SPD-Basis zum Mitgliederentscheid:"Meine größte Angst ist, dass es jetzt so weitergeht wie bisher"

Julia Biermeier

"Die SPD muss raus aus der Komfortzone": Julia Biermeier aus Berlin hat gegen die große Koalition gestimmt.

(Foto: oh)

Unabhängig davon, ob das Abstimmungsergebnis sie enttäuscht oder begeistert - viele SPD-Mitglieder wollen weiter für die Partei kämpfen. Fünf Stimmen von der Basis.

Von Alexander Kauschanski und Benedikt Peters

Julia Biermeier, 25, Unternehmensberaterin, lebt in Berlin

Ich habe mit Nein gestimmt. Ich glaube, es wäre die bessere Entscheidung für meine Partei gewesen, nicht in eine große Koalition zu gehen. Das Ja macht uns unglaubwürdig. Die SPD-Führung hat ja noch am Wahlabend eine Regierung mit der Union ausgeschlossen, dabei hätte es auch bleiben sollen. Das ganze Hin und Her kann man den Wählern nicht vermitteln. Als Demokratin befürworte ich zwar, dass es bald eine Regierung gibt, aber eine Minderheitsregierung der CDU wäre eben auch möglich gewesen.

Ich weiß noch nicht genau, was aus dieser Entscheidung für mich folgt. In jedem Fall will ich mich aber stärker engagieren als vorher, denn meine größte Angst ist, dass es jetzt so weitergeht wie bisher. Wir werden sicher wieder solide regieren und solide Gesetze machen, die manchen Bürgern auch etwas bringen. Aber das ist vielleicht gerade das Problem, dass alles so ruhig und unaufgeregt läuft. Demokratie ist auch Streit, und der kam zu kurz in letzter Zeit. Die SPD muss raus aus der Komfortzone, die die Groko für sie bedeutet. Das gilt auch nach dem Mitgliederentscheid.

Fritz Pieper

"Im Koalitionsvertrag gibt es doch einige gute, sozialdemokratische Inhalte": Fritz Pieper aus Hamburg ist erleichtert über das Ergebnis.

(Foto: oh)

Fritz Pieper, 29, Rechtsanwalt, lebt in Hamburg

Ich mache sicher keine Luftsprünge, aber ich bin doch erleichtert, dass jetzt die Groko kommt. Ich habe mit "Ja" gestimmt, einerseits aus einer strategischen Erwägung heraus: Bei einem "Nein" hätte es wahrscheinlich Neuwahlen gegeben, und ich glaube nicht, dass die SPD in einem baldigen Wahlkampf gut ausgesehen hätte. Sie wäre wahrscheinlich noch weiter abgestürzt.

Außerdem finde ich die Groko inhaltlich gesehen gar nicht so schlecht. Im Koalitionsvertrag gibt es doch einige gute, sozialdemokratische Inhalte. Das Ende des Kooperationsverbots zum Beispiel, der Bund darf bei der Bildung künftig stärker eingreifen und finanzieren. Ein Erfolg ist auch, dass die SPD wichtige Ministerien bekommen hat, etwa Finanzen, Außen, Justiz und Arbeit. Wenn hier ein sozialdemokratischer Wind weht und gleichzeitig ein CSU-geführtes Innenministerium wieder für etwas mehr rechtsstaatliche Organisation und Ordnung sorgt, dann ist das vielleicht gar nicht so verkehrt.

Dirk Smaczny, 49, Verwaltungsbeamter, lebt in Duisburg

Ich bin gegen die große Koalition und habe so auch abgestimmt. Als guter Demokrat muss ich aber akzeptieren, dass meine Partei das mehrheitlich anders sieht. Das ist für mich eine Frage von Verantwortungsbewusstsein. Aber ich sehe das mit Unbehagen. In meinem Ortsverein in Duisburg-Rheinhausen gibt es noch viele Arbeiter, die klassische SPD-Klientel von früher. Da herrscht schon das Gefühl vor, dass die SPD in den vielen Jahren Groko ein Stück weit ihre Seele verkauft hat. Und jetzt machen wir einfach weiter so. Ich glaube, das tut uns und das tut Deutschland nicht gut.

Ich werde aber trotzdem weiterkämpfen für die SPD. Wir Mitglieder müssen darauf achten und darauf drängen, dass die Parteiführung in der Regierung so viele sozialdemokratische Inhalte wie möglich durchsetzt. Und wir müssen dazu beitragen, das Profil zu schärfen, um eine möglichst gute Ausgangsposition für die nächste Bundestagswahl zu haben. Wenn ich bei jeder Entscheidung, die mir nicht gefällt, aus der Partei austreten würde, dann hätte ich schon 150 Anlässe gehabt (lacht). Der 151. macht da auch keinen Unterschied.

Alisa Trojansky

"Natürlich müssen wir uns erneuern. Das geht aber auch in der Regierung": Alisa Trojansky studiert in Paris. Sie hat der großen Koalition zugestimmt.

(Foto: oh)

Alisa Trojansky, 24, Studentin, lebt in Paris

Seit ich in Paris studiere, bekomme ich die Außenperspektive auf Deutschland mit. Die Verunsicherung hier in Frankreich ist groß. Und auch ich bin in die SPD eingetreten, weil sie eine Partei ist, die gestaltet und Verantwortung übernimmt. Deswegen finde ich es gut, dass wir jetzt "Ja" zur Großen Koalition gesagt haben, so habe ich auch abgestimmt. Wir leben in Zeiten großer Herausforderungen, unsere Welt verändert sich stark. Gerade jetzt sind wir dringend gefragt zu handeln und populistischen Ideen etwas entgegenzusetzen.

Natürlich müssen wir uns trotzdem erneuern. Das geht aber auch in der Regierung. Als SPD müssen wir gute Politik machen und die Inhalte umsetzen, zu denen wir uns im Wahlkampf bekannt haben. Auch unsere Parteikultur müssen wir kreativ weiterdenken. Wir müssen die Mitgliederbeteiligung stärken und aufzeigen, dass es uns nicht um Macht, sondern um die Menschen geht.

Portraits 02.12.2014 Kantonale Psychiatrische Dienste Sektor Nord Zürcherstrasse 30, CH - 9501 Wil SG; André Böhning

"Besser inhaltlich in kleinen Schritten vorangehen als im Stillstand zu verharren": André Böhning aus Konstanz war positiv überrascht vom Koalitionsvertrag.

(Foto: chris mansfield; oh)

André Böhning, 49, Psychotherapeut, lebt in Konstanz

Ich habe mir den ganzen Koalitionsvertrag angeschaut. Mit dem Inhalt bin ich in Teilen zufriedener als vermutet. Beispielsweise bietet er den Kommunen mehr Gestaltungsraum, wenn sie die Mittel abrufen. Das betrifft unter anderem die Sanierung von Schulen oder auch die Elektrifizierung des öffentlichen Nahverkehrs. Insgesamt finde ich es besser, inhaltlich in kleinen Schritten voranzugehen als im Stillstand zu verharren. Denn das wäre die Alternative in der Opposition gewesen.

Es war richtig, am Wahlabend zu sagen, dass die Groko abgewählt ist. Nach dem Scheitern von Jamaika war es trotzdem falsch, erst nicht regieren zu wollen. Die SPD muss Verantwortung für das Land durch eine stabile Regierung übernehmen. Erneuerung geht nicht nur in der Opposition, sondern auch parallel zum Regieren. Jedes Unternehmen muss ja auch innovativ sein und stellt deswegen nicht den Betrieb ein. Wichtiger wird ein offensiverer Umgang mit den Widersprüchen von Regierung in Koalition zum eigenen Parteiprogramm. Hier geht es vor allem um Glaubwürdigkeit.

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