Soziales:Die Furcht der Handwerker

Jährlich verklagt die Sozialkasse Bau Tausende Firmen. Ein Urteil bringt sie nun in Schwierigkeiten.

Von Detlef Esslinger

Da ist der Kunststoff-Monteur im Erzgebirge, der 92 000 Euro zahlen sollte. Da ist der Wintergarten-Hersteller aus dem Münchner Vorort, bei dem es um 360 000 Euro geht. Der Mann ist 71 Jahre alt, er sagt, damit wäre er ruiniert und seine Altersvorsorge dahin. Da ist die Rechtsanwältin aus Wiesbaden, die ein Gutteil ihrer Zeit mit Klienten wie diesen verbringt. Ingrid Claas sagt: "Viele haben schlaflose Nächte, Magengeschwüre, Herzinfarkte und Depressionen." Sie befürchten, von der Sozialkasse des Baugewerbes (Soka Bau) um ihre Existenz gebracht zu werden. Die große Koalition plant nun ein Rettungsprogramm. Es ist aber keins für die Handwerker - sondern für die Soka Bau.

Bei ihr handelt es sich um eine gemeinsame Einrichtung zweier Bau-Arbeitgeberverbände und der IG Bau. Sie soll Urlaub, Ausbildung und Zusatzrente in einer Branche finanzieren, in der eine hohe Fluktuation nur eine von vielen Besonderheiten ist. Jahrzehntelang war es relativ unumstritten, dass die Soka Bau ihre Aufgaben nur dann erfüllen kann, wenn sämtliche Baufirmen Beiträge an sie zahlen - also auch diejenigen, die nicht tarifgebunden sind. Das Bundesarbeitsministerium erklärte die Tarifverträge zwischen Arbeitgebern und IG Bau, welche die Soka regeln, stets für allgemein verbindlich.

Das Problem: Im September hob das Bundesarbeitsgericht diese Allgemeinverbindlichkeit auf, wegen handwerklicher Fehler im Ministerium. Die Folge: Weil die Tarifverträge damit nur noch für die tarifgebundenen Firmen galten, befürchtete die Soka Bau Rückforderungen all der anderen Firmen, bei denen sie jahrelang Geld eingetrieben hatte. Sie gab an, ihr Bestand sei in Gefahr. Die Lösung: ein höchst ungewöhnliches Gesetz der Koalition. Sie will einfach alle Tarifverträge zur Soka Bau in dieses Gesetz hineinkopieren - ein Gesetz kann vom Bundesarbeitsgericht nicht aufgehoben werden.

Ist das wirklich die Lösung? Auf diese Weise ist in der Bundesrepublik wohl noch nie ein Gericht ausgehebelt worden. Die große Koalition hilft einer Institution, die in der Öffentlichkeit unbekannt, in der Fachöffentlichkeit indes geradezu berühmt ist. An den Arbeitsgerichten Wiesbaden und Berlin führt sie jedes Jahr mehr als 50 000 Verfahren. In Wiesbaden wenden alle 13 Kammern des Arbeitsgerichts die Hälfte ihrer Zeit für Soka-Bau-Verfahren auf, und die Meinungen gehen auseinander, wer an dieser Unmenge schuld ist: die Tarifparteien, weil sie bisher nur sehr ungenau festgelegt haben, was ein "Baubetrieb" ist und was nicht? All die Handwerksmeister, die sich stets darauf verlassen haben, dass ihr Laden entweder nicht als Baubetrieb gilt, oder dass die Soka Bau ihn nicht findet, und die sich dann wundern, wenn sie eine Rechnung über 360 000 Euro bekommen? Die Soka Bau selbst, der Anwälte eine unbarmherzige Inkassopolitik vorwerfen? Sie verlangt von ihren Schuldnern ein Prozent Zinsen - pro Monat. Und verfügt selbst über 3,7 Milliarden Euro liquide Mittel. Die Anwältin Claas sagt: "Warum kann sie nicht etwas humaner sein?"

Die Koalition scheint nicht zu meinen, das Thema verlange eine tiefere Erörterung. Für eine Anhörung zu ihrem Gesetz an diesem Montag sind zwölf Experten geladen. Vorgesehene Zeit für alle zusammen: eine Stunde.

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