Sondersitzung zum Flughafen-Debakel:Wowereit zittert, Opposition scheitert

Die Sondersitzung hätte eine Generalabrechnung mit Klaus Wowereit als vorerst gescheitertem Flughafenerbauer werden können. Doch die Opposition im Berliner Abgeordnetenhaus demonstriert vor allem, wie harmlos und unfähig sie ist.

Von Thorsten Denkler, Berlin

Klaus Wowereit ist schon da. Zehn Minuten vor der Zeit legt er seine Mappe auf sein Pult im Plenum des Berliner Abgeordnetenhauses und dreht sich zu Björn Böhning um, seinem Chef der Senatskanzlei. Nach und nach kommen Senatoren und Abgeordnete auf Wowereit zu, geben ihm die Hand. Sein Regierungssprecher Richard Meng schleicht sich heran, jetzt auch Michael Müller, der Verkehrssenator. Der muss frühzeitig weg, um Wowereit anderswo zu vertreten.

Gleichzeitig zur Sondersitzung des Abgeordnetenhauses bittet der Bundespräsident im Schloss Bellevue zum Neujahrsempfang. Doch der Regierende Bürgermeister von Berlin ist an diesem Donnerstagmorgen verhindert. Er muss Rede und Antwort stehen zum Flughafen-Desaster. Es geht um seine politische Zukunft. Es geht um seinen Kopf.

Hätte es die Opposition in der Hand, würde Wowereit am kommenden Samstag als Regierender Bürgermeister abgewählt. In der Sondersitzung heute wird der entsprechende Antrag eingebracht, begründet damit, dass die Eröffnung des Pannen-Flughafens Berlin Brandenburg erneut verschoben wird. Zum vierten Mal in Folge platzt der Termin.

Wowereit ist eingemauert von Menschen. Wie ein Burgwall stehen sie um ihn herum, seine Verschworenen. So scheint es. Manche tätscheln Wowereit den Rücken. Kopf hoch, soll das wohl heißen. Oder: Nur Mut! Doch jedes Tätscheln ist auch eine Art Demütigung. Nett gemeint, sicher. Aber so etwas hat Wowereit noch nie nötig gehabt. Jetzt aber braucht er Unterstützung.

Sie lachen in diesem Burgwall. Laut dröhnt die Stimme vom CDU-Koalitionspartner Frank Henkel durch das Plenum. Es klingt nicht so, als hätte wirklich jemand einen guten Witz gemacht. Eher danach, dass Spannung abgebaut werden muss.

Opposition als Wowereits Lebensversicherung

Wowereit wird gleich reden. Hätte er geahnt, wie leicht es ihm die Opposition heute macht, er wäre vielleicht weniger nervös gewesen. Diese Opposition, sagt eine Beobachterin danach, ist Wowereits Lebensversicherung.

Zu Beginn steht Ramona Pop, die Fraktionsvorsitzende der Grünen, am Pult. Sie stellt vor allem viele Fragen. Ob die rot-schwarze Regierungskoalition wirklich glaube, dass es mit Wowereit noch einen Neuanfang gegen könne? Ob der Regierende Bürgermeister das Vertrauen des Abgeordnetenhauses noch in Anspruch nehmen könne? Irgendwann schallt es ihr aus den Reihen der SPD auf jede dieser Fragen nur noch laut "Ja! Ja! Ja!" entgegen. Was hat Pop auch erwartet? Ein rhetorischer Missgriff.

Sie ist selbst vor Störungen durch die eigenen Leute nicht sicher. Auf einen Zwischenruf aus der SPD reagiert der grüne Finanzpolitiker Jochen Esser grob: "Halt bloß die Klappe da drüben!", brüllt er. Der Parlamentspräsident Ralf Wieland merkt spitz an: "Sie werden von Ihren eigenen Leuten unterbrochen, Frau Pop."

So harmlos geht es weiter. Erst mäkelt Pop an Wowereits flapsigen Sprüchen herum. Dann lobt sie ihn für seine "lockere und charmante Art". Ironie? Wirklich loswerden scheint sie Wowereit jedenfalls nicht zu wollen.

Oder Udo Wolf, Fraktionschef der Linken. Der verwechselt die Debatte zum Flughafen mit einer Generalaussprache. Redet über den Atomkonzern Vattenfall, über Wasserpreise, die S-Bahn. Und vorher auch mal kurz über den Flughafen. Gut, dass er auch sagt, warum er da so zurückhaltend ist. In Potsdam regiert die Linke mit Matthias Platzeck von der SPD, sie ist darum auch nicht ganz unschuldig am Flughafen-Desaster. Da kritisiert es sich eben schlecht. Wolf übt sich in linker Dialektik: In Brandenburg leiste die rot-rote Koalition eine gute Arbeit. In Berlin mache der rot-schwarze Senat dagegen insgesamt alles falsch - den Flughafen mal außen vor gelassen.

Nicht besser die Piraten. Andreas Baum findet, dass Wowereit gerne mal auf den Sachverstand der Piratenfraktion hätte zurückgreifen können. "Wir haben auch noch fachliche Kompetenz bei uns. Industrieelektriker, Mechatroniker. Ich bin einer." Ein Scherz? Im Anschluss sagt Baum, er sei bei der Besichtigung der Baustelle schon erstaunt gewesen "über die mangelhaften elektrotechnischen Installationen".

Wowereit wird ihm wenig später ein Jobangebot machen. Weil es doch "toll" sei, wenn der Herr Baum das alles so "toll" könne. Und: "Toll, dass das alles so toll ist." Wobei er jedes "toll" überbetont.

Lücken in der Verteidigung

Seine Verteidiger machen ihm allerdings auch keine große Freude. SPD-Fraktionschef Raed Saleh ergeht sich in gestanzten Plattitüden. "Der Regierende Bürgermeister genießt unser Vertrauen", sagt er. Oder: "Es muss und es wird alles aufgeklärt werden."

Wowereit trägt in seinen Augen keine Schuld. "Das ist die eigentliche Geschichte: Große deutsche Unternehmen schaffen es nicht, diese Anlage zu bauen." So kann Verantwortung auch abgeschoben werden.

Lässt er eine Zwischenfrage des Piraten Oliver Höfinghoff zu? Der hölzerne Saleh wirkt plötzlich wie ein beleidigtes Kind: "Nein. Der lässt ja auch keine Fragen zu." Es soll Menschen in der Berliner SPD geben, die halten ihn tatsächlich für einen geeigneten Nachfolger Wowereits - eines fernen Tages.

Für die CDU soll Fraktionschef Florian Graf die Koalition retten, der Mann, der vor allem wegen abgeschriebener Passagen in seiner Doktorarbeit bekannt ist. Immerhin spricht der Ex-Doktortitelträger mal davon, dass die erneute Verschiebung bei ihm "blankes Entsetzen, Fassungslosigkeit und reichhaltige Verärgerung ausgelöst" habe. Dennoch stehe die CDU geschlossen zu dieser großen Koalition.

Nach diesen Auftritten hat es Wowereit leicht, sich als Regierender Bürgermeister ohne Alternative zu präsentieren. Generös vermerkt er, es sei "das legitime Recht einer Opposition, einer Regierung das Vertrauen entziehen zu wollen". Er aber sehe seine Pflicht darin nicht wegzulaufen vor der Verantwortung, sondern sie wahrzunehmen. "Es ist schwer, sich der Verantwortung zu stellen und dieser Verantwortung stelle ich mich persönlich."

An ein paar Stellen schüttelt er die Fäuste, ein paar Mal wird er etwas lauter. Gerade genug, damit ihm Fernsehkommentatoren später das Attribut "kämpferisch" zuweisen können. Den Misstrauensantrag am kommenden Samstag wird er überstehen. Wie sollte er auch nicht? Wer so eine Opposition hat, der muss sich um Misstrauensanträge keine Sorgen machen.

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