Spanien:Frischer Wind im Reich der Graubärte

Spanien: Gruppenbild mit Dame: Bei der TV-Debatte vertrat nicht Premier Rajoy die Volkspartei, sondern Regierungssprecherin Soraya Sáenz de Santamaría.

Gruppenbild mit Dame: Bei der TV-Debatte vertrat nicht Premier Rajoy die Volkspartei, sondern Regierungssprecherin Soraya Sáenz de Santamaría.

(Foto: Pierre-Philippe Marcou/AFP)

Die politische Landschaft Spaniens verändert sich: Die alte Garde macht den Jüngeren Platz. Das zeigt sich auch in der TV-Debatte.

Von Thomas Urban, Madrid

Einen klaren Sieger der Fernsehdebatte wollten die meisten Madrider Medien am Dienstag nicht ausmachen. Knapp zwei Wochen vor der Parlamentswahl am 20. Dezember hatten sich die Spitzenleute der vier größten Parteien Spaniens gut vorbereitet gezeigt. Und so rückten die Berichterstatter einen anderen Aspekt in den Mittelpunkt: In der spanischen Politik habe sich ein Generationenwechsel vollzogen. Für die konservative Volkspartei (PP) war nämlich nicht Ministerpräsident Mariano Rajoy angetreten, sondern seine 44-jährige Stellvertreterin Soraya Sáenz de Santamaría, die auch das Amt der Regierungssprecherin versieht und wegen ihrer Schlagfertigkeit bei ihren politischen Gegnern gefürchtet ist. Der Vorsitzende der oppositionellen Sozialisten (PSOE), der Wirtschaftsprofessor Pedro Sánchez, ist 43 Jahre alt. Sein ärgster Widersacher bei der Debatte war Pablo Iglesias; der Chef der linksalternativen Gruppierung Podemos ("Wir schaffen es"), ein Politologe mit Pferdeschwanz, ist 37. Und der Vorsitzende der liberalen Ciudadanos (Bürger), der katalanische Jurist Albert Rivera, ist erst 36.

Das Zwei-Parteien-System in Spanien scheint fürs Erste überwunden zu sein

Noch vor zwei Jahren hatten Kommentatoren Spanien gern spöttisch das "Reich der Graubärte" genannt: Neben Rajoy waren dies der damalige PSOE-Chef Alfredo Rubalcaba und König Juan Carlos. Dieser hat im vergangenen Jahr seinem heute 47 Jahre alten Sohn Felipe Platz gemacht. Dessen Frau Letizia, die mit ihrem Aufstieg zur Königin ihr Image als schwierige Persönlichkeit erfolgreich ablegen konnte, ist 43.

Die Debatte hat auch gezeigt, dass das Zwei-Parteien-System erst einmal überwunden ist: PP und PSOE haben vier Jahrzehnte lang im Wechsel das Land regiert. Zunächst hat die Krise Podemos zum Aufstieg verholfen. Vor einem Jahr führte die Gruppe mit 27 Prozent sogar die Umfragen an, bis kometenartig die Ciudadanos (abgekürzt C's) als liberale Gegenkraft zu den erklärten Neomarxisten um Iglesias unaufhaltsam noch oben schossen.

Nach den letzten Umfragen liegt die konservative PP knapp unter 30 Prozent, vor vier Jahren kam sie noch auf 44 Prozent. PSOE und C'S kommen jeweils auf etwas über 20 Prozent, Podemos liegt wieder knapp darunter. Allerdings hat sich etwa ein Drittel der Wahlberechtigten noch nicht entschieden. Auch geht in Spanien traditionell ein kleiner Teil der Mandate an regionale Gruppierungen, die bei der Regierungsbildung durchaus den Ausschlag geben können. Vielfältige Koalitionen sind also möglich, nur ein Zusammengehen von Ciudadanos und Podemos haben deren Chefs ausgeschlossen - es wäre wie FDP und deutsche Linke.

In der TV-Debatte versuchten alle Diskutanten, Positionen der Mitte zu besetzen. Soraya Sáenz sprach von Frauenrechten und forderte harte Strafen für "Macho-Gewalt". Die 1,55 Meter große Politikerin, die wie immer bei öffentlichen Auftritten hochhackige Pumps trug, gehört wie ihr Mentor Rajoy zum gemäßigten Flügel der PP. Dieser hat erst im September ein viel beachtetes Zeichen gesetzt: Er nahm an der Hochzeitfeier des Vizechefs der PP im Baskenland teil, Javier Maroto, der seinen Lebensgefährten heiratete. Schon zuvor hatte Rajoy Forderungen des nationalkatholischen Flügels seiner Partei ignoriert, die Abtreibung wieder zu verbieten und die Institution der Homo-Ehe abzuschaffen. Allerdings ist Rajoy auch von der großen Affäre um schwarze Kassen der PP betroffen: Sein Name steht auf der Liste des früheren PP-Schatzmeisters Luis Bárcenas, der nach Auffassung der Staatsanwaltschaft Spitzenleuten der Partei illegale Zweitgehälter in bar ausgezahlt hat. Alle anderen Parteien haben sich von ihm distanziert; hier dürfte der Grund zu suchen sein, warum im Wahlkampf immer mehr seine Vertreterin Soraya Sáenz de Santamaría in den Vordergrund getreten ist.

Die Korruptionsaffären der PP und auch der PSOE vor allem in ihrem sozialistischen Stammland Andalusien waren Umfragen zufolge die Hauptursachen für den Aufstieg von Podemos und der Ciudadanos. So war denn auch die Korruption eines der Hauptthemen in der Debatte, alle wollen sie bekämpfen. Unterschiede wurden deutlich bei den Rezepten, wie das Land weiter aus der Krise zu führen sei. Soraya Sáenz verteidigte das Sparprogramm Rajoys, Rivera forderte eine viel tiefere Umstrukturierung vor allem im Bildungswesen, das zu viele Hochschulabsolventen ohne die geringsten Jobaussichten hervorbringe. Obwohl der Sozialist Sánchez und der Linksalternative Iglesias in ihrer Kritik an der Regierung übereinstimmten, waren sie es, die sich bei der Debatte am heftigsten beharkten. Ihre Parteien konkurrieren um das linke Wählerspektrum.

Keiner der Diskutanten machte die EU oder gar die Bundesregierung für die spanischen Probleme verantwortlich, der Name Angela Merkel fiel kein einziges Mal. Auch war die Immigrationskrise kein Thema. Iglesias setzte dafür ein anderes Signal: Er gab bekannt, dass sein Kandidat für den Posten des Verteidigungsministers der frühere Generalstabschef Julio Rodríguez sei. Der pensionierte Vier-Sterne-General, der in Saragossa für Podemos kandidiert, fordert eine Demokratisierung der Streitkräfte, doch er verteidigt die Nato-Zugehörigkeit Spaniens energisch - eine Position, die noch vor wenigen Monaten bei Podemos undenkbar war.

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