Spanien:"Sie versuchen, ihren Terror zu rechtfertigen"

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"Ich habe gesehen, wie sie meinen Bruder und viele Freunde getötet haben", sagt Maite Pagazaurtundua. Als Politikerin kämpft sie bis heute gegen Nationalismus. (Foto: AP)

Der Bruder von Maite Pagazaurtundúa wurde von der baskischen Eta ermordet. Im Interview erklärt sie, warum sie sich über die Auflösung der Terrororganisation nicht freuen kann - und wie Spanien den Separatismus überwinden könnte.

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Joxeba Pagazaurtundúa saß in einem Café in der baskischen Kleinstadt Andoáin und las Zeitung, als ihn die Kugeln der Eta trafen. Die Terroristen schossen ihm mehrmals in den Kopf, in die Schulter, in den Magen, es war das Jahr 2003. Der Polizist, der sich politisch gegen die separatistische Organisation engagiert hatte, hinterließ zwei Kinder, eine Ehefrau - und eine Schwester, die fest entschlossen war, den Kampf gegen den Terror nicht aufzugeben. Maite Pagazauurtundúa wurde Sprecherin eines Verbands von Eta-Opfern, sie schrieb Bücher, machte weiter Politik, obwohl ihr die baskischen Terroristen mit dem Tod drohten. Inzwischen sitzt sie für die Mitte-Partei Union y Progreso (Einigkeit und Fortschritt) im Europäischen Parlament.

SZ: Wie fühlen Sie sich angesichts der Nachricht, dass die Eta nun ihre Auflösung bekannt gegeben hat?

Maite Pagazaurtundúa: Es wäre gelogen zu sagen, dass ich mich freue. Vor etwa sechs Jahren hat die Eta die Waffen niedergelegt. Unser Leben ist seitdem ruhiger, wir müssen keine Angst mehr haben, dass sie uns töten. Wie die Eta nun aber ihre Auflösung kommuniziert, das finde ich zynisch. Sie versuchen, ihren jahrzehntelangen Terror zu rechtfertigen. Dabei müssten sie uns, die Opfer und die spanische Gesellschaft insgesamt, um Verzeihung bitten.

Erst vor wenigen Tagen machte eine entsprechende Meldung die Runde, derzufolge sich die Eta bei ihren Opfern entschuldige.

Das war nicht mehr als eine Worthülse, man könnte auch sagen: eine Lüge. Wenn wir uns den Text genau anschauen, dann sehen wir: Die Eta entschuldigt sich für manche Morde, für andere nicht. Sie sagen also: Einige Menschen sind zu Recht ermordet worden. Das finde ich schrecklich. Außerdem arbeitet die Eta bis heute nicht richtig an der Aufklärung ihrer Taten mit, mehr als 300 Morde sind nicht oder nur teilweise aufgeklärt worden. Die Mitglieder der Eta haben jahrzehntelang ein giftiges Klima genährt: Entweder du denkst wie ich, oder du bist ein Verräter. Sie haben viele Menschen getötet und noch viel mehr eingeschüchtert, auch, weil sie Zehntausende Spione beschäftigt hatten, die Informationen über politische Gegner weitergaben. All das wollen sie jetzt beiseite wischen, indem sie sagen, dass das Volk sehr gelitten habe und dass es eben einen politischen Konflikt gebe.

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Sie selbt wurden mit dem Tod bedroht, weil sie eine andere politische Meinung hatten und Politik für die spanischen Sozialisten machten. Wie muss man sich ihr Leben vorstellen in der Zeit, als die Eta noch aktiv war?

Es war schrecklich. Die meiste Zeit über konnte ich ohne Polizeieskorte nirgendwo hingehen, obwohl ich bloß Gemeinderätin war. Ich habe gesehen, wie sie meinen Bruder und viele Freunde getötet haben. Ich wusste, dass es jederzeit auch mich treffen könnte. Es war sehr hart, in diesem Klima meine Töchter großzuziehen. Das Schlimmste war für mich, zu sehen, dass sich die Eta bei all dem Terror auch noch tugendhaft fühlte. Ich habe in dieser Zeit oft an die ungarische Philosophin Ágnes Heller gedacht. Sie hat mal gesagt, die radikalsten Menschen seien, diejenigen, die nicht nur viel Schaden anrichten, sondern das dann auch noch für gut halten. Ich habe erlebt wie es ist, wenn man die Demokratie und die Rechtsstaatlichkeit abschaffen will, das hat mich sehr geprägt.

In einem Moment, in dem sich die Eta auflöst, stürzt nun der katalanische Separatismus Spanien in eine tiefe Krise. Kann Ihr Land irgendwann einmal diese Kämpfe überwinden?

Ich glaube, die Ursache dieser Probleme liegt darin, dass die Debatte darüber, was einen Staatsbürger ausmacht, in Spanien nie richtig geführt worden ist. Die verschiedenen Regierungen haben es vorgezogen, den stolzen Regionen viele Privilegien einzuräumen. Aus politischer und institutioneller Perspektive hat das eine seltsame Situation herbeigeführt. In einem Moment, in dem eine weitere europäische Integration von Bedeutung ist, wollen die Menschen lieber wieder mehr Grenzen hochziehen. Als wären wir im 19. Jahrhundert. Das heißt ja nicht, dass alles Regionale abzulehnen wäre. Natürlich bin ich ja Baskin, ich liebe Euskara (die baskische Sprache, Anmerkung d. Red.). Aber das ist eine Sache, und die staatsbürgerliche Identität ist eine andere. Nur weil ich Euskara spreche muss ich mich ja nicht in mein eigenes, schnuckliges Ländchen zurückziehen. Ich bin Europäerin. Ich will, dass wir uns als Europäer fühlen, dass wir gemeinsam gegen Probleme wie die des Terrorismus, den Populismus und die globale Steuervermeidung kämpfen. Das bekommt kein Land alleine hin.

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Anders als im Baskenland läuft der Konflikt um die Unabhängigkeit in Katalonien bisher ohne extreme Gewalt ab. Halten Sie eine weitere Radikalisierung für möglich?

Es gibt eigentlich keinen Grund, warum das passieren sollte. Was wir in Katalonien sehen, das ist ein Zündeln mit der Identität, es ist absurd und giftig. Die eigene Kultur und Literatur der Katalanen rechtfertigt das nicht. Ich fühle mich manchmal an den Populismus eines Viktor Orbán oder eines Jarosław Kaczyński erinnert. Das läuft alles entgegen der Geschichte, die wir Europäer jetzt brauchen. Wenn man diese Muster öffentlich kritisiert und Alternativen anbietet, dann glaube ich, dass Katalonien wieder zur Ruhe kommen kann.

Das Baskenland hat noch mehr Autonomierechte als Katalonien, zum Beispiel in der Finanzpolitik. Wäre es vielleicht eine Lösung, wenn Katalonien mehr Autonomie bekäme?

Das ist unmöglich. Das Baskenland hat diese Rechte, weil es sehr klein und für die spanische Volkswirtschaft nicht besonders wichtig ist.Wir sind nur etwa zwei Millionen Einwohner. Wenn man Katalonien ähnliche Privilegien einräumen würde, dann würde Spanien zusammenbrechen. Die Rechte für das Baskenland sind auch nicht logisch. Es ist sehr wohlhabend, trotzdem trägt es zum Umverteilungssystem zwischen den Regionen nichts bei, im Gegenteil, es bekommt Unterstützung. Ich bin für ein Modell, in dem keine Region so viele Privilegien hat, sondern in dem alle solidarisch miteinander sind.

Was glauben Sie, wie hätte Ihr Bruder die Nachricht von der Auflösung der Eta aufgenommen?

Ich glaube, er würde so denken wie ich. Er hätte keine Freude empfunden, wie sollte er, wenn sie sagen, manche Morde seien in Ordnung gewesen? Das einzige, was helfen würde, wäre echte Reue.

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