Sozialismus:Die neue Linke

Sozialismus: Steht normalerweise weiter links: Jeremy Corbyn, hier nach seiner Wahl zum Labour-Vorsitzenden am 12. September 2015 in London

Steht normalerweise weiter links: Jeremy Corbyn, hier nach seiner Wahl zum Labour-Vorsitzenden am 12. September 2015 in London

(Foto: AP)

Der neue Labour-Chef Jeremy Corbyn steht für den Wunsch nach Eindeutigkeit in der politischen Haltung - auch wenn sie nie mehrheitsfähig wird. Über ein Phänomen.

Von Nikolaus Piper

Von diesem Linksruck wird man noch lange reden. Die Mitglieder der britischen Labour Party bestimmten per Urwahl den Altlinken Jeremy Corbyn zu ihrem neuen Vorsitzenden. Der Sieg des noch vor Kurzem als Außenseiter gehandelten Politikers hat viel mit den Besonderheiten und Traditionen von Labour zu tun. Er hat auch insofern etwas Bizarres, als Labour mit dieser Entscheidung ziemlich sicher in eine krachende Niederlage bei den nächsten Wahlen zum Unterhaus laufen wird.

Viel wichtiger ist jedoch, dass Corbyn seinen Sieg am Samstag vor allem jungen Leuten verdankt, die zu Tausenden in die Partei geströmt sind. Das macht die Kampagne um den Labour-Vorsitz zu einem Ereignis, dessen Bedeutung über Großbritannien hinausreicht.

Corbyn will Geld drucken lassen, um davon Wohnungen zu bauen

Nur 25 Jahre nach dem Ende des Kalten Krieges ist Sozialismus wieder schick geworden. Eine der großen sozialdemokratischen Parteien Westeuropas entscheidet sich für einen Mann, der genau das verkörpert, was man in Großbritannien die "harte" Linke nennt: Corbyn ist für Verstaatlichungen, gegen die Nato, gegen Sparmaßnahmen und für den unbegrenzten Ausbau des Sozialstaats. Zu Europa ist sein Verhältnis ambivalent. Er will das Vereinigte Königreich in der EU lassen, fordert aber ein "besseres Europa". Wie er sich bei dem anstehenden Referendum über die EU-Mitgliedschaft Großbritanniens verhalten wird, lässt er offen.

Besonders bezeichnend ist aus Corbyns Programm die Rubrik "People's Quantitative Easing". Praktisch bedeutet es, dass die Bank von England Geld drucken soll, um Wohnungen, Eisenbahnen und Straßen zu bauen. Dieses Inflationsprogramm ähnelt auffallend Plänen des gescheiterten griechischen Finanzministers Yanis Varoufakis, an der EZB vorbei an frisches Geld zu kommen. In Argentinien und Venezuela kann man beobachten, wohin so eine Politik führt.

Die neue Linke zeigt, wie leer die politische Mitte geworden ist

Auch außerhalb Großbritanniens etabliert sich in vielen Ländern jenseits der Sozialdemokratie eine neue aggressive Linke. Sie tritt dogmatisch auf, wie der linke Flügel von Syriza in Griechenland oder auch linkspopulistisch wie Podemos in Spanien und der Präsidentschaftsbewerber und bekennende Sozialist Bernie Sanders in den Vereinigten Staaten. Die neue Linke wendet sich gegen "Austerität", also dagegen, dass der Staat spart, gegen Freihandel, gegen die Reichen, gegen die "Konzerne".

Und in manchen Punkten - zum Beispiel dem Nein zum Freihandelsabkommen TTIP - ist die neue Linke gar nicht so weit entfernt von der zeternden Rechten in Frankreich, Dänemark und den Niederlanden.

Politiker wie Corbyn oder Sanders machen unbarmherzig deutlich, wie leer die politische Mitte inzwischen geworden ist. Das bedeutet nicht, dass es keine Politiker der Mitte mehr gebe. Angela Merkel und Hillary Clinton sind Beispiele dafür. Aber beide stehen nicht für Programme, sie stehen für sich. Der Streit um den richtigen Weg, um die besten Konzepte findet nicht mehr in der Mitte statt.

Ideologische Reinheit ist wichtiger als Regierungsbeteiligung

Die politischen und wirtschaftlichen Probleme - die Sanierung der Staatsfinanzen nach der Finanzkrise, die Flüchtlingsfrage, Europa - sind so komplex geworden, dass traditionelle Regeln nicht mehr zu gelten scheinen. Mit ihrer Stimme für Corbyn haben die Labour-Mitglieder eine klare Entscheidung getroffen: Ideologische Reinheit ist ihnen wichtiger, als in der Regierung Politik zu gestalten. Ähnlich denken die Anhänger von Bernie Sanders in den USA, aber auch die vielen rechten Republikaner, die dem populistischen Unternehmer Donald Trump in diesen Tagen zujubeln.

Wer auf der Linken Sympathien mit Corbyn und Sanders hat (beides sind sehr liebenswerte Männer), der sollte bedenken, dass der Verlust der Mitte, das Wechselspiel von ganz rechts und ganz links, Folgen haben wird. Gerade Großbritannien ist dafür ein lehrreiches Beispiel. Zuletzt hatte die harte Linke 1978/79 das Sagen - eine Phase, die als "Winter des Missvergnügens" in die Geschichte einging. Damals stand die britische Wirtschaft vor dem Zusammenbruch. Die Gewerkschaften legten mit einer Reihe brutaler Streiks das Land lahm, um die Labour-Regierung von James Callaghan zur Aufgabe ihres Anti-Inflations-Kurses zu zwingen.

Als Reaktion auf den Machtmissbrauch der Gewerkschaften verließen die Konservativen die politische Mitte und die bis dahin übliche Konsenskultur. 1979 erhielt Margaret Thatcher von den Wählern das Mandat, die britischen Gewerkschaften in ihre Schranken zu weisen, was sie mit brutaler Konsequenz tat.

Manche Erfahrungen muss man vielleicht zweimal machen. Politiker der Mitte in Berlin und anderswo aber haben allen Grund, besorgt nach Großbritannien zu schauen.

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