SPD-Chef trifft Linken-Spitze:Gabriel schneidet Löcher in den Zaun

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Sigmar Gabriel, Bundeswirtschaftsminister und SPD-Chef.

(Foto: Bloomberg)

Ein geradezu historisches geheimes Treffen: SPD-Chef Gabriel spricht mit den Vorsitzenden der Linken, Kipping und Riexinger. Das zeigt, Rot-Rot-Grün ist eine Option - was neben Kanzlerin Merkel vor allem einige Hardcore-Linke stören dürfte.

Eine Analyse von Thorsten Denkler, Berlin

Es brauchte natürlich so etwas wie einen neutralen Ort für dieses erste Treffen auf höchster Ebene. Die Parteizentralen durften es nicht sein. Die Vertretung des Landes Brandenburg in Berlin war da wohl genau der richtige Ort. In Brandenburg regieren Sozialdemokraten und Linke gemeinsam. Es ist die derzeit einzige rot-rote Regierung in Deutschland.

Und so haben sich Anfang Juni SPD-Parteichef und Vizekanzler Sigmar Gabriel sowie die Parteichefs der Linken, Katja Kipping und Bernd Riexinger, nach Berlin-Mitte zur Adresse Ministergärten 3 aufgemacht. Ein geradezu historisches Sechs-Augen-Gespräch, das Spiegel Online an diesem Dienstag öffentlich machen konnte.

Seit Jahren hat es kein solches Treffen gegeben. Schon gar nicht, seit die SPD wieder mitregiert und Kanzlerin Angela Merkel als Koalitionspartner zur Seite steht.

Die Linke hat so ein Gespräch auf höchster Ebene immer gefordert. Andererseits weiß auch Gabriel, dass er eine Annäherung an die Linke auf Bundesebene nicht nur einzelnen Abgeordneten der Fraktion überlassen kann.

Unter Abgeordneten existieren seit Jahren verschiedene Netzwerke wie die r2g-Treffen, ein Kürzel für Rot-Rot-Grün. Es wird gemanagt von der ehemaligen Linken-Abgeordneten und heutigen Mitarbeiterin im Abgeordnetenbüro von Andrea Nahles, Angela Marquardt. Daneben gibt es das Institut für solidarische Moderne, das von Linken, Grünen und SPD-Politikern gegründet wurde.

Das Problem: In diesen Netzwerken treffen sich aus den Parteien jene Kräfte, die schon morgen ohne größere Probleme ein Linksbündnis bilden könnten. Um das Projekt aber richtig voranzutreiben, müssten Hardcore-Linke wie Sevim Dağdelen mit SPD-Rechten wie Johannes Kahrs und grünen Oberrealos wie dem Schwarz-Grün-Verfechter Dieter Janecek an einen Tisch kommen. Oder eben die Parteispitzen.

Wieso manche Linke strikt gegen eine Annäherung an Rot-Grün sind

Treffen zwischen den Spitzen von Linken und Grünen gab es bereits Anfang des Jahres. Weitere sollen folgen. Dass zwei linke Oppositionsparteien miteinander im Gespräch bleiben, sollte kein größeres Problem sein. Doch schon diese Treffen wurden besonders von Teilen der Linken mit Argwohn beobachtet. In keiner der drei Parteien gibt es so viele vehemente Gegner eines Linksbündnisses wie in der Linken. Auf zehn bis 15 Abgeordnete wird der harte Kern in der Fraktion geschätzt, die der grüne Fraktionschef Anton Hofreiter gerne auch als "Spinner" bezeichnet. Hofreiter gehört zum linken Flügel seiner Fraktion und sieht in diesen "Spinnern" das größte Hindernis auf dem Weg zu Rot-Rot-Grün.

Neben Sevim Dağdelen und der Ex-Grünen Ulla Jelpke gehören auch Wolfgang Gehrcke und Dieter Dehm zu den Wortführern. Diese Linken wollen weiter kompromisslos Oppositionspolitik machen. Also auf gar keinen Fall mitregieren.

Treffen wie das von Gabriel mit Kipping und Riexinger könnten den Gehrckes und Dağdelens den Wind aus den Segeln nehmen - auch weil die Linken-Spitze damit klar gemacht hat, dass sie sich von der Beton-Fraktion in den eigenen Reihen nicht die Agenda bestimmen lässt.

Viele Putin-Versteher unter den Linken

In der Debatte um die Ukraine haben diese sich noch zu Wortführern eines eindeutig prorussischen Kurses gemacht. Die "Kriegstreiber" und angebliche Faschisten-Unterstützer seien hingegen in den Reihen von Grünen und SPD zu finden.

Die Angriffe aus der ganz linken Ecke der Linken gehen gezielt gegen Grüne und Sozialdemokraten. Dağdelen ging gar so weit, die Grünen-Fraktionschefin Kathrin Göring-Eckardt über den Umweg eines Brecht-Zitates als "Verbrecherin" zu bezeichnen.

Damit hat sie allerdings wohl übertrieben. Erstmals haben sich Fraktionschef Gregor Gysi und die beiden Parteichefs der Linken in einer gemeinsamen Erklärung namentlich von Dağdelen distanziert.

Es tut sich noch mehr: Anfang April hat der Bundestag beschlossen, den Abtransport von Chemiewaffen aus Syrien mit der deutschen Fregatte Augsburg und 300 Marine-Soldaten an Bord abzusichern. Erstmals stimmte auch Linke-Abgeordneten für den Einsatz. Viele aus der Fraktion enthielten sich oder nahmen nicht teil. Nur 35 der 64 Linken-Abgeordneten stimmten wie üblich gegen den Militäreinsatz. Das kam fast einer kleinen Revolution gleich.

Das Gespräch Gabriel-Kipping-Riexinger kommt da den Reformern in der Linken gerade recht. Ihnen ist klar, dass in solchen Gesprächen der Schlüssel dafür liegen kann, nach 2017 eine Regierungskoalition ohne die Union zu bilden.

Der Schutzzaun wird löchrig

Der Grünen-Fraktionschef Hofreiter wiederum freut sich, dass die SPD den Schutzzaun, den sie um die Linke gezogen hat, endlich einreißt. Innerhalb dieses Zaunes nämlich gedeihen die "Spinner" in der Linken, wie er sagt, besonders prächtig.

Das erste Loch hatten die Sozialdemokraten mit ihrem Parteitagsbeschluss in den Zaun geschnitten. Darin gaben die Sozialdemokraten ihr grundsätzliches Nein zu Bündnissen mit der Linken im Bund auf. Wenn die Gespräche jetzt fortgeführt werden, dürfte vom dem Zaun bald nichts mehr übrig bleiben. Das zwingt die Linke auf Dauer zu einer Neujustierung vor allem ihrer außenpolitischen Position.

Bewegen muss sich aber auch die SPD. Auch wenn Stillschweigen vereinbart wurde: Es soll in dem Gespräch unter anderem um Thüringen gegangen sein. Da stehen demnächst Landtagswahlen an. Die Linke hätte beste Chancen, den Ministerpräsidenten zu stellen - wenn sich die SPD diesmal auf eine Juniorposition an der Seite der Linken einlässt.

Am Ende wird so etwas zwar in den Ländern entschieden. Aber Gabriels Einfluss dürfte groß genug sein, um den Genossen in Thüringen zu vermitteln: Wenn die aus purer Eitelkeit einen linken Ministerpräsidenten verhindern, dann würde das die Idee eines Bündnisses links der Union in Berlin um Meilen zurückwerfen.

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