Spanische Enklave in Nordafrika:Der Traum von der anderen Seite

Alain Diabanza stands on Tarajal beach, where he crossed the border into Spain, in Spain's North African enclave of Ceuta

So sieht Europa aus: ein Flüchtling hockt am Strand der spanischen Enklave Ceuta in Nordafrika (Foto: Reuters/Juan Medina).

(Foto: REUTERS)

Sie ist ein Anlaufpunkt für Flüchtlinge - kein Sehnsuchtsort: Die spanische Stadt Ceuta an der nordafrikanischen Küste. Drei Tage im Leben eines 19-Jährigen im Auffanglager.

Von Thomas Urban, Ceuta

Freitag

Wie fast jeden Tag hat sich der 19-jährige Oumar Bah gegen 11 Uhr vormittags auf den Weg vom Auffanglager für Immigranten auf einem Hügel über der Stadt in Richtung Zentrum aufgemacht, vorbei an der großen Entsalzungsanlage, die die 85.000 Einwohner von Ceuta mit Trinkwasser versorgt. Wie immer macht er an der kleinen Mauer über der Playa de Benítez, dem Nordstrand von Ceuta, eine kleine Pause.

Von hier sieht man bei klarer Sicht den Felsen von Gibraltar. Und in klaren Nächten die Lichter der spanischen Hafenstadt Algeciras gleich neben Gibraltar. Von Ceuta, der westlichen der beiden spanischen Enklaven in Nordafrika, sind es dorthin 21 Kilometer. Über das Meer, die viel befahrene Straße von Gibraltar mit ihrer starken Strömung.

Thomas Urban

Träumt von der anderen Seite von Europa - Oumar Bah.

(Foto: Thomas Urban)

"Seit zwei Jahren träume ich davon, auf die andere Seite zu kommen, nach Europa", sagt er. Damals hat er gerade das Abitur in seiner Heimatstadt Conakry, der Hauptstadt Guineas in Westafrika, mit guten Noten bestanden. Er hatte einen Studienplatz im Fach Soziologie sicher, seinem Schwerpunkt beim Abitur. Doch würde er damit kaum einen guten Job bekommen, das haben ihm alle Freunde und Bekannten gesagt. Auch hat er die Botschaften der frankophonen Länder in Conakry abgeklappert, die Franzosen, Belgier, Kanadier. Doch überall habe man ihm gesagt, er habe keine Chance, bei ihnen einen Studienplatz zu bekommen.

Zwischen Parkplatz und Gebetsteppich

Einer der Parkplätze über dem Strand ist sein "Arbeitsplatz". Eigentlich dürfen die "illegalen Einwanderer" nicht arbeiten, doch die Behörden drücken ein Auge zu. Omar Bah winkt Autos in Parklücken ein. Die meisten Fahrer geben gern einen Euro dafür, auch wenn sie es ohne Hilfe schaffen würden. Die Afrikaner haben die Straßen in der Innenstadt unter sich aufgeteilt. Die "Illegalen" aus Guinea machen ihren Job an den Straßen entlang des Nordstrandes.

Am Freitag waren es 18 Euro, die er auf diese Weise eingenommen hat. 5,50 Euro gibt er für das Mittagessen in der nahegelegenen Bar "Manhattan" aus, die ein Marokkaner betreibt. Die Hälfte der Einwohner von Ceuta sind Muslime, doch haben sie alle die spanische Staatsangehörigkeit.

Freitag ist der Tag, an dem Oumar Bah nicht zum Mittagessen in das Lager zurückkehrt. "Das Essen ist ohnehin fad und mies", meint er. Er bleibt in der Stadt und besucht zum Freitagsgebet die Sidi-Sebta-Moschee, wo sich auch ein Großteil der Mitbewohner des Lagers einfindet. 600 sind es derzeit, die meisten sind Muslime aus den Ländern südlich der Sahara, eine größere Gruppe stellen auch die Algerier. An den anderen Tagen betet er im Lager, es gibt dort eine ausreichende Anzahl von Gebetsteppichen.

Die Flüchtlinge müssen einen GPS-Chip bei sich tragen

Die Moschee war eines der ersten Gebäude der Stadt, die er gesehen hat, als er hier am 14. April landete, in einem kleinen Boot mit stotterndem Motor hatten sie es zu Siebt geschafft. Wochenlang hatte er zuvor mit mehreren Hundert Afrikanern in den Wäldern um Ceuta kampiert, um auf die Gelegenheit zur Überfahrt zu warten. Er wusste, dass es nur über das Meer geht, weil die Grenzstation mit Scannern für Kraftfahrzeuge ausgestattet und der dreifache Grenzzaun kaum noch zu überwinden ist. Und er wusste, dass man es nur in kleinen Gruppen schafft, wenn Leute dabei sind, die das Meer kennen.

So hat er sich einer kleinen Gruppe von Senegalesen angeschlossen, unter denen Fischer waren. Sie haben zusammengelegt und in Marokko das Boot gekauft, das Geld hatten sie dort als Hilfsarbeiter auf Baustellen verdient. Kurz vor Mitternacht waren sie am Nordstrand von Ceuta, die Küstenwache hatte sie nicht bemerkt.

Nach dem Freitagsgebet gibt er noch einmal einen Euro für einen Tee in dem Kaffeehaus nebenan aus. Nach Sonnenuntergang geht er langsam den steilen Weg zum Lager zurück. Die Immigranten müssen um 23 Uhr zurück sein. In ihren Ausweiskarten der spanischen Sozialversicherung steckt ein GPS-Chip, mit dem sie sich lokalisieren lassen. Die Karten müssen sie ständig bei sich tragen.

Samstag

Beim Frühstück erfährt Oumar Bah, dass er zum Direktor in die Sprechstunde kommen soll. Pünktlich um 10.00 Uhr reiht er sich in die kurze Schlange vor dem Büro ein. Es erhält vom Direktor, einem Belgier, der nicht den Spaniern, sondern der europäischen Flüchtlingsbehörde untersteht, eine gute Nachricht: In wenigen Tagen endet sein Aufenthalt in Ceuta, mit der Fähre geht es auf das spanische Festland, in einem Asybewerberheim in Andalusien soll er die Entscheidung über sein weiteres Schicksal abwarten.

Omar Bah hat viel im Internet gelesen, er hat sich durch die Erklärungen zum europäischen Asylrecht gelesen und er weiß, dass es kein Rückführungsabkommen zwischen Spanien und Guinea gibt. Er sagt: "Ich bin ganz ruhig, es wird alles gut."

Er will von Spanien nach Frankreich und Belgien, wohin es schon einige Bekannte geschafft haben. In Guinea spricht man Französisch, Sprachprobleme würde er nicht haben. Oder nach Dortmund. Dort wohnt die Tochter der Nachbarn seiner Familie in Conakry. Sie hat einen Guineaner geheiratet, der in der Bundesrepublik geboren ist und einen deutschen Pass hat. Er habe einen guten Job, "irgendetwas mit Computern".

Die Dortmunder wissen allerdings noch gar nicht, dass er vielleicht zu ihnen kommt. Am liebsten würde er studieren. Sein Vater hat auch studiert, Elektrotechnik, und ihm beigebracht: "Nur mit Bildung kommst du weiter." Und noch eins: Immer gepflegt aussehen. Aber damit steht der schlanke, sportlich wirkende Oumar Bah nicht allein, fast alle jungen Männer im Lager legen offenkundig Wert darauf.

Samstag ist Aufräumtag. Er hat mit einem Landsmann Reinigungsdienst in seinem Zehn-Bett-Zimmer. Keine Freude bereiten ihm dabei die sanitären Anlagen: "Stark versifft!", sagt er. Die Immigranten wohnen in flachen Fertighäusern, die Dächer sind mit Isoliermaterial gegen die Hitze gedeckt, die Zwischenwände aus Pressspan und Holz. Das Lager befindet sich in einem Wäldchen, die Zufahrtsstraße ist von blühenden Büschen gesäumt.

Wer gewalttätig wird, fliegt raus

Um 18.00 Uhr begann das Fußballturnier des Lagers. Oumar Bah ist zwar schlank und sportlich, aber Fußball ist nicht sein Ding. "Zu brutal", sagt er. Er läuft lieber, auch schwimmt er gern. Fast jeden Samstagabend finden Sportturniere in dem Lager statt, die jungen Männer müssen sich austoben. Ihr Duchschnittsalter liegt bei knapp 23, jeder fünfte hat Abitur. Die Lagerleitung achtet darauf, dass es beim Fußball oder Basketball keine national zusammengesetzten Mannschaften gibt.

Der Direktor hält eine kurze Ansprache über Fairplay, nicht nur im Sport. Doch warnt er auch immer wieder: "Wer gewalttätig wird, fliegt raus!" Abschiebung! "Das funktioniert", sagt Oumar Bah. In den sechs Monaten, die er dort oben auf dem Berg gewohnt hat, gab es keine schwerwiegenden Zwischenfälle.

Sonntag

Gegen 13 Uhr geht Oumar Bah mit einer kleinen Gruppe zum Ende des Nordstrandes, um ein paar Runden zu schwimmen. Weiter gehen sie nicht, denn an den Strandabschnitten näher am Zentrum wurde ihm schon klar gemacht, dass das ein Platz "nur für Spanier" sei. Im Internet hat er Informationen gesucht, in welchen EU-Ländern es am wenigsten Rassismus gebe. Er zählt sie auf: "Irland, Schweden, Deutschland." Und er weiß, warum das in Deutschland so ist: "Andschela Merkel sorgt dafür, dass die Afrikaner anständig behandelt werden."

Kurz vor 18.00 Uhr findet sich mindestens die Hälfte der Lagerbewohner am Fußballplatz ein, auch Oumar Bah ist dabei. Die Auswahl des Lagers tritt gegen eine Elf der Guardia Civil an, der nationalen Polizei, die gegen illegale Immigration vorgehen soll und dies oft genug überaus hart tut. Die Afrikaner gewinnen haushoch, die Polizisten gratulieren ihnen und klopfen ihnen auf die Schultern.

Montag

Um 10 Uhr wieder Termin beim Direktor. Er unterrichtet eine Gruppe von 22 Mann, dass es am Mittwoch mit der Fähre am Felsen von Gibraltar vorbei nach Algeciras geht. Jubel bricht aus, der Direktor aber schaut ernst, wie Oumar Bah bemerkt.

Nach dem Essen geht er noch einmal in die Stadt. In der städtischen Schule für Fremdsprachen beginnt um 16.00 Uhr der Anfängerkurs Deutsch. Oumar Bah kommt nur, um sich von der Lehrerin, einer Spanierin, und den Mitschülern zu verabschieden. Die Immigranten dürfen kostenlos an den Kursen teilnehmen, aber nur wenige nehmen die Gelegenheit wahr. Oumar Bah sagt: "Vielleicht kann ich ja in Deutschland richtig Deutsch lernen."

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