Spannungen im Nahen Osten:Die Krise in Beirut droht außer Kontrolle zu geraten

Posters depicting Lebanon's Prime Minister Saad al-Hariri, who has resigned from his post, are seen in Beirut

Plakate des zurückgetretenen libanesischen Premierministers Saad al-Hariri in Beirut.

(Foto: REUTERS)

Der möglicherweise erzwungene Rücktritt des libanesischen Premierministers könnte den Konflikt zwischen Saudi-Arabien und Iran eskalieren lassen. Und die gesamte Region ins Wanken bringen.

Kommentar von Paul-Anton Krüger

Libanon ist eine Miniatur des Nahen Ostens. In dem kleinen multikonfessionellen Land tragen Regional- und Großmächte seit Jahrzehnten ihre Fehden aus, mal durch Stellvertreter, mal auch direkt. Wenn die Spannungen in der Gegend steigen, erzittert der labile Staat am Mittelmeer. Seine Architektur ist darauf ausgelegt, die Interessen der Glaubensgruppen auszutarieren, die jeweils mit politischen Akteuren verbunden sind - und deren internationalen Unterstützern.

Die größte Krise, den Bürgerkrieg im benachbarten Syrien, hat Libanon bisher überstanden, weil es ein unausgesprochenes Übereinkommen zwischen den Widersachern Iran und Saudi-Arabien gab, das Land aus der syrischen Katastrophe herauszuhalten. Symbol dieses Kompromisses war die Einheitsregierung unter Beteiligung der von Iran unterstützten schiitischen Hisbollah mit Saad al-Hariri als Premier, ein Sunnit und Protegé Riads. Dieses Stillhalteabkommen ist passé, seit vor einer Woche binnen Stunden drei Nachrichten aus Riad Beirut aufwühlten.

Erst verlas Hariri von dort seine Rücktrittserklärung, in der er Iran und Hisbollah vorwarf, ihn ermorden zu wollen, so wie das 2005 seinem Vater geschehen war. Iran wolle durch Einmischung arabische Länder ins Verderben stürzen. Dann schoss die Luftabwehr über Riad eine Rakete ab, die Huthi-Milizionäre aus Jemen gefeuert hatten, auch sie unterstützt Iran. Schließlich ließ der saudische Kronprinz Mohammed bin Salman hochmögende Prinzen und Geschäftsleute wegen angeblicher Korruption festsetzen. Hariri, der einen saudischen Pass besitzt, verdiente im Königreich mit der geerbten Baufirma Milliarden an staatlich finanzierten Großprojekten, bevor sie im Juli pleiteging - er ist womöglich erpressbar.

Die Hisbollah ist in Libanon eine mächtige Partei

Die Rakete aus Jemen bezeichnete Riad als Kriegsakt, den es Iran anlastet; von dort sei sie geliefert worden. Auch die Regierungsbeteiligung der Hisbollah in Libanon komme einer Kriegserklärung gleich. Das Königreich kann sich bei der Forderung nach ihrer Entwaffnung auf UN-Resolutionen stützen. Aber die Hisbollah ist in Libanon eine mächtige Partei, gegen deren Willen kaum ein Kabinett zustande kommt. Und trotz des Syrien-Einsatzes der Miliz ist die Hisbollah in Libanon auch die stärkste militärische Kraft.

Saudi-Arabiens äußerst ehrgeiziger Königssohn versucht mit Ingrimm, den wachsenden Einfluss Irans zurückzudrängen. Er muss sich bestätigt sehen durch Triumphgeheul, wie es etwa Ali Akbar Velayati anstimmte, außenpolitischer Berater des Obersten Führers Ali Khamenei. Die "Achse des Widerstands" habe in Syrien, dem Irak und Libanon gewonnen und reiche bis Palästina, sagte er - ausgerechnet in Beirut nach einem Treffen mit Hariri.

Libanon ist nur der jüngste Schauplatz der Auseinandersetzung

Die Konfrontation hat Saudi-Arabien längst in Jemen begonnen, wo die Huthis den rechtmäßigen Präsidenten aus dem Land jagten. Der unselige Krieg hat nach zweieinhalb Jahren und Tausenden Luftangriffen wenig bewirkt, außer das Land zu verheeren. In Irak sucht Riad auffallend die Nähe von Premier Haidar al-Abadi und des irankritischen Schiiten-Predigers Moktada al-Sadr. Ein Gegengewicht ergibt das noch nicht. In Syrien, wo Präsident Baschar al-Assad mithilfe Russlands, der Hisbollah und Irans den Bürgerkrieg für sich entscheidet, versucht Riad in Sunniten-Gebieten im Osten Fuß fassen - mit bescheidenen Aussichten. Wie Israel will der saudische Kronprinz verhindern, dass Iran den schiitischen Bogen schlägt über den Irak und Syrien nach Libanon - oder auf Dauer in Syrien bleibt.

Libanon ist nur der jüngste Schauplatz der Auseinandersetzung, jedoch ein gefährlicher. US-Präsident Donald Trump bestärkt die Saudis und Israel in ihrer harten Haltung. Ein Angriff auf Hisbollah-Ziele in Libanon allerdings wäre so töricht wie verheerend. Als Antwort würden Tausende Raketen Israel treffen und einen Konflikt heraufbeschwören, der auf beiden Seiten weit mehr Menschenleben kosten, weit größere Zerstörungen anrichten würde als jener im Jahr 2006. Auch ein Krieg zwischen Iran und Saudi-Arabien wäre dann nicht ausgeschlossen. Wahrscheinlicher ist deshalb ein Embargo nach dem Modell Katar. Libanon ist wirtschaftlich verwundbar, die Saudis haben viel Geld in den Banken dort angelegt.

Die große Gefahr liegt darin, dass kleinste Provokationen Libanon zum Kippen bringen können. Es wäre nicht der erste Krieg im Nahen Osten, der durch eine Eigendynamik so eskaliert, dass er nicht wieder unter Kontrolle gebracht werden kann. Hariri hat sich, so man seinen Vertrauten glaubt, geweigert, das Arrangement mit der Hisbollah aufzukündigen. Er weiß um die fragile Statik Libanons. Die Saudis haben sich entschieden, das zu ignorieren. Womöglich erfasst die Krise deswegen bald die gesamte Region.

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