Spanien vor Europawahl:Wo die EU-Optimisten wohnen

A couple looks at their phone after having taken a photo of themselves by a replica of Brussels' Manneken-Pis at Parque Europa in Torrejon de Ardoz, in the outskirts of Madrid

Besucher im Parque Europa am Rande von Madrid, im Hintergrund ist eine Nachbildung des Brüsseler Wahrzeichens Manneken Pis zu sehen. Trotz Krise gehören die Spanier zu den größten Europa-Optimisten.

(Foto: REUTERS)

Vorbehalte gegenüber der EU? Nicht in Spanien: Trotz Finanzkrise stehen die europäischen Institutionen hier höher im Kurs als die nationalen. Selbst Separatisten bezeichnen sich als "vorbildliche Europäer". Einblick in ein Land, in dem Europaskeptiker chancenlos sind.

Von Thomas Urban, Madrid

Die Spanier gehören zu den größten Europa-Optimisten, das zumindest legen Umfragen der Madrider Medien nahe. Es gibt denn auch in der spanischen Politik bislang keine nennenswerten Europaskeptiker und Eurogegner. Politologen sehen dafür zwei Hauptgründe: Zum einen trauert nur ein Bruchteil der Spanier der Isolierung des Landes unter dem 1975 gestorbenen Franco nach. Zum anderen ist Spanien dank der EU-Mittel innerhalb einer Generation zu einem modernen Land geworden.

Die europäischen Institutionen stehen höher im Kurs als die spanischen - und das obwohl Spanien noch immer unter den Folgen der 2008 geplatzten Immobilienblase leidet. Doch ein Großteil der Wähler macht dafür die eigene politische Klasse verantwortlich, diese gelten als inkompetent und korrupt.

Bei den kommenden Europawahlen dürften sich die mit absoluter Mehrheit in Madrid regierende Volkspartei (PP) und die Sozialistische Arbeiterpartei (PSOE) ein Kopf-an-Kopf-Rennen liefern, beide Parteien liegen bei etwa 30 Prozent. Für beide würde ein Ergebnis in dieser Größenordnung einen herben Verlust bedeuten: die konservative PP kam 2009 auf 42,7 Prozent, die Sozialisten auf 39,3.

Nur wenige der konservativ eingestellten Wähler kreiden dabei der PP den rigorosen Sparkurs an. Denn in ihren Augen trägt er ja bereits Früchte: Nach den jüngsten Wirtschaftszahlen wird das Land die Krise schneller überwinden, als dies noch im vergangenen Jahr möglich schien. Der Hauptgrund für den Absturz der PP in den Umfragen liegt vielmehr in diversen Korruptionsskandalen, die bis zur Parteispitze um Mariano Rajoy reichen. Die ebenfalls von Finanzaffären gebeutelten Sozialisten dagegen kämpfen damit, dass sie ein beträchtlicher Teil der Wähler für die Krise verantwortlich macht und ihnen nur geringe Wirtschaftskompetenz zugesteht.

Separatisten und "vorbildliche Europäer"

Von den Problemen der beiden Großen, die die politische Szene Spaniens seit dem Ende der Franco-Diktatur vor 39 Jahren dominieren, werden die sozialliberale UPyD, die aus der kommunistischen Partei hervorgegangene Vereinigte Linke (IU) sowie einige Regionalparteien profitieren. Auch von letzteren kommen keine EU-skeptische Töne, im Gegenteil: Sie hoffen, dass Brüssel die Regionen gegenüber der Zentralregierung stärken wird. Die Basken und die Katalanen, die auf Distanz von Madrid setzen, sagen sogar über sich, sie wollten "vorbildliche Europäer" sein.

Spanien ist neben Portugal das einzige der Mittelmeerländer in der EU, in dem die Wirtschaftskrise an der proeuropäischen Grundstimmung nichts geändert hat. Zwar klagten anfangs manche Kommentatoren über das angebliche "Spardiktat" der Bundeskanzlerin. Doch sehr schnell verschwanden die Anti-Merkel-Plakate wieder, nachdem immer mehr Berichte über gewaltige Korruptionsaffären namentlich bei Bauprojekten und in einigen Banken erschienen. Heute denkt die überwältigende Mehrheit der Spanier deshalb mit gutem Grund, dass die Krise hausgemacht ist.

Zwar organisieren die Gewerkschaften immer wieder Protestkundgebungen, doch kommen zu ihnen nur noch wenige Tausend Menschen, meist Angestellte des öffentlichen Dienstes; Fotos und Filmberichte in den internationalen Medien von prügelnden Polizisten und Demonstranten zeigen kein repräsentatives Bild.

Politisch fast tot ist die Protestbewegung 15-M, die am 15. März 2011 Hunderttausende gegen Sparmaßnahmen mobilisierte. Wenige Monate später zeigte sich allerdings, dass viele Spanier diese Proteste nicht unterstützten: Rajoys Volkspartei errang bei den Wahlen die absolute Mehrheit, woraufhin die von Linksgruppierungen und Studenten getragene Bewegung zerfiel.

Dies lag vor allem am Fehlen eines klaren Konzeptes: 15-M wollte die üppig bemessenen Sozialleistungen und reichlich ausgestatteten Universitäten verteidigen, hatte aber keine Lösung, wie dies zu bewerkstelligen sei. Das Modell eines utopischen Sozialismus, mit dem 15-M zuletzt verbunden wurde, findet auch in der jungen Generation nur ein verschwindend geringes Echo.

Ja zur EU, ja zum Euro

Bei den kommenden Europawahlen treten Parteien an, die sich als Erben von 15-M sehen, darunter die Partei X sowie Podemos (Wir können). Zwar lehnen sie die EU-Sparpolitik ab, doch die zum Teil heftig untereinander zerstrittenen Links-Gruppen und Grüppchen eint, dass sie die Europäische Union und den Euro nicht in Frage stellen.

Mit Euroskepsis kann man bei den Spaniern offenbar nicht punkten, das scheint Konsens unter den Parteien zu sein. Die PP findet: Die Europäische Union muss weiter gestärkt werden. Die PSOE möchte die Europa-Parolen der Konservativen noch toppen und fordert mehr Kompetenzen für Brüssel.

Selbst bei der neuen konservativ-katholischen Partei Vox, die PP-Dissidenten gegründet haben, heißt es: Ja zu Europa und zum Euro, aber Kampf gegen die Eurobürokratie, gegen Korruption, gegen ungehinderte Immigration in die EU und Kampf für eine umfassende Privatisierung sowie Selbstverwaltung der Bürger. Da der neuen Partei prominente Köpfe fehlen, ist sie den meisten Spaniern allerdings gänzlich unbekannt. Doch noch hat die Wahlkampagne nicht begonnen - und es gilt als verbürgt, dass die Wähler die PP abstrafen werden, Vox könnte davon profitieren.

Das einzige antieuropäische Bündnis hat Umfragen zufolge keine Chancen. Es handelt sich dabei um den rechtsextremen Wahlblock "Spanien marschiert" (La España en Marcha). Ihm gehören die faschistische Falange, die einst Franco stützte, und die nicht minder ausländerfeindliche Nationale Allianz mit ihrer Parole "Nation, Rasse, Sozialismus" an.

Eine Blockade der Politik durch Euro-Gegner ist also in Spanien nicht zu erwarten. Dafür droht dem Land aber wegen der allgemeinen Verdrossenheit bei den Europa-Wahlen etwas anderes: die niedrigste Wahlbeteiligung in der Geschichte der spanischen Demokratie.

Linktipps: In diesem Artikel stellen SZ-Korrespondenten die bekanntesten Europa-Skeptiker vor - von Marine Le Pen bis Nigel Farage, von Beppe Grillo bis Geert Wilders. Warum - außerhalb von Spanien und Portugal - Anti-Europa-Populismus so erfolgreich ist, erklärt Kathrin Haimerl in dieser Süddeutsche.de-Analyse. Für die Serie "Mein Europa" schrieb die junge Spanierin Estefanía Almenta über das "Märchen von der Mobilität".

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