SPD:Warum die SPD-Linken Martin Schulz feiern

SPD: Martin Schulz

Martin Schulz

(Foto: AFP)
  • Der Präsident des Europäischen Parlaments gilt, ohne dies je offiziell erklärt zu haben, als Aspirant auf die SPD-Kanzlerkandidatur - und viele Linke sähen ihn gern als Kandidaten.
  • Die Liebe zu diesem Mann ist vor allem aus der Abneigung gegen Parteichef Gabriel entstanden.
  • Doch es gibt noch Sozialdemokraten, die eine Kandidatur wohl skeptisch sähen.

Von Christoph Hickmann, Berlin

Die Frage musste kommen, sie stand im Raum, und tatsächlich dauert die Fragerunde noch nicht lang, als sich ein junger Genosse aus Hamburg ein Herz fasst. Er spricht Martin Schulz auf die Sache an, die hier alle beschäftigt.

"Butter bei die Fische", so leitet er seinen Beitrag ein: Es gebe ja in der Partei "Persönlichkeiten", die in der Bevölkerung nicht gut ankämen. Man wisse schon, worauf er hinauswolle. Schulz hingegen sei jemand, "der Haltung hat", weshalb die Frage sei, ob er nicht Kanzlerkandidat werden wolle. In diesem Moment hat Schulz ein Problem. Denn mit der Formulierung von den nicht so populären Persönlichkeiten ist sein Freund Sigmar Gabriel gemeint.

Samstagmittag, Schulz ist als Stargast in eine Berliner Schule gekommen, wo sich die SPD-Linken zum "Basiskongress" treffen. Der Präsident des Europäischen Parlaments gilt, ohne dies je offiziell erklärt zu haben, als Aspirant auf die SPD-Kanzlerkandidatur - und viele Linke sähen ihn gern als Kandidaten. Das liegt nicht etwa an der politischen Orientierung von Schulz, der in der SPD alles andere als ein Linker ist. Stattdessen ist die Liebe zu diesem Mann vor allem aus der Abneigung gegen Parteichef Gabriel entstanden. Und nun steht diese Frage im Raum: Wie hältst du's mit der Kandidatur? Schulz löst das Problem, indem er die Standardantwort referiert, wonach man zu Beginn des nächsten Jahres darüber entscheiden werde.

Und sonst? Seine 40-minütige Rede beginnt der inoffizielle Kandidaten-Kandidat mit dem Bekenntnis, dass er zum ersten Mal bei einem solchen Linken-Treffen sei. Was folgt, ist eine Rede aus dem SPD-Rhetorikbaukasten. Schulz spricht über die ehrlichen, hart arbeitenden Leute, deren Anwalt die SPD sein müsse. Und er, der seit mehr als zwei Jahrzehnten Europapolitik macht, wettert gegen das "neoliberale Europa der Deregulierung". Applaus.

Die Rede mag noch so überraschungsfrei sei, sie wird zwangsläufig als Bewerbungsrede verstanden - obwohl Schulz sich nicht übertrieben anbiedert. Er sagt, dass Parteitagsbeschlüsse und Resolutionen, wie sie Linke lieben, nie wichtiger sein dürften als praktische Politik. Doch auf Konfrontationskurs geht er auch wieder nicht. Eine allzu konkrete Idee, wie er sich die Innenpolitik von 2017 an vorstellt, hat man hinterher nicht. Wobei: Wäre er allzu konkret geworden, hätte man das ja auch als Attacke auf Gabriel verstehen können.

Dann sagt er über Gabriel: "Das ist einer meiner engsten Freunde"

Apropos Gabriel. Als Schulz über sozialdemokratische Aufsteigerbiografien spricht, da erwähnt er Altkanzler Gerhard Schröder und Außenminister Frank-Walter Steinmeier - nicht aber Gabriel, der ebenfalls einen solchen Aufstieg vorzuweisen hat. Und als er die Erfolge der SPD in der Regierung lobt, da erwähnt er die Ministerinnen Andrea Nahles und Manuela Schwesig, außerdem den Minister Heiko Maas. Aber nicht den Vizekanzler Gabriel.

Doch Schulz bekommt auch diese Kurve. Zunächst rühmt er Gabriel dafür, dass er die SPD in die (bei den Linken unbeliebte) große Koalition geführt habe. Dann sagt er über Gabriel: "Das ist einer meiner engsten Freunde, und ich bin vorsichtig mit dem Begriff des Freundes." Kein Applaus.

Ansonsten kann Schulz hier beinahe sagen, was er will - der Saal ist klar auf seiner Seite. So wie offenbar beträchtliche Teile der ganzen Partei. Am Sonntag zitiert die Welt den niedersächsischen Ministerpräsidenten Stephan Weil: Schulz wäre "sicher" ein guter Kandidat. Er habe "die große Gabe, Leute zu begeistern". Weil ist Chef der niedersächsischen SPD, also jenes Landesverbands, zu dem auch Gabriel gehört. Auf dessen mögliche Kandidatur angesprochen, antwortet Weil deutlich zurückhaltender: Gabriel müsse nicht Kanzler werden, nur weil er Niedersachse sei. Er kenne jedoch nur "wenige Menschen, die ihm das Zeug zum Kanzler absprechen".

Immerhin, und so dürfte die Botschaft in der SPD-Zentrale gelesen werden: Er kennt solche Menschen. So wie auch Dietmar Woidke offenbar welche kennt. Er halte Schulz "für einen sehr, sehr guten Kandidaten", so wird Brandenburgs Ministerpräsident am Wochenende zitiert. Wobei Gabriel natürlich auch in Betracht komme.

Altkanzler Schröder sieht Schulz lieber im Europäischen Parlament

Und dann gibt es da noch einen bemerkenswerten Blog-Artikel des Wahlkampf-Strategen Frank Stauss, der für die Sozialdemokraten bereits diverse Kampagnen konzipiert hat und auch für die Bundestagswahl im Gespräch ist. In einem aktuellen Beitrag, der sich eigentlich mit dem US-Wahlkampf beschäftigt, kommt Stauss zu dem Schluss, dass Hillary Clintons Kandidatur falsch gewesen und der Grund dafür sei, dass sich Donald Trump überhaupt noch im Rennen befinde.

Dann schreibt er, man solle "in Deutschland und Europa" daraus lernen: "Auch wenn man meint, an der Reihe zu sein, auch wenn man es sich tatsächlich verdient hat, selbst wenn es objektiv ungerecht wäre, zurückstecken zu müssen - die Zeiten sind zu ernst, um nicht einzusehen, dass eine falsche Kandidatur zur falschen Zeit verheerende Folgen haben kann. Für ein Land, für eine Partei, manchmal sogar für die ganze Welt."

Was und wer damit gemeint ist? Da kann in einer hochnervösen SPD jeder seine Schlüsse draus ziehen. Gabriel wird die Wortmeldung zur Kenntnis nehmen. Und Martin Schulz? Der steht bereit. Am Ende seiner Rede ruft er den Parteilinken zu: Wenn die SPD den hart arbeitenden Leuten das Gefühl gebe, sie ernst zu nehmen - dann könne sie die Wahl gewinnen. Doch es gibt noch Sozialdemokraten, die eine Kandidatur wohl skeptisch sähen. Altkanzler Gerhard Schröder sagte am Freitag, Schulz sei "ein mächtiger Präsident" des Europaparlaments: "Alle Parlamentarier im Europäischen Parlament wären gut beraten, dass er dieses Amt über das Jahr 2017 hinaus weiter ausübt."

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