Spanien:Der Taktiker hat gesiegt

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Spaniens König wird wohl Rajoy den Regierungsauftrag erteilen. Stabilität ist trotzdem nicht zu erwarten.

Von Thomas Urban, Madrid

Einen Tag nach Beendigung der politischen Blockade in Madrid hat König Felipe VI. Einzelgespräche mit den Parteiführern über die Bildung einer neuen Regierung aufgenommen. Es wurde erwartet, dass der König am Ende der zweitägigen Konsultationsrunde dem geschäftsführenden Ministerpräsidenten Mariano Rajoy, der die konservative Volkspartei (PP) führt, den Auftrag dazu erteilt. Rajoy war im Sommer zweimal mit seiner Kandidatur für eine weitere Amtszeit im Parlament gescheitert. Doch hat am Sonntag die Sozialistische Partei (PSOE) entschieden, ihre bisherige Blockadepolitik im Parlament aufzugeben und doch seine Wahl zu ermöglichen: Die PSOE-Abgeordneten wurden verpflichtet, sich bei dem entscheidenden Votum der Stimme zu enthalten.

Mit Rajoys Wahl wird am Wochenende gerechnet. In der Vergangenheit mehrmals politisch tot gesagt, hat er sich also erneut als gewiefter Taktiker erwiesen. Die ihm gegenüber kritisch eingestellte linksliberale Tageszeitung El País drückte ihre Verwunderung darüber aus, dass sich ein "Mann ohne herausragende Eigenschaften", dem überdies gänzlich jegliches Charisma abgehe, trotz widrigster Umstände an der Spitze der Regierung halten könne. Gegen ihn sprechen etwa die derzeit stattfindenden Prozesse um korrupte Seilschaften in der PP, die Millionensummen vor allem an EU-Fördermitteln in die Parteikasse sowie in eigene Taschen umgelenkt haben. Doch einer der Hauptangeklagten, der Unternehmer Francisco Correa, entlastete Rajoy nun überraschend: Als dieser 2004 an die Spitze der PP getreten sei, habe er die korrupten Machenschaften in der Parteizentrale unterbunden. Daraufhin habe Correa seine illegalen Geschäfte mit der PP-Regionalorganisation von Valencia weiter betrieben.

Rajoy war Ende 2011 nach dem Erdrutschsieg der PP angesichts der Wirtschaftskrise zum Premierminister gewählt worden. In den folgenden vier Jahren führte seine harte Sparpolitik zur Überwindung der Rezession, die Arbeitslosigkeit sank deutlich. Spanien weist derzeit das höchste Wachstum in der Eurozone auf. Doch büßte die PP bei den Wahlen im Dezember 2015 ihre absolute Mehrheit ein. Da auch nach den vorgezogenen Wahlen vom Juni 2016 ein politisches Patt das Parlament lähmte, blieb die PP-Regierung geschäftsführend im Amt. Dass die PSOE nun den Weg für eine weitere Amtszeit Rajoys freimachen will, hat indes bei den Konservativen keineswegs Triumphgefühle ausgelöst. Denn Rajoy wird ein Minderheitskabinett führen, die PP verfügt lediglich über 137 der 350 Sitze im Kongress, dem Unterhaus des Parlaments.

Allerdings hat der kleine Parteitag der PSOE am Sonntag gezeigt, wie tief die Gräben unter den Sozialisten sind: Für die Stimmenthaltung im Parlament zugunsten ihres politischen Gegners Rajoy stimmten zwar 136 der Delegierten, doch 96 waren entschieden dagegen. Der linke Flügel der PSOE verteidigte die Position des bisherigen Parteichefs Pedro Sánchez, der eine Koalition mit der linksalternativen Gruppierung Podemos anstrebte. Doch gelang es Sánchez nicht, dafür eine Mehrheit im Parlament zu bekommen; vor drei Wochen wurde er nach einem heftigen Schlagabtausch innerhalb der Parteiführung zum Rücktritt gezwungen. An den Beratungen der Interimsführung der Partei nahm er nicht teil, sondern fuhr in Urlaub. Von dort schickte er nach dem Beschluss vom Sonntag, Rajoy eine weitere Amtszeit zu ermöglichen, eine Twittermeldung: "Es wird der Moment kommen, dass die Parteimitglieder ihre Partei zurückerobern und neu aufbauen." Sánchez vertritt die Auffassung, dass er mit seinem Blockadekurs die Parteibasis hinter sich gehabt habe.

Vor seinem Rücktritt hatten ihn allerdings die beiden früheren sozialistischen Premierminister Felipe González und José Luis Zapatero öffentlich kritisiert. Beide warfen ihm übersteigerten persönlichen Ehrgeiz vor, da seine Blockadepolitik das Land unregierbar gemacht habe.

Auf die Interimsführung der PSOE unter dem besonnenen Ministerpräsidenten der Region Asturien, Javier Fernández, kommt nun weiteres Ungemach zu: In Andalusien haben Lokalpolitiker Unterschriften für einen sofortigen Parteitag und eine erneute Urwahl des PSOE-Vorsitzenden gesammelt; mehr als die Hälfte sämtlicher Parteimitglieder, nämlich etwa 94 000, haben unterschrieben. Nach den Parteistatuten muss der Vorstand bei dieser Zahl von Unterschriften dem Antrag stattgeben. Vor zwei Jahren war Sánchez als Sieger aus der ersten Urwahl in der Geschichte der PSOE hervorgegangen; seine Chancen stünden auch nun nicht schlecht.

Auch für Rajoy sind dies schlechte Nachrichten. Denn ein Sieg der Gegner jeglichen Kompromisses mit ihm in der PSOE würde wohl sehr rasch das Ende seines Kabinetts einläuten. Er wiederholte nun seinen Vorschlag, mit den Sozialisten über die künftige Regierungspolitik zu beraten. Im sozialdemokratischen Flügel der Partei war zuletzt Zustimmung für Gespräche mit Rajoy signalisiert worden; doch hatten Vertreter des linken Flügels sogleich heftig dagegen protestiert. Von den Spannungen in der PSOE dürfte vor allem Podemos profitieren. Bei der Sonntagsfrage liegen die Linksalternativen derzeit klar vor der PSOE.

Er steht für eine harte Sparpolitik: Spaniens amtierender Premier Mariano Rajoy, der nun eine Minderheitsregierung bilden möchte. (Foto: Emmanuel Dunand/AFP)
© SZ vom 25.10.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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