Spanien:Ende des Zwei-Parteien-Systems

Spanien: Neue Gesichter in der Parteipolitik: Wahlwerbung für die Aktivistin Ada Colau, die Bürgermeisterin von Barcelona werden will.

Neue Gesichter in der Parteipolitik: Wahlwerbung für die Aktivistin Ada Colau, die Bürgermeisterin von Barcelona werden will.

(Foto: Emilio Morenatti/AP)

Die Kommunalwahl am Sonntag dürfte die politische Landschaft Spaniens stark verändern - und langfristig möglicherweise sogar Europa. Die Protestparteien erwarten starken Zuwachs.

Von Thomas Urban, Madrid

Schon vor den Kommunal- und Regionalwahlen in Spanien am Sonntag stehen den Umfragen zufolge die Hauptverlierer und -gewinner fest: die alteingesessenen Parteien. Beträchtliche Einbußen werden demnach die konservative Volkspartei PP von Ministerpräsident Mariano Rajoy sowie die oppositionellen Sozialisten PSOE hinnehmen müssen. Aufsteiger werden dagegen die erst vor 14 Monaten gegründete links-alternative Gruppierung Podemos (Wir können) sowie die liberalen Ciudadanos (Bürger) sein. Die Wahlen dürften somit das Ende des traditionellen Zwei-Parteien-Systems aus PP und PSOE bedeuten.

Die beiden großen Parteien hatten sich fast 40 Jahre lang in Madrid und den meisten Regionen an der Regierung abgelöst. In 13 der 17 spanischen Regionen wird über die Zusammensetzung des Parlaments neu bestimmt. Der Urnengang gilt als wichtiger Stimmungstest vor den nationalen Wahlen im Herbst - die wiederum erhebliche Bedeutung für die politischen Gewichte in Europa haben wird.

Trotz erheblicher Verluste dürfte die PP allerdings laut Umfragen landesweit wieder stärkste Partei werden, ihr werden zwischen 25 und 30 Prozent der Stimmen vorausgesagt. Damit wäre es Rajoy gelungen, die Abwärtsfahrt zu stoppen: Noch Anfang des Jahres war die PP auf 20 Prozent abgestürzt, eine Folge der großen Korruptionsskandale, in die ihr Spitzenpersonal verwickelt ist. Die großen Tageszeitungen einschließlich des konservativen Blattes El Mundo, das früher hinter ihm stand, unterstellen Rajoy, er habe von den schwarzen Kassen des früheren PP-Schatzmeisters Luis Bárcenas gewusst und sogar Zuwendungen daraus erhalten . Doch mit den positiven Wirtschaftszahlen aus dem ersten Quartal steigt die Sympathiekurve für ihn wieder leicht an. Für Ende 2015 wird ein Wirtschaftswachstum von drei Prozent erwartet, womit Spanien Spitzenreiter in der Eurozone wäre. Die PP wirbt mit der Formel: "Den Aufschwung wählen!"

Allerdings mischte sich zuletzt der frühere Premierminister José Maria Aznar, politischer Ziehvater Rajoys, in den Wahlkampf ein: Er kritisierte nicht nur Rajoy wegen angeblich unsozialer Maßnahmen, sondern auch die Spitzenkandidatin für die Stadt Madrid, die frühere Senatspräsidentin Esperanza Aguirre, die dem spanischen Hochadel angehört und in der Hauptstadt die Umfragen anführt. Doch signalisieren die anderen Parteien, dass sie nicht mit der erzkonservativen Aguirre koalieren wollten.

Da in Madrid aber auch keine andere Gruppe mit dem linksalternativen Block Podemos/Ganemos koalieren möchte, könnte der Stadt eine politische Lähmung drohen, so wie es derzeit auch in der Region Andalusien der Fall ist. Dort hatte die seit 40 Jahren unangefochtene PSOE bei den Regionalwahlen im März die absolute Mehrheit verloren. Regionalpräsidentin Susana Díaz ist seitdem bei drei Wahlgängen mit dem Versuch gescheitert, im Amt bestätigt zu werden. Die sozialistische Mehrheit ging nicht zuletzt wegen einer Korruptionsaffäre verloren. PSOE-Politiker hatten dreistellige Millionenbeträge für die Weiterbildung von Arbeitslosen in Privatschatullen gelenkt.

Hingegen werden die liberalen Ciudadanos, die Aufsteiger der letzten Monate, im Wahlkampf von den beiden großen Parteien gleichzeitig als Koalitionspartner umworben und als Konkurrenz bekämpft. Den Umfragen zufolge dürfte die Gruppe, die ihren Ursprung in Katalonien hat und dort entschieden gegen die Loslösung von Spanien kämpft, vielerorts zum Zünglein an der Waage werden. Die Ciudadanos treten für Marktwirtschaft und eine Stärkung der Bürgerrechte ein. Sie sind somit auch für einen Teil der traditionellen PP- und PSOE-Sympathisanten wählbar, die die Korruptionsaffären empören.

Doch für die Neulinge von Podemos sind die Aussichten nach Meinung von Beobachtern gering, an Regierungen beteiligt zu werden. Kommentatoren der bürgerlichen Presse zufolge wirkt die Parteinahme des Podemos-Chefs Pablo Iglesias für die neue Regierung in Griechenland sowie seine früheren Lobpreisungen der Verstaatlichung im Krisenland Venezuela auf die große Mehrheit der Spanier abschreckend.

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