Spanien:Wahlen unter langen Schatten

A customer talks to a stallholder at the Monday market in the Basque town of Guernica

Die bekannteste Stadt des Baskenlandes ist Bilbao. Das in der Nähe gelegene Guernica, hier der montägliche Markt, wurde traurig berühmt durch den verheerenden deutschen Luftangriff von 1937.

(Foto: Vincent West/Reuters)

Die Jahre des Eta-Terrors sind lange vorbei, das Baskenland hat sich zur Erfolgsregion entwickelt. Doch Madrid schaut besonders streng auf Bilbao. Nun könnte sich dort das Schicksal von Premier Rajoy entscheiden.

Von Thomas Urban, Bilbao

Die frische Böe von der Biskaya lässt die kleine Gruppe Touristen, die vor dem Guggenheim-Museum Schlange stehen, ein wenig frösteln. Nach ein paar Tagen heftigen Regens scheint wieder die Sonne im Norden des Baskenlandes, aber es bleibt kühl. Bilbao ist eine überaus geschäftige Stadt, Hektik scheint sie dennoch nicht zu kennen. Mit seinem regelmäßigen Gitternetz von Straßen im Geschäftsviertel, den prachtvoll renovierten Fassaden von Bürgerhäusern aus der Gründerzeit sowie der gotischen Jakobskathedrale in der Altstadt erinnert es an die großen Handelsstädte Flanderns und Norddeutschlands.

Vielen Spaniern ist das oft neblige und verregnete Baskenland ein wenig unheimlich. Eine völlig andere Sprache und fremde Traditionen. Vor allem hat während der vergangenen Jahrzehnte die Terrororganisation Eta das Bild der Region mitgeprägt. Also schaut nun auch das ganze Land an diesem Wochenende dorthin: In der rund 2,2 Millionen Einwohner zählenden Region wird ein neues Parlament gewählt. Der Ausgang der Wahlen könnte Folgen für den so mühsamen Prozess der Regierungsbildung in Madrid haben. Seit Ende 2015 ist dort der konservative Premierminister Mariano Rajoy nur noch geschäftsführend im Amt, es können keine neuen Gesetze verabschiedet werden und somit auch kein Staatshaushalt.

Die neue Allianz ist noch nicht ausgemacht. Umfragen sehen Linksgruppierungen im Aufwind

Die Kalkulation ist simpel: In der baskischen Hauptstadt Vitoria-Gasteiz, die traditionell im Schatten Bilbaos liegt, regierte bislang die Baskische Nationalistische Partei (PNV), die trotz ihres Namens gemäßigt-konservative Positionen vertritt. Sie droht nun ihre Mehrheit zu verlieren, doch könnten ihr die Abgeordneten der von Rajoy geführten Volkspartei (PP) zur Mehrheit verhelfen. Im Gegenzug würden die fünf PNV-Vertreter im Madrider Parlament für Rajoy votieren, so dass diesem nur noch eine Stimme fehlen würde, um als Regierungschef bestätigt zu werden. Früher war ein solches Zusammengehen völlig ausgeschlossen: Die PP stand für die spanische Zentralgewalt, die PNV für starke Autonomie mit dem Fernziel der Unabhängigkeit. Doch nun verkündete der baskische Ministerpräsident Iñigo Urkullu: "Ein unabhängiger baskischer Staat steht nicht auf der Tagesordnung."

Allerdings ist die neue Allianz zwischen den Konservativen in Madrid und im Baskenland noch längst keine ausgemachte Sache, denn die Umfragen sehen zwei Linksgruppierungen im Aufwind: Bildu, eine linksnationalistische Partei, die die staatliche Souveränität eines sozialistischen Baskenlandes anstrebt, und Podemos, das landesweit antretende Bündnis aus Linksalternativen, Grünen und Neomarxisten.

Die Experten befinden allerdings, dass keine Wechselstimmung herrsche. Der wichtigste Grund: Das Baskenland ist ziemlich gut durch die große Krise gekommen. Im Pro-Kopf-Einkommen liegt es gemeinsam mit der Region Madrid an der Spitze. Vor einem Vierteljahrhundert sah dies noch anders aus: Der wichtigste Wirtschaftszweig, die Schwerindustrie, lag am Boden, die Arbeitslosigkeit war stark gestiegen, die junge Generation radikalisierte sich immer mehr. Doch hat das Baskenland den Strukturwandel innerhalb einer Generation gemeistert. Es steht heute für Technologie- und Finanzunternehmen, Start-ups werden gefördert. Den gewaltigen Sprung in die Moderne symbolisiert das Guggenheim-Museum mit seinem scheinbar planlos dahingeworfenen abgerundeten Würfeln, Quadern und Kegeln. Die beiden aktuellen Ausstellungen verweisen auf die Entwicklung der Region: "Fenster der Stadt" über den Aufbruch der modernen Malerei sowie "Schatten" mit Werken von Andy Warhol.

Otegi Arnaldo galt als Terror- Sympathisant, nun sehen ihn viele als Friedenskämpfer

Für die Schatten der Vergangenheit stehen die drei Buchstaben Eta, die Abkürzung "Baskenland und Freiheit" auf Baskisch. Die Linksnationalisten von Bildu haben den ehemaligen Eta-Häfting Arnaldo Otegi zu ihrem Spitzenkandidaten gekürt, das zuständige Provinzialgericht erklärte den Beschluss aber für ungültig, da Otegi bei einer früheren Verurteilung "wegen Verherrlichung des Terrorismus" das passive Wahlrecht genommen worden war. Der 58-Jährige war mehrmals in Haft, erst im März kam er frei. Seine letzte Verurteilung war international auf Kritik gestoßen, denn Otegi hatte sich nicht nur zuvor vom Terror losgesagt, sondern auch eine wichtige Rolle dabei gespielt, dass die letzten Eta-Kämpfer im Untergrund 2011 das "Ende des bewaffneten Kampfes" verkündeten. In vielen Orten hängen Otegi-Plakate. Ein Großteil seiner Landsleute fordert, dass seine Wandlung vom Unterstützer des Terrors zum Friedenskämpfer gewürdigt werden müsse. Doch die Konservativen in Madrid verdammen ihn nach wie vor als "Etarra", als Eta-Mann.

Die Schatten der Vergangenheit sind auch das Hauptanliegen des baskischen Premiers Urkullu. Im Blick hat er dabei die Antiterror-Gesetze Madrids, die schon allein die Befürwortung von Gesprächen mit der Eta als "Unterstützung des Terrorismus" sanktionieren. Urkullu unterstützt die Forderungen, die inhaftierten Eta-Mitglieder in heimatnahe Gefängnisse zu verlegen. Bisher verbüßen die meisten von ihnen ihre Haft in den hintersten Ecken Andalusiens. Für die Angehörigen, die die Besuchstermine wahrnehmen, bedeutet dies eine Fahrt von mehr als 1000 Kilometern in eine Richtung. Sollte die PNV die Wahl gewinnen, wird Rajoy in Madrid sich in diesem Punkt flexibel zeigen müssen.

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