Sondierungen:"Wir können auch sagen, wir halten die grüne Null ein"

Deutschland Berlin Bundestag Sondierungsgespräche zur Regierungsbildung nach der Bundestagswahl 2

Gute bis mittelprächtige Laune: die Verhandlungsführer der Grünen am gestrigen Dienstag

(Foto: imago/Christian Thiel)

CDU, CSU, FDP und Grüne verhandeln bis tief in die Nacht über die Eckpunkte für Koalitionsgespräche. Erst danach zeigt sich: Sie haben unterschiedliche Vorstellungen von dem, was sie gerade vereinbart haben.

Von Mike Szymanski, Berlin

Es ist nach Mitternacht, als sich die große Holztür vom Haus der Parlamentarischen Gesellschaft in Berlin öffnet. Es regnet. Drinnen tagten bis eben die Sondierer für Jamaika. Gut fünf Stunden saßen die Vertreter von CDU und CSU, von FDP und von den Grünen zusammen. Die Zeit des Abtastens ist vorbei. Heute müssen Ergebnisse her, wenn sich die vier Parteien tatsächlich auf eine gemeinsame Regierung einlassen wollen.

Der Grünen-Politiker Jürgen Trittin gehört zu den ersten, die aus dem Haus rauskommen. Aber er will dann einfach nur hier weg. "Ich will nach Hause", ruft er mürrisch. Ist es der Regen, weshalb er so schlechte Laune hat?

Alexander Graf Lambsdorff von der FDP hat mit dem Wetter kein Problem. "Der Himmel weint Freudentränen", ruft er. Er hat aber auch als einziger einen Schirm. Sein Parteifreund aus Kiel, Wolfgang Kubicki, nicht. Der presst sich an die Wand der Parlamentarischen Gesellschaft und wartet auf den Wagen. Er findet, dass Lambsdorff womöglich "eine Meise" hat. Einen Streit kann man das aber nicht nennen. Er muss ja selbst lachen: "Der Himmel weint Freudentränen!"

Es ist nur Regen. Es sind auch nur Sondierungsgespräche.

Die Ergebnisse der Nacht passen auf ein Din-A-4-Blatt. Eckpunkte für weitere Gespräche in der Finanz- und Haushaltspolitik, aufgelistet in sieben Spiegelpunkten. Soli-Zuschlag abbauen, steht etwa dort, Bezieher unterer und mittlerer Einkommen entlasten, Familien mit Kindern sowieso. Abschreibungsmöglichkeiten verbessern, den Bau von Mietwohnungen fördern. Am ausgeglichenen Haushalt "festhalten" oder "ihn anstreben": Über die Formulierung wird in der Runde diskutiert - den ausgeglichenen Haushalt "wollen" steht hinterher im Papier, das sich schon aufzulösen scheint, kurz nachdem es in der regnerischen Nacht präsentiert wird.

Die Parteien haben unterschiedliche Vorstellungen von dem, was sie vereinbart haben

Der mürrische Trittin jedenfalls zerrupft es Stunden später Stück für Stück, seine Laune hat sich offenkundig nicht verbessert. Die Verständigung mit Union und FDP sei kein Bekenntnis zur "schwarzen Null". Die komplette Abschaffung des Soli-Zuschlags, von der Kubicki meint, sie komme in der Legislatur: "Das ist halt nicht drin."

Man kann es abtun wie Kubicki, der zum Ziel des ausgeglichenen Haushalts sagt: "Wir können auch sagen, wir halten die grüne Null ein. Oder die rote. Völlig wurscht. Es bleibt bei null." Oder feststellen: Von dem Wenigen, was vereinbart wurde, haben die Partner ziemlich unterschiedliche Vorstellungen.

Kubicki sagt, auf Überschriften könne man sich sehr schnell einigen. "Wenn es dann ans konkrete Formulieren geht, dann sieht man erst, wo die Probleme sind." Davon kommen wohl noch einige auf die potenziellen Jamaika-Partner zu. Denn auch die CSU hält es noch längst nicht für ausgemacht, dass der Solidaritätszuschlag in dieser Legislaturperiode schon komplett abgeschmolzen wird. Generalsekretär Andreas Scheuer sagt: "Da kommt es auf die Spielräume an." Als CSU-Chef Horst Seehofer als einer der letzten rauskommt, sagt er zu den Journalisten, sie sollten doch andere fragen: "Ich habe heute nicht Obacht gegeben." Selbst wenn das stimmen sollte, denn für gewöhnlich passt Seehofer bei solchen Treffen sehr gut auf, die Themen dürften ihn eher früher als später alle wieder einholen.

So wie in dieser Nacht sollen jetzt regelmäßig Papiere entstehen, Punkte, die die vier Parteien in der Tiefe arbeiten, wenn sie sich auf Koalitionsgespräche einlassen. Kubicki skizziert einen Fahrplan. Mitte November würden sie wissen, "ob wir verhandeln wollen oder nicht". Mitte Januar könnten die Parteien mit ihrer Basis klären, ob sie Jamaika unter den dann ausgehandelten Bedingungen wirklich wollen.

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