Sozialdemokraten:Reiz des Ungefähren

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Die SPD-Spitze stellt nach einem verwirrenden Montagmorgen nur einen Teil ihrer Kernforderungen vor. Bei Rente und Steuern bleibt sie bewusst vage - auch aus Erfahrung.

Von Christoph Hickmann

Erst in Umrissen erkennbar: SPD-Spitzenkandidat Martin Schulz - hier als Pappfigur vorm Kanzleramt - will sein komplettes Programm im Juni vorlegen. (Foto: Kay Nietfeld/dpa)

Irgendwas ist ja eigentlich immer los bei der SPD, darauf kann man sich verlassen. Der Montag allerdings hatte es selbst für sozialdemokratische Verhältnisse auf besondere Weise in sich.

Es begann mit Schlagzeilen darüber, dass die SPD die für den frühen Nachmittag geplante Vorstellung der Kernpunkte ihres Wahlprogramms verschoben habe. Das hätte voll in jenes Bild gepasst, das die politischen Konkurrenten seit Wochen von den Genossen und ihrem Kanzlerkandidaten Martin Schulz zu zeichnen versuchen. Die Nachricht schien das Klischee vom wolkigen Schulz zu bedienen, der sich um beinahe jeden Preis davor drücken wolle, zu früh konkret zu werden. Dann allerdings folgte die nächste Meldung, wonach die Präsentation nun doch stattfinden solle. Und zwischendurch musste das Willy-Brandt-Haus wegen einer Sprengstoffwarnung geräumt werden, weshalb die Mitglieder des Parteivorstands, statt am Programmentwurf zu arbeiten, bei schönem Frühlingswetter für längere Zeit draußen standen, um auf Entwarnung zu warten. Die kam dann schließlich auch.

Aber noch einmal der Reihe nach. Woher kam die Meldung, die SPD verschiebe die Präsentation? Sie beruhte auf der Mail eines SPD-Sprechers an eine Nachrichtenagentur, in der dieser schrieb, das für Montag um 14 Uhr angekündigte Pressegespräch mit den Vorsitzenden der Programmkommission, also Generalsekretärin Katarina Barley, Familienministerin Manuela Schwesig und Fraktionschef Thomas Oppermann, finde "aus terminlichen Gründen nicht statt", weshalb der Termin bitte "aus Ihrer nächsten Terminvorschau" zu streichen sei. Es war also die SPD selbst, die abgesagt hatte.

Grund dafür, so erläuterte es Barley später, waren "sehr, sehr viele Änderungsanträge". Laut Parteikreisen soll es sich um etwa 640 gehandelt haben. Die mussten im Parteivorstand noch behandelt und zum Teil auch in jenes Dokument eingearbeitet werden, das beim Parteitag Ende Juni als Leitantrag verabschiedet werden soll. Allerdings sah sich die SPD, als die Aufregung um die Absage gerade ihrem Höhepunkt zustrebte, trotz dieser zahlreichen Änderungen plötzlich doch in der Lage, das Pressegespräch zum Programm wieder anzusetzen - nun eben eine halbe Stunde später, also um 14.30 Uhr.

Familien sollen besonders unterstützt werden - mit Geld, Zeit und besserer Infrastruktur

Woher kamen die Änderungsanträge? Offenbar, so erklärte es Barley, aus dem Parteivorstand selbst. Wie aber war es dann zu erklären, dass eine solche Masse an Änderungswünschen entstand? Dazu hieß es, viele der Anträge seien rein redaktioneller Natur, es sei also um Formulierungen gegangen. Darüber hinaus muss man wissen, dass seit Langem diverse Arbeitsgruppen mit vielen Mitgliedern damit beschäftigt waren, die Vorarbeit für das Wahlprogramm zu leisten. Bei dem Dokument, das der Parteivorstand dann am Montag als Leitantrag für den Parteitag verabschiedete, handelte es sich um ein Destillat dieser Arbeit. Die detaillierte Feinarbeit vieler Experten war also um viele fachliche Details bereinigt und, wie es Barley ausdrückte, aus dem "Fachchinesisch" in verständliches Deutsch übersetzt worden - was naturgemäß wieder einiges an Korrekturbedarf bei denjenigen hervorrief, deren Arbeit da eingedampft worden war. Denn selbstverständlich sieht jeder ein, dass ein möglichst prägnantes, nicht zu langes Programm im Sinne der Partei ist - aber eben nur so lange, wie es nicht um die eigenen Belange geht. Dann ist sich in den meisten Fällen doch jeder selbst der nächste.

Worum geht es in dem Programm? Um wenig Neues und viele Dinge, welche die SPD teils seit Jahren fordert. Drei Schwerpunkte hob Generalsekretärin Barley am Montag hervor: Bildung, Familie und das Thema ländlicher Raum. In der Bildung wollen die Sozialdemokraten unter anderem das Kooperationsverbot abschaffen, also den Bund in die Lage versetzen, "massiv in die Bildung investieren zu können", wie es Barley ausdrückte. Familien will die SPD als diejenigen unterstützen, "die mit am meisten leisten in der Gesellschaft". Hier komme es auf einen "Mix aus Zeit, Geld und besserer Infrastruktur" an, um Familien zu entlasten, wozu auch die Forderung "gleicher Lohn für gleiche Arbeit" gehöre. Und der ländliche Raum? "Gerechtigkeit muss auch bedeuten, dass man da leben kann, wo man gerne lebt", so Barley.

Früh konkret werden - damit haben die Sozialdemokraten 2013 schlechte Erfahrungen gemacht

Allerdings fehlen im Programm die beiden Themen, über die im Wahlkampf meist mit am heftigsten gestritten wird: Steuern und Rente. Hier will sich die SPD noch etwas Zeit lassen und in den nächsten Wochen zunächst ihr Renten- und dann ihr Steuerkonzept vorstellen. Ein Grund für die Zurückhaltung sind die Erfahrungen aus dem Wahlkampf 2013.

Damals lagen auch bei diesen beiden Themen die Forderungen der SPD früh auf dem Tisch - was allerdings nicht dazu führte, dass ihr die Wähler in Scharen in die Arme gelaufen wären. Stattdessen kündigten die Sozialdemokraten detailliert an, welche Steuern sie erhöhen, wem sie also etwas wegnehmen wollten. Das führte dazu, dass über jene Dinge, die sie mit dem Geld bezahlen wollten, kaum noch diskutiert wurde. Stattdessen musste sich Kanzlerkandidat Peer Steinbrück, der bis dahin nicht als Freund von Steuererhöhungen aufgefallen war, ständig rechtfertigen. Vor diesem Hintergrund wollen die Sozialdemokraten diesmal länger vage bleiben.

Hinzu kommt, dass der Kanzlerkandidat und Parteivorsitzende Martin Schulz sich in seiner Karriere bislang weniger mit den Feinheiten des deutschen Steuer- und Rentensystems als mit solchen Themen beschäftigt hat, die auf der europäischen Ebene spielen. Er musste und muss sich erst einmal seine Meinung bilden - wozu es auch gehört, sich in jene Zahlen zu vertiefen, die den Handlungsspielraum für die nächsten Jahre definieren.

Wohin die Richtung in Sachen Steuern ungefähr geht, deutete Barley am Montag allerdings schon mal an. Bei kleinen und mittleren Einkommen wolle man "Entlastungen vornehmen", wozu eben auch die Gebührenfreiheit in der Kita gehöre. Und der Spitzensteuersatz setze derzeit zu früh an, so formulierte es die Generalsekretärin. Immerhin, die Umrisse sind sichtbar. Wer aber auf Details der sozialdemokratischen Steuer- und Rentenpolitik wartet, muss sich noch etwas gedulden.

© SZ vom 23.05.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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