Sozialdemokraten:"Links, dickschädelig und frei"

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Der Chef ist eigensinnig, und die Mitglieder sind es auch: Ralf Stegner, SPD-Fraktions- und Landesvorsitzender, am Aschermittwoch in Marne an der Nordsee. (Foto: Carsten Rehder/dpa)

Der schleswig-holsteinische Landesverband hatte schon immer seinen eigenen Kopf.

Von Thomas Hahn, Hamburg

Ralf Stegner sagt, er habe es gleich gesagt. Erst die Inhalte, dann die Posten - das war seine Vorstellung von Öffentlichkeitsarbeit, nachdem sich seine SPD mit CDU und CSU vier Monate nach der Bundestagswahl auf einen Koalitionsvertrag geeinigt hatte. Das hat Stegner, der Vizevorsitzende aus Kiel, seinen Vorstandskollegen nach eigener Aussage auch erklärt. Vergeblich: Plötzlich wollte Martin Schulz, der gescheiterte Spitzenkandidat, Außenminister werden anstelle von Sigmar Gabriel. Der schlug zurück, die Geschichte nahm ihren Lauf. Rückzug Schulz, Aufritt Andrea Nahles als designierte neue Parteichefin, Verwirrung an der Basis. Stegner war nicht amüsiert. "Die ganze Personaldebatte fand ich komplett falsch."

Aber nun muss er feststellen, dass ausgerechnet Leute aus seinem Landesverband dazu beitragen, die Debatte am Laufen zu halten. Simone Lange, die Oberbürgermeisterin von Flensburg, kandidiert gegen Andrea Nahles für den Vorsitz der Bundespartei, genauso wie Dirk Diedrich, ein Berufsschullehrer aus Dithmarschen.

Im protestantischen Norden wirkt die SPD selbstbewusster als im katholischen Süden

In der SPD in Schleswig-Holstein haben sie ihren eigenen Kopf, wer könnte das besser bezeugen als Stegner selbst. Fraktions- und Parteichef ist er im Land zwischen den Meeren. Mit seinen schnarrenden Ansagen schärft er das linke Profil seines Landesverbandes und führt eine Tradition fort, die in den Jahrzehnten vor 1987 wurzelt, als in Schleswig-Holstein eine straffe CDU-Regierung herrschte. Hier hat einst Jochen Steffen, genannt "der Rote Jochen", eine kapitalismuskritische Oppositionspolitik betrieben. Hier musste Björn Engholm die Schikanen seines politischen Gegners Uwe Barschel ertragen, ehe diese in der Barschel-Affäre bekannt wurden, er zum Ministerpräsidenten aufstieg und einen neuen, weltoffenen Geist in die Kieler Staatskanzlei brachte. Hier stellte die SPD in Heide Simonis die erste Frau an der Spitze einer deutschen Landesregierung.

Im protestantischen Norden wirken Sozialdemokraten insgesamt selbstbewusster als im katholischen Süden. Deshalb passt es ins Bild, dass auch der dritte Nahles-Gegenkandidat von dort kommt: Udo Schmitz, Ortsvereinsvorsitzender und Rechtsanwalt aus Stadland, Niedersachsen, will wie Lange und Diedrich ein Zeichen setzen gegen das Eigenleben des Bundesvorstands.

Trotzdem ist die SPD in Schleswig-Holstein ein besonderer Fall: Als sie 1987 die Macht übernahm, bewirkte sie einen tief greifenden kulturellen Wandel im Land mit ihrem skandinavisch geprägten Verständnis von Sozialdemokratie und ihrem naturnahen Weltbild. Andererseits ist sie hier auch schon dramatisch gescheitert. Engholm, damals auch SPD-Bundesvorsitzender, trat 1993 nach neuen Erkenntnissen zur Barschel-Affäre zurück. Heide Simonis scheiterte 2005 spektakulär am Versuch, eine rot-grüne Minderheitsregierung zu beginnen; vier Mal verweigerte ihr das Parlament die Wiederwahl zur Ministerpräsidentin. Und bei den Landtagswahlen 2017 gelang es der SPD nicht, die Küstenkoalition mit Grünen und SSW zu halten. Als Hauptgrund gilt ein Interview in der Illustrierten Bunte, in dem sich der damalige Ministerpräsident Torsten Albig ungeschickt über seine Ex-Gattin äußerte. Ausgerechnet die frauenfreundliche Schleswig-Holstein-SPD stolperte über einen Macho-Vorwurf - das tat weh. "Die Niederlage war überflüssig wie ein Kropf", sagt Bettina Hagedorn.

Bettina Hagedorn, 62, ist Bundestagsabgeordnete für den Kreis Ostholstein und seit elf Jahren Stegners Stellvertreterin. Ihre Erzählungen vom Landesverband klingen wie eine Hommage an die Errungenschaften seiner Leute. "Wir sind links, dickschädelig und frei, auf diese Identität ist die SPD in Schleswig-Holstein stolz", sagt sie. Aber die Dickschädeligkeit ist eben manchmal auch unpraktisch, wie die aktuellen Kandidaturen zeigen. Bettina Hagedorn will dazu wenig sagen. Sie kritisiert nur das Vorgehen von Simone Lange. An dem Tag, an dem deren Kandidatur bekannt wurde, tagten Landesvorstand, Kreisvorsitzende und Parteirat in Kiel. Dort hätte sie ihr Vorhaben vorstellen können, stattdessen erfuhr die Landespartei davon aus den Medien. "Kein guter Stil", findet Hagedorn. Simone Lange ist eine ernst zu nehmende Politikerin. Gut möglich, dass die 41-Jährige sich gegen Landeschef Stegner in Position bringen will. Auf sie schaut man etwas interessierter als auf den schöngeistigen Diedrich, der auf seiner Homepage den Eindruck erweckt, als habe er die Folgen seiner Kandidatur nicht bedacht ("Ich bin nicht wichtiger als unser Bäcker oder sonst wer. Ruft ihr den an?").

Ralf Stegner sagt: "Jeder kann kandidieren, das ist so." Er selbst steht auf der Seite von Andrea Nahles. Er ist demnächst auch unterwegs, um für die große Koalition zu werben - "aber ohne Propaganda", wie er sagt. Stegner leitet der Gedanke, dass die für ihn einzige Alternative - nämlich Neuwahlen - schlechter ist. Ein glühender Fan des Vertrages ist er nicht. Das würde auch nicht passen zum Geist der Schleswig-Holstein-SPD.

© SZ vom 17.02.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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