Spanien:Partei der Verdächtigen

Spaniens konservative Volkspartei wird von einer Korruptionsaffäre erschüttert, die zur größten in der Geschichte des Landes werden könnte.

Javier Cáceres

Nimmt man seine eigenen Worte zum Maßstab, so ist dieser Mittwoch ein unvergleichlich grandioser Tag im Leben des Luis Bárcenas. Nichts scheint der langjährige Schatzmeister der konservativen Volkspartei (PP) je mehr herbeigesehnt zu haben, als endlich vor der Justiz erscheinen zu dürfen.

Spanien: Mariano Rajoy, Parteichef der oppositionellen PP, möchte die Korruptionsaffäre am liebsten aussitzen.

Mariano Rajoy, Parteichef der oppositionellen PP, möchte die Korruptionsaffäre am liebsten aussitzen.

(Foto: Foto: AP)

"Glücklich" und "froh" zeigte sich der Mann mit der Vorliebe für auffällig gestreifte Hemden, als die Zweite Kammer des Obersten Gerichtshofs endlich einen Termin für ihn frei hatte. Jetzt glaubt Bárcenas beweisen zu können, dass er nichts mit einer Korruptionsaffäre zu tun hat, die Spaniens Rechte seit fast einem halben Jahr lähmt. Der Vorgang trägt den kuriosen spanisch-deutschen Aktendeckelnamen "Operación Gürtel".

Spanien hat schon so manche Politfilz-Enthüllung über sich ergehen lassen, gerade in Zeiten des Baubooms. Doch der Fall "Gürtel" hat beste Aussichten, zur größten Affäre der spanischen Demokratie zu werden. Gegen mehr als hundert Personen wird im Rahmen der Operation ermittelt, es geht um Bürgermeister, Regionalabgeordnete, Parteifunktionäre und sogar einen Landesregierungschef der Rechten.

"Operación Gürtel"

Den deutschen Namen wählten die Ermittler, weil der mutmaßliche Drahtzieher der systematischen Durchstechereien Fernando Correa heißt: Correa steht im Spanischen für Riemen - oder eben "Gürtel". Bis zu seiner Festnahme im Februar war Correa dem breiteren spanischen Publikum unbekannt. Doch wie eng er mit den Machtzirkeln verbunden war, illustriert nicht zuletzt ein Foto aus dem Jahr 2002, das ihn nun wieder eingeholt hat.

Darauf ist zu sehen, wie Correa - die Haare streng nach hinten gegelt, die Haarspitzen kokett im Nacken gekräuselt - im Stresemann über einen Hof im Königspalast schreitet, als Trauzeuge des Mannes, der die Tochter des von 1996 bis 2004 amtierenden konservativen Regierungschefs José María Aznar bei einer pompösen Hochzeit ehelichte: Alejandro Agag, damals Nachwuchshoffnung der PP, nunmehr Motorsport-Magnat. Die Hochzeitsparty mit illustren Gästen - Rupert Murdoch, Tony Blair, König Juan Carlos - organisierte damals Correa, denn auf Events war er spezialisiert.

Jahrelang hatte Correas Firma Special Events die Organisation von PP-Wahlkampfveranstaltungen zugeschustert bekommen, später hatte er auch an privaten Veranstaltungen wie Sportereignissen oder Messen etliche Millionen verdient. Hier und dort verdiente Correa wohl auch an millionenschweren, undurchsichtigen Immobiliendeals in PP-regierten Gemeinden mit.

Teure Uhren und maßgeschneiderte Anzüge

Das Geschäft lief wie geschmiert: Insbesondere in den PP-Hochburgen Valencia und Madrid fußten seine Beziehungen nicht selten auf Gefälligkeiten und Bakschisch. Senatssprecher Pío García-Escudero hat jüngst erklärt, Correa vor Jahren eine sündhaft teure Uhr zurückgegeben zu haben. Der Regierungschef der Region Valencia, Francisco Camps, ist wegen maßgeschneiderter Anzüge ins Zwielicht geraten. Valencias Bürgermeisterin Rita Barberà soll einige ihrer Louis-Vuitton-Taschen nicht selbst bezahlt haben.

Auch Frauen von Politikern wurden bedacht - oder hintergangen: In einem aufgezeichneten Gespräch, das der TV-Sender Cuatro ausstrahlte, prahlte Correa damit, einem PP-Bürgermeister eine Party mit "so richtig versauten" Prostituierten spendiert zu haben.

Ein Meer aus Argwohn und Intrigen

Auch Luis Bárcenas geriet ins Visier der Ermittler. Der Senator ist seit mehr als 20 Jahren bei den Konservativen tätig, war erst Geschäftsführer, dann Schatzmeister, und hat in dieser Zeit ein an seinem Gehalt gemessen erstaunliches Vermögen angehäuft. Medien taxieren seinen Besitz auf drei Millionen Euro.

Er selbst sagt, dass dies maßlos übertrieben sei und er bloß geschickt an der Börse spekuliert habe. 2003 lief er mit 330.000 Euro in 500er-Scheinen in eine Bank - angeblich um einen Kredit zurückzuzahlen, den er einen Monat zuvor aufgenommen hatte. Er habe erst ein Gemälde kaufen wollen, sich dann jedoch anders entschieden, sagte er. In Finanzdokumenten von Correa tauchten allerdings Zahlungen in ebensolcher Höhe an "L.B." auf.

Bauaufträge durch erstklassige Kontakte

In späteren Aufzeichnungen Correas über Zahlungen fand sich zudem ein gewisser "Luis el Cabrón", übersetzt: "Luis, das Arschloch". Offenbar hatte Correa Bárcenas nicht verziehen, dass die PP 2004 die langjährige Zusammenarbeit beendete. Dem politischen Erben Aznars an der Spitze der PP, Mariano Rajoy, soll damals zu Ohren gekommen sein, dass Correa seine erstklassigen Kontakte in die PP-Zentrale benutzte, um in konservativ regierten Gemeinden an Bauaufträge zu kommen.

Für die PP wird die verschlungene Affäre zu einem Problem. Längst ist in Vergessenheit geraten, dass die Rechte bei der Europawahl im Juni die Sozialisten besiegt hat - trotz der Korruptionsvorwürfe. Diese hatten damals, so schien es, den Zusammenhalt der Rechten gestärkt. Durch die Trotzreaktion ihrer Wähler erzielte die PP gerade in den affärengebeutelten Regionen Valencia und Madrid beste Ergebnisse.

Auch jetzt suchen die Konservativen ihr Heil im Angriff. Der Regierung warfen sie vor, Justiz- und Polizeiorgane "zur Vernichtung der Opposition" zu missbrauchen und Ermittlungsunterlagen gezielt an geneigte Medien weiterzugeben. Gemeint sind Organe des Konzerns Grupo Prisa, zu der die Zeitung El País, der Radiosender Cadena Ser und Cuatro gehören.

"Kistenweise" belastendes Material

Längst droht die PP aber auch innerparteilich in einem Meer aus Argwohn und Intrigen zu versinken. Trotz interner Rücktrittsforderungen von prominenter Stelle musste Bárcenas noch immer nicht gehen. Gerüchten zufolge soll Bárcenas "kistenweise" Unterlagen aus der Parteizentrale geschleppt haben, angeblich mit belastendem Material über illegale Parteienfinanzierung. In einer Karikatur zeigte die linke Zeitung Público Rajoy, wie ihn eine Hand, die unterm Rednerpult hervorlugt, kräftig im Schritt packt.

Rajoy hat illegale Parteispenden kategorisch bestritten, ebenso Bárcenas. Aznar jedenfalls hat verlauten lassen, dass Rajoy völlig freie Hand habe, mit Bárcenas zu tun, was er wolle - er, Aznar, habe nichts zu befürchten. Rajoy selbst beteuert: "Ich bin nicht erpressbar." Ob er die Affäre aussitzen kann, ist jedoch offen. Das gute Ergebnis der PP bei der Europawahl im Juni heiße nicht, dass den Spaniern Korruptionsaffären egal seien, sagt der Politik-Berater José Ignacio Wert. Immerhin ist in den 90er Jahren der Sozialist Felipe González über die Affären seiner Partei gestolpert.

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