Spaniens Premier Mariano Rajoy in Berlin:Oberste Priorität Deutschland

Sein Land erholt sich wirtschaftlich nur langsam, das Ansehen Spaniens im Ausland wird nur mühsam zurückgewonnen. Der Antrittsbesuch in Berlin ist Mariano Rajoys bisher wichtigste Auslandsreise - hofft er doch wie viele seiner Landsleute auf die Hilfe von Kanzlerin Merkel.

Javier Cáceres, Madrid

José Ignacio Torreblanca beliebt zu scherzen, wenn er die drei Prioritäten der Außenpolitik unter der neuen spanischen Regierung aufzählt. Aber ein bisschen meint es der Direktor der Madrider Niederlassung des European Councils on Foreign Relations (ECFR) auch ernst, wenn er sagt: "Erstens: Deutschland, zweitens: Deutschland, drittens: Deutschland."

Spain's PM Rajoy arrives to meet with his Portuguese counterpart Coelho in Sao Bento Palace in Lisbon

"Je größer, desto besser": Spaniens neuer Premier Rajoy hofft auf indirekte finanzielle Hilfen für seinen maroden Staatshaushalt. Auch aus Deutschland.

(Foto: REUTERS)

So gesehen steht nun für den konservativen Regierungschef Mariano Rajoy an diesem Donnerstag die denkbar wichtigste Auslandsreise auf dem Programm. Dann ist Rajoy, 56, zum ersten Mal seit seinem Amtsantritt vor gut einem Monat bei Bundeskanzlerin Angela Merkel in Berlin zu Gast.

Bei Rajoys erster Auslandsreise von Belang - er war zuvor auf Nachbarschaftsvisite in Marokko und Portugal - wird es vorrangig um die Wirtschaftslage im Euro-Krisenland Spanien gehen. Worum sonst. Zwar hält sich der Regierungspalast mit Stellungnahmen zu Zielen und Gegenstand der Gespräche zurück. Aber diese dürften nicht weit entfernt von den Hoffnungen liegen, die Josep Antoni Duran i Lleida von der katalanischen Regionalpartei CiU als Erwartungen an den Besuch umschreibt. Zum einen hoffe er, dass Rajoy "klar unterstreicht, dass Spanien die nötigen Reformen und Hausaufgaben erfüllen wird - angefangen mit der bevorstehenden Arbeitsmarktreform, die meine Unterstützung haben wird." Und zweitens glaubt Duran, dass "Merkel Flexibilität zeigt und Wachstumspolitiken fördert, ohne dabei von den Forderungen nach einer Defizitkontrolle abzusehen."

Seit Übernahme der Amtsgeschäfte haben sich die Spanier in Pflichtschuldigkeit geübt. "Sie wollen spürbar die Glaubwürdigkeit als seriöser Partner zurückgewinnen, die unter (Rajoys sozialistischem Vorgänger) José Luis Rodríguez Zapatero gelitten hat", sagt Torreblanca. Kaum im Amt, legte die konservative Regierung einen Mix aus Steuererhöhungen und Kürzungen vor, die 15 Milliarden Euro in die Staatskassen spülen sollen.

Anfang vom Anfang

Berlin lobte die Madrider Regierung, auch weil sie die Einschnitte erst als "Anfang vom Anfang" deklarierte. In der Tat: Weil Spanien sein Defizitziel für 2011 (6,0 Prozent) um rund zwei Prozentpunkte verfehlt hat, ist sicher, dass für 2012 "Anpassungen" von mehr als 40 Milliarden Euro nötig sein werden, um das Defizitziel für 2012 (4,4 Prozent) zu erreichen. Doch wahrscheinlich ist selbst das zu knapp gerechnet.

Zwar hat sich Spanien am Anleihemarkt zuletzt mühelos Geld beschaffen können. Aber die Probleme sind lange nicht überwunden. Die Bank von Spanien und der Internationale Währungsfonds (IWF) sehen für das laufende Jahr eine Schrumpfung der Wirtschaftsleistung von 1,5 beziehungsweise 1,7 Prozent voraus, die Arbeitslosenzahl wird sich bis Ende des Jahres der Sechs-Millionen-Grenze nähern. Angesichts der rezessiven Sparpolitik müsse Spanien sich laut IWF überdies von der Idee verabschieden, vor 2014 das Defizit unter die Sechs-Prozent-Marke drücken zu können. Eigentlich ist mit den europäischen Partnern vereinbart, dass Spanien Ende 2013 ein Haushaltsloch von höchstens drei Prozent aufweist.

Derartige Zahlen schwirren in den Hinterköpfen der Spanier, wenn sie Solidarität einforderten. Madrids Tenor: Wer seine Verpflichtungen erfülle, habe Hilfe verdient. Umkehrschluss: Da Spanien seine Pflichten erfülle, habe das Land Anspruch auf solche Hilfe. Abgesehen davon sei es im Interesse aller. Am deutlichsten wurde diesbezüglich Finanzminister Cristóbal Montoro. Er erinnerte daran, dass die Defizitziele 2010 ausgehandelt wurden, sprich: als alle Experten sicher waren, dass Spanien wieder wachsen würde. Brüssel müsse den Stabilitätsplan dem neuen Rezessionsszenario anpassen: "Alles andere würde nicht nur Spanien, sondern ganz Europa versenken." Rajoy war am Mittwoch bei seinem Lissabon-Besuch nur um Nuancen vorsichtiger. Spanien werde 2011 sein Defizitziel erfüllen - "heute" liege es bei 4,4 Prozent, sagte Rajoy.

Dass Spanien ernsthaft erwarten könnte, dass die Defizitziele mit einem zeitlichen Aufschub aufgeweicht werden, gilt dennoch als unwahrscheinlich. Eher hofft man in Madrid auf anderweitige, indirekte Hilfen, etwa über die Europäische Zentralbank oder eine größere Ausstattung des Rettungsfonds: "Je größer, desto besser", sagte Rajoy in Lissabon. Dort forderte er auch eine endgültige Lösung der Griechenland-Krise.

In jedem Fall sucht man ein Entgegenkommen Berlins. Deshalb überraschte es, dass sich der als besonders germanophil geltende Außenminister José Manuel García-Maragallo ausgerechnet jetzt mit Äußerungen meldete und Merkel ungeahnt heftig kritisierte. "Merkel kommt immer eine Viertelstunde zu spät", sagte García-Maragallo mit Verweis auf die Schuldenkrise. Ebenso deutlich forderte er Solidarität ein: "Deutschland kann Anstrengungen unternehmen, seine Binnennachfrage ankurbeln, um am Karren zu ziehen - so wie wir am Karren gezogen haben, als sie im Wiederaufbau steckten und ihren eigenen Gürtel enger schnallen mussten."

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