Spanien:D-Day in Katalonien

Protesters gather in Sant Jaume square at a demonstration during a partial regional strike in Barcelona

Freiheit für die "politischen Gefangenen" forderten am Mittwoch Demonstranten während eines teilweise befolgten Generalstreiks in Barcelona.

(Foto: Albert Gea/Reuters)
  • Die aktuelle katalanische Regierung wurde abgesetzt, am 21. Dezember wird in Katalonien deshalb ein neues Parlament gewählt.
  • Umfragen zufolge könnten die Parteien, die für eine Loslösung von Spanien sind, wieder eine knappe Mehrheit der Sitze erhalten.
  • Die unterschiedlichen Lager der Separatisten sind zwar stark zerstritten. Die Parteien, die gegen eine Loslösung von Spanien sind, haben davon bisher aber nur wenig profitiert.

Von Sebastian Schoepp

21 D - so kürzen spanische Medien das Datum ab, auf welches das ganze Land in gebannter Erwartung starrt: 21 D steht für den 21. Dezember, an dem in Katalonien ein neues Parlament gewählt wird; es ist der Tag, an dem sich entscheidet, ob das Ringen mit den Separatisten so weitergeht wie die letzten Monate. Oder ob eine "neue Ära" anbricht, auf die Spaniens Regierungschef Mariano Rajoy so sehr hofft, "ein neues politisches Zeitalter der Koexistenz", in dem "die Gesetze geachtet werden und sich die Wirtschaft Spaniens erholt", wie er am Mittwoch im Parlament in Madrid sagte.

Währenddessen sah es in Katalonien gar nicht danach aus: Demonstranten besetzten Straßen und Gleise, um gegen die Inhaftierung ihrer abgesetzten Regionalregierung zu protestieren.

Auch sonst deutet einiges darauf hin, dass Rajoys Wunsch nicht in Erfüllung gehen wird. Die Parteien, die für eine Loslösung von Spanien sind, würden laut Umfragen wieder eine knappe Mehrheit der Sitze erhalten. Gerade die Haft für Mitglieder einer gewählten Regierung hat in vielen Katalanen separatistische Wallungen geweckt, die diese sonst nicht hegen. Rajoys einziger Trost dürfte im Moment sein, dass die Separatisten stark zerstritten sind und sich bis Dienstag um Mitternacht - dem Stichtag für die Anmeldung von Wahlbündnissen - nicht auf eine künftige Koalition einigen konnten.

Barcelona gehört nicht zu den Hochburgen der Separatisten

Dazu hatte besonders der nach Belgien geflohene, abgesetzte Regionalregierungschef Carles Puigdemont eindringlich aufgerufen. Er hat bisher darauf gesetzt, als Anführer eines solchen Bündnisses bald wieder Katalonien zu regieren, zur Not symbolisch aus der Ferne oder vom Gefängnis aus.

Bislang hatten Puigdemonts liberalkonservative Europäisch-katalanische Demokraten (PDECat) und die Linksrepublikaner (ERC) seines inhaftierten Stellvertreters Oriol Junqueras ein Bündnis gebildet. Es wurde im Parlament in Barcelona von der linksradikalen Splitterpartei CUP gestützt. ERC und CUP sind aber radikaler als die PDECat. Die ERC macht sich echte Hoffnungen darauf, vom 21. Dezember an den Ministerpräsidenten zu stellen, zum ersten Mal seit den 1930er-Jahren.

Puigdemonts Euro-Demokraten gelten echten Separatisten als kompromissbereite Weicheier, vor allem ihre Interims-Führungsfigur Santi Vila, der in letzter Sekunde vor der Unabhängigkeitserklärung die Regierung Puigdemont verlassen hatte und den die Madrider Justiz deshalb gegen Kaution auf freiem Fuß lässt.

Die Parteien, die gegen eine Loslösung von Spanien sind, haben davon bisher nur bescheiden profitiert. Es sind Parteien, die es in ganz Spanien gibt, also Rajoys konservative Volkspartei (PP), die liberalen Ciudadanos, die Sozialisten und die Linksalternativen. Letzteren gehört Barcelonas Bürgermeisterin Ada Colau an, die zur Stimme des Ausgleichs geworden ist. Die Metropole gehört nicht zu den Hochburgen der Separatisten, zu bunt ist dort das Bevölkerungsgemisch, Vorteile einer Unabhängigkeit werden weniger idealisiert als in Tälern des Montsec oder der Garrotxa.

Rajoy setzt auf die schweigende Mehrheit

Auch der Streikaufruf regionaler Gewerkschaften - die großen Dachverbände hatten sich nicht beteiligt - wurde in Barcelona eher bummelig befolgt. Um acht Uhr früh stürmten zwar Demonstranten die Bahnhöfe und legten Strecken lahm, doch gegen Mittag meldete die Bahngesellschaft Renfe, der Verkehr der Hochgeschwindigkeitszüge AVE sei kaum beeinträchtigt.

Auf den Straßen versuchten die Mossos d'Esquadra, für Ordnung zu sorgen, Kataloniens Regionalpolizei, die von Madrid harsch angegangen worden war nach ihrem laxen Vorgehen gegen das illegale Unabhängigkeitsreferendum vom 1. Oktober. Am Mittwoch mühten sich die "Mossos" sichtbar redlich, die 50 blockierten Fernstraßen und Grenzübergänge in den Pyrenäen wieder freizubekommen, wie La Vanguardia berichtete.

In Industrie und Fremdenverkehr wurde der Streik kaum befolgt. Die Madrider Regierung, die derzeit Katalonien verwaltet, konstatierte "keine gravierenden Einschränkungen". Den 21. Dezember erklärte sie zum schulfreien Tag, was die Wahlbeteiligung befördern soll, von der Rajoy hofft, dass sie "massiv" ausfällt. Er setzt darauf, dass es eine bislang schweigende Mehrheit gibt, die die Unabhängigkeitserklärung nicht mitträgt. Diese wurde am Mittwoch vom spanischen Verfassungsgericht annulliert.

Für Belgien wird der Gast Puigdemont allmählich unbequem

Die EU versucht, Rajoy mit Verweisen auf die Legalität zu unterstützen. Puigdemont hatte in Brüssel mit seinen Bemühungen bisher keinen Erfolg, Solidarität auszulösen. Am Dienstag klagte er die EU an, sie unterstütze in Spanien einen "Staatsstreich". Unbequem wird das den Gastgebern allmählich. Belgiens Ministerpräsident Charles Michel sah sich am Mittwoch genötigt zu erklären, weder beschütze er Puigdemont, noch berge dessen Anwesenheit die Gefahr einer Koalitionskrise.

In Belgien erhält Puigdemont eine Menge Zuspruch rechtsgerichteter flämischer Separatisten. Das sind eigentlich nicht die Bundesgenossen, die er sich wünscht, denn er betont ja stets, ein guter Europäer zu sein, kein xenophober Nationalist.

Derzeit brüten belgische Richter darüber, ob sie dem spanischen Haftbefehl folgen und Puigdemont ausliefern. Das Problem besteht darin, dass es den Tatbestand der Rebellion, derer Puigdemont in Spanien beschuldigt wird, so in Belgien nicht gibt. Die Richter müssen nun abwägen, ob einer der 32 vergleichbaren Tatbestände des belgischen Strafgesetzbuches anwendbar ist, darunter der "Versuch, die Regierungsform zu ändern" (Artikel 104) oder "Verschwörung" (Artikel 109). Und Puigdemont gewinnt derweil Zeit für seinen Wahlkampf.

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