Sozialdemokraten über Groko-Einigung:"Mir blutet das Herz"

Sozialdemokraten über Groko-Einigung: Blicken dem Mitgliedervotum mit gemischten Gefühlen entgegen: Vorsitzende von Juso- und SPD-Ortsvereinen.

Blicken dem Mitgliedervotum mit gemischten Gefühlen entgegen: Vorsitzende von Juso- und SPD-Ortsvereinen.

(Foto: privat(6); Bearbeitung SZ)

Überall in Deutschland diskutieren SPD-Ortsvereine den Koalitionsvertrag. Wie stimmen ihre Vorsitzenden beim Mitgliedervotum ab und warum?

Protokolle von Max Ferstl

SPD und Union haben sich auf einen Koalitionsvertrag geeinigt. Doch noch steht nicht fest, dass es erneut zu einer großen Koalition kommt. Eine letzte Hürde gilt es zu überwinden: den Mitgliederentscheid der SPD. In den kommenden Wochen dürfen 463 723 SPD-Mitglieder über den ausgehandelten Vertrag abstimmen. Die Parteispitze gibt sich optimistisch. Sie wird auf Werbetour für die große Koalition durch das Land ziehen. Man könne sehr zuversichtlich vor die Mitglieder treten, sagte Bundesfamilienministerin Katarina Barley am Mittwoch. Doch auch Groko-Gegner, allen voran Juso-Chef Kevin Kühnert, machen mobil.

Die Aussicht auf vier weitere Jahre Groko löst in den Ortsvereinen keine Begeisterung aus. Die Meinungen der Ortsvorsitzenden schwanken zwischen Pragmatismus, rigoroser Ablehnung und Unentschlossenheit. Eine Auswahl von Stimmen aus ganz Deutschland.

Sozialdemokraten über Groko-Einigung: Felix Göhler vermisst im Koalitionsvertrag die "großen Themen der Zukunft". Sein Votum: Nein!

Felix Göhler vermisst im Koalitionsvertrag die "großen Themen der Zukunft". Sein Votum: Nein!

(Foto: privat; Bearbeitung SZ)

Felix Göhler, 29, Verwaltungsangestellter, Vorsitzender des Ortsvereins Dresden-Neustadt: Ich lehne eine erneute Groko ab. Es hätte bei den Koalitionsverhandlungen schon sehr viel herauskommen müssen, damit meine grundsätzlichen Bedenken verschwinden. Dabei geht es gar nicht um einzelne Trophäen oder um kleine Verbesserungen des Status Quo, sondern um die großen Themen der Zukunft: Digitalisierung, Automatisierung, Klimawandel. Es gibt düstere Prognosen, dass in den kommenden Jahrzehnten sehr viele Arbeitsplätze wegfallen werden. Was ist unser Entwurf für eine solidarische Gesellschaft im 21. Jahrhundert? Der Koalitionsvertrag gibt darauf keine Antwort. Das geht in der aktuellen Personaldebatte zu sehr unter. Mir sind die Personen egal. Ich bin gegen den Koalitionsvertrag, weil ihm das große Zukunftsbild fehlt. In meinem Ortsverein gibt es auch Leute, die das anders sehen. Aber die Grundstimmung ist eindeutig gegen eine Groko.

Sozialdemokraten über Groko-Einigung: Brigitta Wölk ist zwar "kein Freund der Groko", aber sie sieht keine Alternativen. Ihr Votum: Ja!

Brigitta Wölk ist zwar "kein Freund der Groko", aber sie sieht keine Alternativen. Ihr Votum: Ja!

(Foto: privat; Bearbeitung SZ)

Brigitta Wölk, 67, Rentnerin, Vorsitzende des Ortsvereins Baienfurt: Ein Koalitionsvertrag kann nicht alle Dinge erfüllen, die auf der Wunschliste der SPD stehen. Am Tisch sitzen mehrere Vertragspartner, es braucht ein gegenseitiges Einlenken. Ich war und bin kein Freund der Groko. Aber nachdem die FDP und die Grünen bewiesen haben, dass sie keine politische Verantwortung übernehmen wollen, ist es richtig, in die Groko zu gehen. Dass die SPD nun derart gescholten wird, ist einfach nicht gerecht. Der Juso-Vorsitzende hat einen Aufruf gestartet, Mitglied in der SPD zu werden, um mit Nein zu stimmen. Er erklärt aber nicht ansatzweise, welche Lösungen er hätte, sollten die Mitglieder den Koalitionsvertrag ablehnen. Hier verstehe ich meine Basis nicht. Ich werde für die große Koalition stimmen, obwohl mir das Herz blutet.

Sozialdemokraten über Groko-Einigung: Christian Köning findet eine Regierung mit Martin Schulz "katastrophal". Sein Votum: Nein!

Christian Köning findet eine Regierung mit Martin Schulz "katastrophal". Sein Votum: Nein!

(Foto: privat; Bearbeitung SZ)

Christian Köning, 29, Doktorand, Vorsitzender der Münchner Jusos: Ich werde beim Mitgliederentscheid mit Nein stimmen. Der Parteitag hat klare Arbeitsaufträge erteilt - diese wurden aus meiner Sicht nicht erfüllt. Es gibt keine greifbaren Fortschritte in der Gesundheitspolitik. Bei der sachgrundlosen Befristung haben wir einen Kompromiss, der uns nur wenig weiter bringt. Es stimmt zwar, dass wir bedeutende Ministerien bekommen. Dafür wird Horst Seehofer Heimatminister, das ist die Kardinalfrage. Er wird den Diskurs noch weiter nach rechts verschieben, das haben wir schon in der Debatte zum Familiennachzug bei Geflüchteten beobachten müssen. Das ist keine sozialdemokratische Politik. Die SPD hat seit Jahren ein Glaubwürdigkeitsproblem. Deshalb ist es auch katastrophal, dass Martin Schulz in die Regierung eintritt, nachdem er zuvor das Gegenteil behauptet hat. Nur wenn wir anhand von Inhalten diskutieren, kann die Erneuerung der SPD funktionieren, mit diesem Koalitionsvertrag kann ich mir das gerade nicht vorstellen.

Sozialdemokraten über Groko-Einigung: Sandra Wulf findet: "Thematisch sind die Ergebnisse nicht zufriedenstellend." Ihr Votum: Eher nein.

Sandra Wulf findet: "Thematisch sind die Ergebnisse nicht zufriedenstellend." Ihr Votum: Eher nein.

(Foto: privat; Bearbeitung SZ)

Sandra Wulf, 39, SPD-Fraktionsgeschäftsführerin in Münster, Vorsitzende des Soester Ortsvereins: Grundsätzlich finde ich es sehr positiv, dass in der SPD ein Mitgliederentscheid stattfindet. Nach den Koalitionsverhandlungen bin ich zwiegespalten. Thematisch sind die Ergebnisse nicht zufriedenstellend. Zum Beispiel hätte ich mir beim Familiennachzug eine deutlich offenere Position gewünscht - und nicht, dass eine Entscheidung dazu noch vor Abschluss der Koalitionsverhandlungen im Bundestag gefällt wird. Außerdem habe ich ein Problem mit der Ansiedlung des Bereichs "Bauen" bei einem Innen- und Heimatminister Horst Seehofer. Ich sehe nicht, wie es mit ihm beim sozialen Wohnungsbau entscheidend vorangehen kann. Gerade tendiere ich eher dazu, mit Nein zu stimmen. Auch im Ortsverein war die Stimmung in den vergangenen Wochen eher ablehnend.

Sozialdemokraten über Groko-Einigung: Chris Jäger findet die "sozialdemokratische Handschrift klar erkennbar". Sein Votum: Ja!

Chris Jäger findet die "sozialdemokratische Handschrift klar erkennbar". Sein Votum: Ja!

(Foto: privat; Bearbeitung SZ)

Chris Jäger, 31, Verwaltungsbeamter, Vorsitzender des Ortsvereins Groß-Buchholz: Gemessen an unserem Ergebnis bei der Bundestagswahl ist der Koalitionsvertrag kein schlechtes Ergebnis. Die sozialdemokratische Handschrift ist klar erkennbar: Bei der sachgrundlosen Befristung zum Beispiel haben wir einiges herausgeholt - obwohl die Union nach den Sondierungen darüber gar nicht mehr verhandelt wollte. Auch soll viel für Digitalisierung getan werden und ein Ansatz im Bereich Pflege ist auch erkennbar. Der Vertrag ist mir zwar an manchen Stellen etwas unkonkret, zu viel "wir wollen" anstelle von "wir machen". Trotzdem halte ich das Ergebnis für tragfähig und werde es unterstützen. Wir können uns auch in der Regierung erneuern. In der letzten Groko haben wir viel erreicht. Vielleicht lag unser schlechtes Abschneiden nicht an Angela Merkel, sondern an unserer schlechten Selbstdarstellung.

Sozialdemokraten über Groko-Einigung: Martin Härer ist unentschlossen: Er findet "gute Dinge" im Koalitionsvertrag, aber ihm "fehlt eine Vision". Sein Votum: Jein.

Martin Härer ist unentschlossen: Er findet "gute Dinge" im Koalitionsvertrag, aber ihm "fehlt eine Vision". Sein Votum: Jein.

(Foto: privat; Bearbeitung SZ)

Martin Härer, 65, Rentner, Vorsitzender des Ortsvereins Feuerbach: Ich bin noch unentschlossen, wie ich beim Mitgliederentscheid abstimmen werde. Im Koalitionsvertrag stehen gute Dinge, zum Beispiel zur sachgrundlosen Befristung oder zur Digitalisierung. Allerdings hat sich auch der letzte Koalitionsvertrag vielversprechend gelesen. Dann wurden die einzelnen Vorhaben wie der Mindestlohn abgearbeitet und anschließend nur noch verwaltet. Ich befürchte, dass es diesmal wieder so läuft. Es fehlt eine Vision, das spüren die Menschen. Die Bundestagswahl war ein klares Signal. Ich zweifle, dass mit dem Führungspersonal - Schulz, Merkel, Seehofer - ein Aufbruch möglich ist. Dafür braucht es neue Köpfe. Dass Schulz den Parteivorsitz abgeben will, finde ich gut. Aber es ist ein Fehler, dass er in die Regierung gehen will. Ich habe mit vielen Leuten gesprochen. Auch sie sind der Meinung: So macht er sich unglaubwürdig.

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