Sozialdemokratie:Was Weils Sieg für die SPD bedeutet

Schulz, Weil oder Scholz? Bei den Sozialdemokraten dürfte nach der Niedersachsen-Wahl die Debatte beginnen, wer der nächste Kanzlerkandidat werden soll.

Von Nico Fried und Robert Roßmann, Berlin

Es ist fast 20 Jahre her, da sorgte eine ganzseitige Zeitungsanzeige kurz vor der Landtagswahl in Niedersachsen für Furore: "Der nächste Kanzler muss ein Niedersachse sein", stand darauf im März 1998 zu lesen. Der Hannoveraner Unternehmer Carsten Maschmeyer hatte - zunächst anonymisiert - die Werbung für Ministerpräsident Gerhard Schröder finanziert und ihm damit im parteiinternen Wettstreit mit dem SPD-Vorsitzenden Oskar Lafontaine geholfen.

Der nächste Kanzler muss ein Niedersachse sein - das könnten nach diesem Wahlerfolg der SPD um Ministerpräsident Stephan Weil nun wieder manche Sozialdemokraten denken. Und nicht zuletzt, natürlich ganz im Geheimen, auch Stephan Weil selbst. Zumindest in ein paar Tagen. Der Posten des Kanzlerkandidaten wird für die nächste Bundestagswahl neu zu besetzen sein, nachdem Martin Schulz es 2017 versuchen durfte und aufgrund schwacher Chancenverwertung wohl kein zweites Mal zum Einsatz kommen wird.

Parteivize Stegner bescheinigt Weil einen ganz großen Erfolg

Natürlich muss Weil trotz seines Sieges erst eine Regierung bilden. Doch sollte er Ministerpräsident bleiben, säßen neben etwaigen Koalitionspartnern von nun an auch immer die Fragen nach seiner Zukunft mit am Kabinettstisch. Einen großartigen Sieg für Stephan Weil nennt Martin Schulz das Ergebnis um kurz nach 18 Uhr. Was die Genossen in Niedersachsen mit ihrer Aufholjagd in den vergangenen drei Wochen geleistet hätten, sei "einzigartig in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland", schwärmt der SPD-Chef.

Stephan Weil hat die SPD in Niedersachsen in neue Höhen getragen und die Verliererstimmung vertrieben. Die Partei selbst wird alsbald mit Begeisterung über seine Zukunft in Berlin spekulieren. Diese SPD braucht das, da sie schon so lange nur noch von der Hoffnung lebt, irgendwann und mit irgendjemandem werde es wieder bessere Zeiten geben. Die 100 Prozent Zustimmung, mit denen die Sozialdemokraten im Frühjahr Schulz in den Wahlkampf schickten, waren auch der Beweis, dass dieser Traum immer wieder reanimierbar ist.

Nahles, Scholz - oder Weil

Es gibt in der SPD zwar trotz der Schlappen in Schleswig-Holstein und Nordrhein-Westfalen im Frühjahr noch immer Ministerpräsidenten. Es gibt aber nicht viele, die sich für höhere Aufgaben empfehlen würden. Malu Dreyer in Rheinland-Pfalz ist in der Partei sehr beliebt, ihr werden aber keine bundespolitischen Ambitionen nachgesagt. Manuela Schwesig ist noch neu im Amt der Regierungschefin Mecklenburg-Vorpommerns und muss sich erst einmal beweisen. Bleiben neben der Chefin der Bundestagsfraktion, Andrea Nahles, unter den Landespolitikern nur Hamburgs Erster Bürgermeister Olaf Scholz - und eben Weil.

Scholz und Weil sind sich nicht unähnlich. Wäre ihr Charisma eine Wurst, könnte man sie nur am Stück bekommen, weil es schon für zwei Scheiben kaum reichte. Andererseits sind beide pragmatische Politiker ohne ideologische Vorbehalte. Scholz wie Weil mussten zuletzt Krisen überstehen: der Bürgermeister wegen des Kontrollverlusts während der G-20-Krawalle; der Ministerpräsident und VW-Aufsichtsrat wegen des Diesel-Skandals im Wolfsburger Vorzeigekonzern.

Wie konnte der Vorsprung der CDU nur so schmelzen?

Der größte Unterschied liegt in den Loyalitäten: Weil hat wiederholt Martin Schulz als Parteichef den Rücken gestärkt, der nach dem schlechtesten SPD-Ergebnis in der Geschichte der Bundesrepublik darum kämpft, nicht auch noch einer der am kürzesten amtierenden Parteichefs zu werden. Scholz wiederum ist seit vielen Jahren direkt, aber auch auf der Ebene der engsten Mitarbeiter, mit Andrea Nahles politisch verbandelt. Es ist möglich, dass sich in der SPD entlang dieser Abgrenzungen in den nächsten Monaten zwei Lager bilden.

In der Bundes-CDU regt das Ergebnis von Niedersachsen dagegen keine Fantasien an. Nach den Erfolgen im Saarland, in Schleswig-Holstein und in Nordrhein-Westfalen hatten die Christdemokraten darauf gesetzt, dass die CDU die SPD in Niedersachsen deklassiert. Als Anfang August die Grünen-Abgeordnete Elke Twesten zur CDU wechselte und so die vorgezogene Wahl auslöste, lagen die Christdemokraten in einer Umfrage noch 14 Punkte vor der SPD. Und so stellt sich die Frage, wer schuld daran ist, dass der Vorsprung nicht gehalten hat.

In der CDU schiebt man sich schon gegenseitig die Schuld zu

Daniel Günther, der junge Ministerpräsident aus Kiel, hat von der CDU-Spitze für seinen Auftritt um kurz nach 18 Uhr eine klare Botschaft mitbekommen: Es sei ein "klarer landespolitischer Bezug spürbar", sagt Günther. Und falls es jemand überhört haben sollte, sagt er es gleich noch einmal.

Generalsekretär Peter Tauber spricht später überhaupt nicht von der Bundespartei und auch nicht von der Kanzlerin. Die CDU in Niedersachsen behalte den Anspruch, die Landespolitik mitzugestalten, sagt Tauber. Aber irgendwie klingt es, als handele es sich bei Niedersachsen um extra-merkeleskes Territorium. Denn die CDU-Chefin hat nach dem Einbruch der CDU bei der Bundestagswahl kein Interesse daran, jetzt auch noch für Niedersachsen verantwortlich gemacht zu werden.

Aber Spitzenkandidat Bernd Althusmann hat schon einmal vorgebaut. "Wir haben unzweifelhaft nicht den Rückenwind durch die Bundestagswahl erhalten, den wir erhofft hatten", sagte er bereits vor zwei Wochen. Fest steht, dass weder der Absturz der CDU bei der Bundestagswahl noch der Richtungsstreit, der danach in der Union ausgebrochen ist, der Niedersachsen-CDU geholfen hat. In der Bundes-CDU verweisen sie aber darauf, dass auch bei der Niedersachsen-CDU nicht alles zum Besten gestanden habe.

So habe Weil leider mit seiner Einschätzung recht behalten, dass Althusmann der Fraktionswechsel Twestens "wie ein Mühlstein" um den Hals hänge. Dass die niedersächsische CDU Twesten sofort nach deren Austritt bei den Grünen aufgenommen habe, habe für viele Wähler einen Hautgout gehabt.

Außerdem habe dies der SPD erlaubt, einen Wahlkampf der moralisch Empörten zu führen - das habe der SPD Energie eingehaucht, die die Sozialdemokraten bis dahin nicht mehr gehabt hätten. So die Analyse in der Bundes-CDU. Hinzu kommt, dass Althusmann bei dem wichtigen Wahlkampfthema Bildung seine Vergangenheit eingeholt hat. Bis vor vier Jahren hieß der verantwortliche Minister in Hannover Bernd Althusmann.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: