Sondergipfel:Nur vier Minuten

27 EU-Staaten beschließen Leitlinien für die bevorstehenden Verhandlungen mit Großbritannien über den Brexit. Das geht sehr schnell.

Von Thomas Kirchner und Alexander Mühlauer, Brüssel

Theresa May bleibt dabei: Kein Deal ist in ihren Augen immer noch besser als ein schlechter Deal. Sie sei bereit, vom Verhandlungstisch aufzustehen, wenn sie mit einem zu erwartenden Resultat nicht einverstanden wäre, sagte die britische Premierministerin nach dem Brexit-Sondergipfel der EU am Wochenende. "Ich würde das nicht sagen, wenn ich es nicht so meinen würde", erklärte May im britischen Rundfunk. Sie erwarte "harte Verhandlungen". Das Gipfeltreffen in Brüssel und die Kommentare mancher Staats- und Regierungschefs ließen darauf schließen.

Zunächst will Brüssel klären, welche Rechte EU-Bürger künftig in Großbritannien haben

Die 27 Mitgliedsstaaten hatten am Samstag die Leitlinien für die EU-Austrittsgespräche mit dem Vereinigten Königreich beschlossen, die nach den britischen Wahlen im Juni beginnen sollen. Die 27 wollten vor allem Geschlossenheit demonstrieren, und das gelang ihnen. Sie betraten den Verhandlungsraum, setzten sich, Applaus, und das war es dann schon: einstimmig verabschiedet. Ob es denn irgendeine Überraschung bei diesem Gipfel gegeben habe, wurde Donald Tusk am Ende gefragt. Ja, doch, eine habe es gegeben, antwortete der EU-Ratspräsident. "Es waren die vier Minuten, die wir brauchten, um die Richtlinien zu beschließen. Das ist historisch."

Die EU-Kommission hat damit formell ein Mandat erhalten, eine ausführliche Strategie für die Austrittsverhandlungen auszuarbeiten. Die sogenannten Directives sollen bereits an diesem Mittwoch an die EU-Staaten verschickt werden. Ende Mai sollen sie dann gebilligt werden. In Brüssel herrscht allerdings große Skepsis, ob die Regierung in London überhaupt verhandlungsfähig ist. Sowohl Bundeskanzlerin Angela Merkel als auch EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker mahnten die Briten, sich keine Illusionen über den Ablauf der Gespräche zu machen. Die EU werde zunächst über die Austrittsmodalitäten verhandeln. Erst wenn man dabei zu substantiellen Ergebnissen gekommen sei, könne man über das künftige Verhältnis reden, betonte Merkel.

In der ersten Phase will die EU klären, welche Rechte EU-Bürger in Großbritannien und Briten in der EU künftig haben werden. Außerdem gibt es noch die Finanzforderungen der EU an Großbritannien. Eine konkrete Summe nannte am Wochenende keiner, im Raum stehen 60 Milliarden Euro, die London zahlen soll. Und dann wollen die Staats- und Regierungschefs noch alles dafür tun, um eine harte Grenze zwischen Irland und Nordirland zu verhindern. All diese Punkte müssen geklärt sein, bevor die EU über die künftige Beziehung mit London verhandelt.

Es sei nicht selbstverständlich, dass man sich darauf habe verständigen können, hieß es bei hohen EU-Beamten. Mit dieser Festlegung ist ihrer Ansicht nach ein Tauschhandel zwischen den beiden Phasen ausgeschlossen. Es wird also nicht möglich sein, den Briten eine besonders unangenehme Trennungsfolge zu versüßen, indem die EU ihnen künftige Handelserleichterungen in Aussicht stellt.

Noch hält die Einheit der 27. "Wir leben zu diesem Zeitpunkt in der besten aller Welten", sagte ein EU-Diplomat. "Man muss die Zeichen künftiger Probleme noch mit der Lupe suchen." Wie lange diese Einheit hält? Bereits jetzt streiten die EU-Staaten darüber, wo die in London ansässigen EU-Behörden, die Europäische Bankenaufsicht sowie die Europäische Arzneimittelagentur, künftig ihren Sitz haben sollen. Und die engsten Handelspartner der Briten auf Seiten der EU, vorweg die Beneluxstaaten, haben wenig Interesse an einem besonders harten Auftreten gegenüber London oder gar einer "Bestrafung". Entsprechend gibt es in diesen Ländern auch Sympathie für die Forderung der Briten, bald über das künftige Verhältnis nachzudenken. Ein EU-Diplomat formulierte es so: Da gebe es ein gewisses "Potenzial für Debatten".

Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: