Sondierungen:Teure Versuchungen für Union und SPD

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Ein Kampagnenfloß mit den Konterfeis von Angela Merkel und Martin Schulz fährt auf der Spree am Bundestag vorbei. (Foto: picture alliance / Kay Nietfeld/)

Für Entscheidungen über Rentenniveau und Gesundheitsreform ist Schwarz-Rot eine schlechte Konstellation. Kompromisse könnten die Finanzen belasten.

Kommentar von Nikolaus Piper

Bis zum 19. November um 23.49 Uhr schien das Schicksal der Republik von Kohlekraftwerken, dem Familiennachzug für Flüchtlinge mit subsidiärem Schutz und der Frage abzuhängen, wann der Soli wie abgeschafft wird. Dann trat Christian Lindner vor die Kameras und beendete das Experiment Jamaika-Koalition. Nun müssen CDU/CSU und SPD prüfen, ob sie trotz des Strafgerichts, das die Wähler über sie gehalten haben, doch irgendwie zusammenkommen können. Und plötzlich sind die Schicksalsfragen fast ausschließlich sozialpolitischer Art. Es geht darum, ob die SPD ihren Begriff von sozialer Gerechtigkeit durchsetzt und die Union gleichzeitig ihrem Anspruch gerecht werden kann, Hort finanzpolitischer Solidität zu sein.

Der abrupte Themenwechsel ist schon für sich bemerkenswert. So etwas gab es in der Geschichte der bundesdeutschen Politik noch nicht. Und die Beteiligten sind darauf erkennbar nicht vorbereitet. Besonders unangenehm ist die Lage für die SPD. Sieht man nur auf die Inhalte, war die abgewählte Regierung für die Sozialdemokraten ja ein großer Erfolg. Man mag bezweifeln, ob Mindestlohn, Rente mit 63 und Mietpreisbremse den Menschen, für die sie gedacht waren, wirklich genützt haben. Aber sie waren reines SPD-Programm und liefen unter dem Rubrum "soziale Gerechtigkeit". Nur haben es ihnen die Wähler eben nicht gedankt. Sie konnten sich noch so sehr von "den Schwatten" (Sigmar Gabriel) absetzen, solange sie in der Koalition mit der Union waren, war alles, was sie unternahmen, irgendwie "neoliberal".

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Die Zeiten sind ungewöhnlich gut, die Steuereinnahmen sprudeln

Für die CDU ist das Zusammengehen mit den Sozialdemokraten vielleicht im Verhältnis einfacher, die Kanzlerin selbst ist ja sozialdemokratischem Gedankengut nicht abgeneigt. Aber bei den eigenen Leuten und in der Konkurrenz mit der FDP um bürgerliche Wähler ist genau dies das Problem.

Für Kompromisse ist diese Konstellation denkbar schlecht, genauer: Unter solchen Bedingungen werden oft Kompromisse geschlossen, die sehr teuer oder zumindest finanzpolitisch problematisch sind. Die Zeiten sind ja ungewöhnlich gut, die Steuereinnahmen sprudeln, da ist die Verführung zum Geldausgeben groß, zumal die Wähler ja die gute Konjunktur gar nicht honorieren.

Nimmt man die jüngsten Äußerungen aus der SPD Nordrhein-Westfalen als Maßstab, dann entscheiden sich Ob und Wie einer neuen großen Koalition an zwei Themen: Rente und Gesundheit. Die Sozialdemokraten wollen das Rentenniveau auf 48 Prozent des Durchschnittslohns festschreiben, also den derzeitigen Stand sichern. Die Reform soll, mit anderen Worten verhindern, dass die Renten bis 2030, wenn es mehr Rentner und weniger Beitragszahler gibt, auf 44,7 Prozent sinken. Das kostet allein im Jahr 2030 mehr als 19 Milliarden Euro - auch deshalb, weil die SPD den weiteren Anstieg des Rentenalters zum Tabu erklärt hat.

Die CDU weiß bei der Rente nicht, was sie will

Die Union ist in der misslichen Lage, bei der Rente nicht zu wissen, was sie will. Jetzt rächt sich, dass Merkel entschieden hat, das Thema nach der Wahl erst einmal in eine Expertenkommission zu geben. Zwar ist tatsächlich noch etwas Zeit da, ehe Reformen unabweisbar werden, aber schon steigt das Problem der Altersarmut spürbar. Die SPD hatte recht, das Thema im Wahlkampf anzugehen, nur wählte sie als Lösung das denkbar teuerste Modell - die Hebung des Rentenniveaus. Nicht alle, die eine Minirente beziehen, sind arm, viele haben privat vorgesorgt, zum Beispiel, weil sie den größten Teil des Berufslebens selbständig waren. Erhöhte man einfach nur das Rentenniveau mit Steuermitteln, würden viele eine Unterstützung bekommen, die sie gar nicht brauchen. Richtig wäre es, für Bedürftige die Rente mit einer Art Grundsicherung aufzustocken. Aber das ist unpopulär; weil Grundsicherung nach "Almosen" oder, schlimmer noch, nach "Hartz IV" klingt.

In Sachen Gesundheitsreform fordert die SPD eine staatliche Einheitsversicherung (im Politjargon "Bürgerversicherung" genannt): Alle zahlen in eine gesetzliche Krankenkasse ein, auch Selbständige, Wohlhabende und Beamte, die private Krankenversicherung verliert nach und nach ihre Geschäftsgrundlage. Es gibt sehr große Zweifel, ob mit diesem Modell die "Zwei-Klassen-Medizin" in Deutschland abgeschafft werden kann. Reiche können sich immer irgendwo privat zusatzversichern. Die Gefahr besteht aber, dass dem Gesundheitswesen Mittel entzogen und bereits heute bestehende Probleme verschärft werden. Und dann ist die Versuchung groß, einfach auf die öffentlichen Haushalte zurückzugreifen.

Es wäre gut, würden Union und SPD gar nicht erst beginnen, ihre Gegensätze durch teure Kompromisse zu überbrücken.

© SZ vom 28.11.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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