images)

Mit einem knappen Ergebnis hat die SPD Koalitionsverhandlungen abgesegnet. Der Parteichef kann nicht für sich beanspruchen, die Delegierten überzeugt zu haben. Was das für die Gespräche mit der Union bedeutet.

Kommentar von Nico Fried, Bonn

Fast auf den Tag genau vier Monate nach der Bundestagswahl können an diesem Montag erstmals Koalitionsverhandlungen beginnen. Die SPD hat sich auf ihrem Parteitag zögerlich weiter auf eine Regierungsbildung mit CDU und CSU zubewegt - unter Schmerzen und neuen Bedingungen. Die Sozialdemokraten sind einen Schritt nach vorne gegangen und einen halben zur Seite. Sie haben sich gequält, aber nicht versäumt, mit neuen Wünschen die Voraussetzung dafür zu schaffen, dass die Quälerei auch noch ein bisschen weitergeht. So ist sie, die SPD.

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Union und SPD verhandeln nun über Details eines Koalitionsvertrages. Aber sie verhandeln auch gegen Müdigkeit und Verdruss der Bürgerinnen und Bürger an. Die meisten Deutschen verstehen, dass politische Parteien Ideen durchsetzen wollen. Dass aber den Interessen der Menschen gedient sein soll, wenn eine Partei am Ende doch aufs Regieren verzichtet, weil sie nicht alles verwirklichen kann, was sie wollte, das verstehen die Deutschen nicht. Wenn die SPD es am Ende doch noch so weit kommen lassen sollte, wird sie künftig in einem Atemzug mit Christian Lindner genannt werden. Das müsste ihr Drohung genug sein.

Martin Schulz hat in Bonn gewonnen und verloren zugleich. Der SPD-Chef hatte für die Sondierungen auf Bundesminister verzichtet und mit vielen Landespolitikern gearbeitet. Das hat sich für den Zusammenhalt der Parteispitze und für die Überzeugungsarbeit in der Fläche als dienlich erwiesen. Zugleich war klar, dass ein Nein nicht nur Schulz aus dem SPD-Vorsitz katapultieren würde, sondern auch die Autorität des jeweiligen Landeschefs ins Wanken gebracht hätte.

Dieser Umstand hat aber auch dazu geführt, dass nicht nur die SPD als Ganzes meint, sich gegenüber der Union teuer verkaufen zu müssen, sondern auch die Landeschefs gegenüber der Bundespartei. So kamen die neuen Wünsche in den Beschluss, im Arbeitsrecht, der Gesundheits- und der Flüchtlingspolitik. Wo so wenigen eine Regierungsbeteiligung lieb ist, wird sie halt immer teurer. Schulz war zu schwach, um das zu verhindern. Er kann auch nicht beanspruchen, die Delegierten überzeugt zu haben. Die mitreißende Rede, die er hätte halten müssen, hielt Andrea Nahles. Schulz darf nun die Fraktionschefin in die Verhandlungen begleiten, nicht umgekehrt.

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Dass die Koalition kommt, ist noch nicht sicher. Die Bedingungen, die der Parteitag gestellt hat, sind eine Hürde, wenn auch keine hohe. Sollte Angela Merkel noch so eine clevere Verhandlerin sein, wie sie es mal war, und sollte Horst Seehofer noch so schlau sein, wie er gerne tut, dann haben sie in das Sondierungsergebnis einen Puffer für weitere Konzessiönchen an die SPD eingebaut. Wenn ein SPD-Vorstand, der das Sondierungsergebnis mitgebilligt hat, ein noch besseres Ergebnis der Koalitionsverhandlungen ablehnen und so den Mitgliedern vorenthalten würde, wäre das kein Fall mehr für Politikexperten, sondern für Psychiater.

Schwieriger wird die Abstimmung der Parteibasis. Aus der Erfahrung 2013, als die Genossen überraschend deutlich für die Kooperation mit der Union plädierten, wird gern geschlossen, dass die Mitgliederbefragung auch 2018 ein Selbstläufer würde. Doch die Voraussetzungen in diesem Jahr sind anders. Die Stimmung an der Basis ist noch kritischer. Auch die Parteistruktur hat sich verändert: Die neuen Mitglieder aus der Zeit der Schulz-Euphorie sind eingetreten, weil sie Angela Merkel nicht mehr wollen. Sie sind für die Gegner einer großen Koalition leichter mobilisierbar als mancher Altgenosse für eine Regierungsbeteiligung.

Wenn es am Ende doch noch schiefginge, wäre Schulz an jener Stimmung gescheitert, die er selbst heraufbeschworen hat. Er ist als Kanzlerkandidat angetreten, der mit der großen Koalition nichts gemein haben wollte. Er hat so getan, als könnte man sich an einer Regierung mit der Union und an Angela Merkel kontaminieren wie an Atommüll. Wenn die SPD sich am Ende gegen eine große Koalition entscheidet, ist Martin Schulz daran gescheitert, dass er Martin Schulz nicht vergessen machen konnte.

Wenn es aber gelingt, muss die SPD ihre Haltung ändern. Die große Koalition darf nicht länger als das kleinste Übel angesehen werden, das die Sozialdemokraten nur aus Angst vor Neuwahlen hinnehmen. Wenn die Partei in eine große Koalition so widerstrebend hineingeht wie ein Passagier mit Flugangst in eine Boeing 747, trudelt sie weiter abwärts.

© SZ vom 22.01.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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