Anschlag von Barcelona:Unauffällige, harmlose Jungs, nicht Rabauken und Ausgegrenzte

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Ahnungslosigkeit im Ort Ripoll, aus dem drei der Terrorverdächtigen stammen. "Nicht in meinem Namen" - Familienmitglieder und Bekannte distanzieren sich von den terroristischen Taten. (Foto: REUTERS)
  • Nach den Anschlägen in Barcelona rätselt man in Spanien, wieso sich die jungen Männer radikalisieren ließen.
  • Der Imam aus Ripoll, der als Kopf der Terrorzelle galt, habe sich die unauffälligsten Jungs herausgepickt, sagen Anwohner.
  • Er unterhielt offenbar Kontakte nach Belgien, Frankreich und Marokko, wo es im Zusammenhang mit dem Attentat am Montag Festnahmen gab.

Von Sebastian Schoepp und Thomas Urban, Madrid

Er schlief tagsüber und marschierte vermutlich nachts. Er hatte weder Geld dabei noch Essen, aber drei Messer. So kam Younes Abouyaaqoub 34 Kilometer weit, bis sie ihn in den Weinbergen von Subirats stellten, einer Ansammlung von Weilern in den Hügeln des Penedès. Anwohner hatten ihn am Montagnachmittag gesehen und die Polizei alarmiert. Younes Abouyaaqoub ist der Mann, der am Donnerstag in Mordabsicht mit einem weißen Lieferwagen durch die Menschenmassen auf der Rambla von Barcelona gefahren war. Als die Polizei in Subirats eintraf, riss er sein Hemd auf und zeigte einen Sprengstoffgürtel. Er schrie "Allahu akbar" und bewegte sich auf die Patrouille zu. Er war noch etwa zehn Meter entfernt, da schossen die Beamten, wie ein Anwohner berichtet, "vielleicht ein Dutzend Mal".

Erst ein Roboter stellte später fest, dass es sich bei dem Sprengstoffgürtel um eine Attrappe gehandelt hatte. Auffällig war, dass der 22-Jährige andere Kleidung trug als zur Zeit des Anschlags. Hatte er spontane Helfer gehabt?

Im Moment geht die katalanische Polizei davon aus, dass Abouyaaqoub der letzte Flüchtige der Terrorzelle war, die in Barcelona und Cambrils insgesamt 15 Menschen tötete. Damit sei die Zelle zur Strecke gebracht. Ein Dutzend Terroristen in drei Tagen, darauf könnten die Mossos d'Esquadra, wie sie heißen, und ihr Chef Josep Lluis Trapero, stolz sein, wurde am Dienstag vielfach getwittert.

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Einer der festgenommenen Verdächtigen macht vor Gericht eine detaillierte Aussage - und weist dem getöteten Imam eine Schlüsselrolle zu. Ein anderer Verdächtiger kommt frei.

Auch der mutmaßliche Anführer der Zelle, der Imam von Ripoll, ist tot, wie nun bestätigt wurde, begraben unter den Trümmern eines Hauses in einem Badeort, wo die Gruppe das Bombenbasteln übte - bis es zur Explosion kam. Zwei Terroristen starben. Fünf weitere wurden von der Polizei erschossen.

Die vier Überlebenden wurden am Dienstag in Madrid unter strengsten Sicherheitsvorkehrungen dem Ermittlungsrichter Fernando Andreu vorgeführt. Er ordnete an, dass drei in Haft bleiben, der vierte wurde freigelassen. Einer ist aus der Exklave Melilla, drei stammen aus dem Pyrenäenstädtchen Ripoll. Einer der Verhafteten gestand, dass noch ein viel größerer Anschlag geplant war. Auch Barcelonas weltberühmte Basilika Sagrada Família wollten sie in die Luft jagen - was die Ermittler schon vermutet hatten.

In Ripoll fragt man sich immer noch, wieso sich die jungen Männer radikalisieren ließen. Und ganz Spanien rätselt, was man in Zukunft besser machen könne. Illusionslos gab sich die Barceloner Zeitung La Vanguardia: "Es wird wieder Terror geben." Anwohner und Verwandte berichteten spanischen Medien, der Imam Es Satty habe sich die unauffälligsten, harmlosesten Jungs herausgepickt; nicht die Rabauken, die Ausgegrenzten und Frustrierten, sondern die, die als gut integriert galten, Katalanisch sprachen. Die meisten waren sehr jung, zwischen 17 und 24, und marokkanischer Herkunft. Keiner soll ernsthafte Probleme bei der Arbeit oder im sozialen Leben gehabt haben, berichtet Stadträtin Maria Dolors Vilalta der Zeitung El País.

Younes Abouyaaqoub, der Todesfahrer von der Rambla, war mit vier Jahren 1999 mit seinen Eltern aus Marokko nach Ripoll gekommen. In der Schule zeigte er gute Leistungen, er war ein begabter Fußballer und spielte in einem der örtlichen Vereine. Wie viele Söhne der Immigrantenfamilien war er ein Autonarr, doch wurde er von Bekannten als zurückhaltend und höflich beschrieben. Seine Eltern gaben an, sie hätten seine Radikalisierung nicht bemerkt.

Doch es gibt auch andere Stimmen, die Grenzen der Integration aufzeigen. Ein Junge namens Rashid, Cousin eines der Terroristen, sagte zu einem Reporter: "Ja, wir sind hier aufgewachsen, aber am Ende sind und bleiben wir immer die moros" - so nennt man in Spanien Maghrebiner. "Die Mädchen gehen nicht mit uns aus und die Erwachsenen glauben, wir verkaufen Haschisch."

Der Imam war nach der Version der Dorfbewohner also der einzig wirklich Böse. Er hätte bereits 2014 Spanien verlassen müssen. Doch legte er Beschwerde gegen die Abschiebung ein, vor einem Gericht in Castellón in der Region Valencia setzte er die Aufenthaltsverlängerung durch. Es Satty war wegen Drogenhandels zu vier Jahren Haft verurteilt worden, er hatte eine größere Menge Haschisch über die Hafenstadt Ceuta nach Spanien schmuggeln wollen.

Im Gefängnis lernte er nach Angaben der Polizei einen der Angehörigen der islamistischen Terrorgruppe kennen, die 2004 Sprengstoffanschläge auf vier Madrider Vorortzüge verübt hatten. Die Ausländerbehörde und auch das Innenministerium in Madrid betrieben bis zu seinem Tod die Abschiebung Es Sattys, doch seine Anwälte konnten mehrmals einen Aufschub mit der Begründung durchsetzen, es sei nicht sicher, ob in Marokko seine Rechte respektiert würden.

Nach der Entlassung aus dem Gefängnis bewarb er sich mit Erfolg um eine Predigerstelle an der Moschee einer Kleinstadt bei Barcelona, im vergangenen Jahr kam er nach Ripoll. Ein Sprecher des Rathauses teilte mit, dass weder die islamische Gemeinde der Stadt noch die Polizei von der Vorstrafe des neuen Imams erfahren hätten. Er unterhielt offenbar Kontakte nach Belgien, Frankreich und Marokko, wo es im Zusammenhang mit dem Attentat am Montag Festnahmen gab. Dort wird auch gegen die im Land lebenden Eltern eines Terroristen ermittelt.

Kurz vor dem Attentat unternahmen einige Mitglieder der Zelle in einem Audi eine Blitzreise nach Frankreich, wie der französische Innenminister Gérard Collomb am Dienstag sagte. Zu welchem Zweck genau, ist noch unklar. Derselbe Audi wurde einige Tage später für die Angriffe im Badeort Cambrils verwendet. Eigentümer ist der 27-jährige Mohammed Aallaa, der jetzt in Madrid einsitzt.

Nach den Anschlägen werden 48 Verletzte im Krankenhaus behandelt, von denen acht in Lebensgefahr schweben.

© SZ vom 23.08.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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