Spanien:Feindbild Tourist

Spanien bejubelt einen Touristenboom, weil er die Wirtschaft zur Blüte treibt. Gleichzeitig mehren sich die Konflikte wegen der vielen Besucher - besonders die Partymetropole Barcelona und die Region Katalonien stehen unter heftigen politischen Spannungen wegen der Gäste.

Von Thomas Urban

Bisher waren es nur Kleinigkeiten: Sprayattacken auf Reisebusse und Fremdenverkehrsbüros, durchgestochene Autoreifen, Aufkleber auf Mietwagen mit der Parole "Tourist go home" oder, schon etwas schärfer, "Tourismus tötet". Doch die Aktionen kleiner, radikaler Gruppen in einigen spanischen Feriengebieten haben nicht nur weltweit ein Echo gefunden, sondern lösen auch Verwerfungen in der Politik aus. Spanien erlebt einen neuen Besucherrekord, mit deutlich mehr als 80 Millionen ausländischen Gästen rechnen die Statistiker bis Ende des Jahres. Das Land profitiert von den Krisen in anderen Ländern am Mittelmeer wie in Ägypten oder in der Türkei.

Einerseits freuen die Zahlen die konservative Regierung in Madrid: Der Fremdenverkehr ist die wichtigste Konjunkturlokomotive, er hat bereits seinen Teil zur Überwindung der schweren Rezession geleistet, in die das Land vor fast zehn Jahren gestürzt war. Nun rühmt sich Spanien eines Wirtschaftswachstums von drei Prozent, eine Spitzenposition in der EU.

Andererseits wird in diesem Sommer offenbar, was sich schon in den letzten Jahren abzeichnete: Ein beträchtlicher Teil der Einheimischen in den Feriengebieten sieht die Touristenmassen zunehmend als Belastung an. Sie zerstören traditionelle Wohnviertel, weil die Mieten immer mehr steigen und Geschäfte für die Alltagsdinge den Jugend-Hostels, Bars und Andenkenläden weichen müssen.

Überdies bereitet es Madrid große Sorgen, dass die Aktionen gegen den Massentourismus in Katalonien, auf den Balearen und im Baskenland von linksradikalen Gruppen ausgeführt werden, welche die Abspaltung ihrer Regionen von Spanien anstreben. Diese Gruppierungen eint, dass sie das herrschende "kapitalistische Ausbeutersystem", wie sie es nennen, abschaffen wollen.

Damit aber tun sich Gräben in den Regionen auf. Besonders im wirtschaftsstarken Katalonien sind die Risse in der Politik sichtbar: In dem heillos überfüllten Barcelona regiert eine Koalition aus wirtschaftsfreundlichen Liberalkonservativen und Linksrepublikanern. Die einen wollen den Tourismus weiter fördern, die anderen vorsichtig und schrittweise reduzieren. Der Konflikt wird noch dadurch verschärft, dass diese Koalition im Parlament auf die Unterstützung der Neomarxisten angewiesen ist, die zum Schrecken der anderen die Verstaatlichung der Hotels und großen Touristikunternehmen fordern. In Madrid, wohin weitaus weniger Besucher kommen als in die Partymetropole Barcelona, schaut man gespannt zu, ob die Unabhängigkeitsbewegung an dem Streit zerbricht.

Doch unabhängig von den widerborstigen Katalanen und auch den eigensinnigen Basken stellt sich für Madrid ein anderes Problem: Das unerwartet starke Wachstum hat die Regierung dazu verführt, dringend notwendige, indes unbequeme und schmerzhafte Strukturreformen aufzuschieben. Das steuerfinanzierte Gesundheitssystem schwächelt, die Universitäten sind international nicht konkurrenzfähig, abgesehen davon, dass rund drei Viertel ihrer Absolventen keine angemessene Stelle finden; schließlich sind auch die Rentenkassen fast leer.

Die aufsehenerregenden Aktionen gegen den Massentourismus könnten also einen heilsamen Schock auslösen. Denn es ist abzusehen, dass manche Touristen sich überlegen, ob sie im nächsten Jahr wieder für Spanien buchen. Die Politik wird gewinnen, wenn sie begreift, dass sie sich nicht auf die Besucherindustrie verlassen kann, sondern das Land weiter reformieren muss.

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