SPD:Die gibt's ja auch noch

Koalitionsgipfel im Kanzleramt

In Bayern hängt ihre Partei in den Umfragen zum teil hinter der AfD: Andrea Nahles, die Partei- und Fraktionsvorsitzende.

(Foto: Paul Zinken/dpa)

In der Krise kommen die Sozialdemokraten kaum vor. Sollte Merkel ohne die CSU weiterregieren, könnte sie mit der Hilfe der SPD rechnen. Vorerst.

Von Nico Fried

In der SPD kann es für die Eskalation beim Koalitionspartner nur eine Reaktion geben: Fassungslosigkeit. Monatelang hatten sich die Sozialdemokraten gequält, zwei Parteitage ausgetragen und eine Mitgliederbefragung abgehalten, ehe sie doch noch einmal in die große Koalition einwilligten und Angela Merkel im Bundestag zum dritten Mal zur Kanzlerin wählten. Man hätte erwarten können, dass es knirscht und kracht zwischen Union und SPD - aber dass CDU und CSU binnen kürzester Zeit derart in Streit geraten, damit konnten die Sozialdemokraten nicht wirklich rechnen.

Lange Zeit begleitete die SPD am Sonntag die Entwicklung in der Union mit staunendem Schweigen. "Die rechten Parteien zerlegen ihre Union, ohne an das Land zu denken", twitterte gegen Abend der Bundestagsabgeordnete Johannes Kahrs.

Vizekanzler Olaf Scholz saß später in der ARD-Talkshow Anne Will und wunderte sich demonstrativ: "Dass da keine pragmatischen Kompromisse möglich wären, das versteht überhaupt niemand", so Scholz. Der Streit sei "selbstvergessen", und es sei unverständlich, auf welche Art und Weise er ausgetragen werde. "Das ist eigentlich nicht das, was man sich unter ordentlichem Regieren vorstellt."

Angela Merkel hatte sich zuvor in ihrem ZDF-Sommerinterview noch eine freundliche Bemerkung über den Koalitionspartner abgerungen. Ansonsten aber finden die Sozialdemokraten in der Krise kaum eine Erwähnung. Die Appelle der Partei- und Fraktionsvorsitzenden Andrea Nahles, zur Sacharbeit zurückzukehren, verhallten bislang. Den ominösen 63-Punkte-Plan von Innenminister und CSU-Chef Horst Seehofer zur künftigen Migrationspolitik bekamen Nahles und Vizekanzler Olaf Scholz nicht einmal im Koalitionsausschuss vergangene Woche zu sehen. Seehofer habe nur einzelne Teile mündlich vorgetragen, hieß es.

Nahles ging deshalb zu Sarkasmus über und sagte, Seehofers Plan werde überbewertet. Das sollte auch ein Hinweis darauf sein, dass die SPD von Anfang an gedachte, nicht einfach die Vorschläge des CSU-Politikers zu übernehmen. Bevor es in der Union am Sonntag richtig zur Sache ging, berichtete der Spiegel zudem noch über ein eigenes Papier der SPD zur Migrationspolitik.

Es ist, auch wenn es nicht in allen Punkten mit dem EU-Beschluss übereinstimmt, eine klare Positionierung hinter Merkel. Die offenen Grenzen des Schengen-Raumes und die Freizügigkeit seien eine der zentralen Errungenschaften in Europa, heißt es in dem Papier. Flächendeckende Grenzkontrollen zwischen den EU-Staaten gefährdeten diese Freizügigkeit. "Ein nationaler Alleingang wäre deshalb falsch."

Obwohl am Streit unbeteiligt, stagniert die SPD weiter - oder verliert sogar

Für die SPD besonders ernüchternd ist der Befund, dass sie in den Umfragen weiter stagniert oder sogar noch Prozentpunkte verliert, obwohl sie am Streit in der Regierung völlig unbeteiligt ist. In Bayern hängt die SPD um die 13 Prozent und hinter der AfD. Im jüngsten Politbarometer für die Stimmung im Bund fiel die SPD von 20 auf 18 Prozent - und damit sogar noch um einen Punkt mehr als die Union. Am Sonntag ging es dann in anderen Umfragen wieder einen Punkt hoch, aber stets unter 20 Prozent.

Gut möglich, dass bei manchen Bürgern der Frust über das Gebaren von CDU und CSU die Unzufriedenheit mit allen Regierungsparteien erhöht. Ganz sicher aber verdeckt der Streit der Schwesterparteien den Blick auf bisherige Ergebnisse der Regierungsarbeit, von denen manche immerhin in die Zuständigkeit sozialdemokratischer Minister fallen: der höhere Mindestlohn oder bessere Rückkehrmöglichkeiten von Teilzeit- in Vollzeitbeschäftigung zum Beispiel in das Ressort von Arbeitsminister Hubertus Heil.

Die schlechten Werte für die SPD sind aber nicht gleichbedeutend damit, dass die Sozialdemokraten Neuwahlen mit allen Mitteln vermeiden wollen. Direkt danach gefragt, schloss Nahles eine solche Konsequenz vor einigen Tagen zumindest nicht aus. Falls Merkel ohne die CSU weiter regieren sollte, könnte sie wohl für einige Zeit auf die Unterstützung der SPD bauen, insbesondere wenn es schon in dieser Woche um die Verabschiedung des Haushalts für das laufende Jahr geht, für den ja mit Olaf Scholz der eigene Mann verantwortlich zeichnet.

Sollte Merkel die Unterstützung der eigenen Leute, sei es in der Unions-Fraktion oder in der CDU als Partei, so weit verloren gehen, dass sie ihren Platz räumen würde, ist mitnichten ausgemacht, dass die SPD zum Beispiel einen Übergangskanzler Wolfgang Schäuble wählen würde. Bei der wohl unvermeidlichen erneuten Befragung der Basis wäre eine Mehrheit dafür ziemlich zweifelhaft.

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