Sommerurlaub:Furcht und Fernweh

Der Türkei-Tourismus leidet wegen des Terrors. Auch auf Dauer? Der typische Tourist, das wissen Forscher, ist ein vergessliches Wesen - und denkt oftmals sehr ans Geld.

Von Jochen Temsch

Sommer, Urlaub, nichts wie weg! Selbst jetzt, pünktlich zur Ferienzeit, gibt es noch preisgünstige Angebote für Kurzentschlossene zuhauf. Ein Zimmer mit Meerblick im Fünf-Sterne-Hotel direkt am Strand beispielsweise, zwei Wochen im August inklusive Flug für 800 Euro. Das Problem ist nur: Das Hotel befindet sich in Antalya an der Türkischen Riviera. Und die Frage, die sich jeder sofort stellt, lautet: "Kann man da noch hin?"

Sicher ist: Die Deutschen würden gerne. In den Buchungsanfragen der Urlauber in Reisebüros lag die Türkische Riviera Anfang Juni, also vor dem Anschlag auf den Istanbuler Flughafen, auf Platz eins, wie das Fachblatt fvw in seiner aktuellen Ausgabe berichtet. Das heißt nicht, dass dann tatsächlich auch gebucht wurde. Der Türkei-Tourismus ist eingebrochen, nur noch halb so viele Deutsche wie im vergangenen Jahr machen Urlaub in dem Land, Hunderte Hotels an der Küste stehen zum Verkauf, Hoteliers, Restaurantbesitzer und Souvenirhändler verschulden sich, verramschen ihr Angebot und rutschen in die Pleite. Aber das Interesse der Deutschen ist nach wie vor groß.

Ein Grund dafür dürfte die Überfüllung der klassischen Urlaubsziele im westlichen Mittelmeer sein, die vom mulmigen Gefühl der Touristen vor Tunesien, Ägypten und der Türkei profitieren. Allen voran Spanien, das dieses Jahr mit einem Besucherrekord rechnet. Allein auf Mallorca werden 14 bis 15 Millionen Urlauber erwartet. Eine Pauschalreise dorthin kostet mit Flug und vergleichbarem Hotel doppelt so viel wie an die Türkische Riviera. Das Preisbewusstsein, das die Urlauber vor Jahren aus den Bettenburgen der Costa Blanca an Ziele in Nordafrika und ans östliche Mittelmeer geführt hat, ist durchaus noch vorhanden. Es paart sich mit dem schwachen Gedächtnis der Touristen, das sie nach kurzer Zeit - Freizeitforscher sprechen von meist zwei Jahren - Katastrophen vergessen lässt. Es sei denn, ein Land kommt nicht aus den negativen Schlagzeilen, wie jetzt die Türkei.

Der Anschlag auf den Istanbuler Flughafen war der jüngste Vorfall einer Serie von Terrorattacken in Ankara und Istanbul, denen auch Touristen zum Opfer fielen. Auch wenn viele Badeurlauber in diesen Städten nicht einmal zwischenlanden, sitzt der Schock über die Morde bei ihnen tief. Es ist auch nicht so, dass die Küste ungefährlich wäre: Im Jahr 2006 detonierten Bomben in Antalya und Marmaris. Dazu bekannten sich kurdische Extremisten, die neben der Terrormiliz IS in der Türkei operieren. In der Logik der Terroristen sind Touristen ein leichtes und lohnendes Ziel. Das Auswärtige Amt weist darauf hin, dass "in allen Teilen der Türkei grundsätzlich von einer terroristischen Gefährdung" ausgegangen werden muss, in den Städten insbesondere auch an touristischen Attraktionen. Andererseits kann es jeden Menschen überall auf der Welt erwischen. Betrachtet man die Statistik der Verkehrstoten, kommt man zum Schluss, dass das Gefährlichste am Reisen der Transport ist. Soll man deshalb auf dem Sofa sitzen bleiben?

Angst zu erzeugen, Menschen in ihrer Bewegungsfreiheit einzuschränken, gehört zur Strategie der Terroristen. Furcht oder Fernweh: Am Ende kommt es auf jeden selbst an, was bei der Wahl des Urlaubs überwiegt.

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