Soldaten der australischen Navy:Alleingelassen mit Tod und Verzweiflung

Soldaten der australischen Navy: Dieses Bild von Februar 2014 zeigt ein australisches Rettungsboot, das von der Navy zurück nach Indonesien geschleppt wurde. An Bord waren Behördenangaben zufolge 34 Flüchtlinge aus Iran, Bangladesch, Nepal und Pakistan.

Dieses Bild von Februar 2014 zeigt ein australisches Rettungsboot, das von der Navy zurück nach Indonesien geschleppt wurde. An Bord waren Behördenangaben zufolge 34 Flüchtlinge aus Iran, Bangladesch, Nepal und Pakistan.

(Foto: Timur Matahari/AFP)
  • Auch vor Australien ertrinken Flüchtlinge im Meer. Die australische Rundfunkanstalt ABC hat Angehörige der Royal Australian Navy zu ihren Erfahrungen befragt.
  • Die Soldaten berichten von schockierenden Erlebnissen und erzählen, wie sie trotz ihrer schweren psychischen Probleme von der Regierung im Stich gelassen worden seien.
  • Unter Premier Tony Abbott wird der harte Kurs fortgesetzt. Boote werden zur Umkehr bewogen oder die Flüchtlinge von der Navy zurückgeschleppt.

Von Martin Anetzberger

Auch die Retter werden zu Opfern in der weltweiten Flüchtlingstragödie. Nein, sie sterben nicht wie jene Menschen, die sich in Booten auf die Reise in ein hoffentlich besseres Leben begeben und dann zu Tausenden ertrinken, weil ihre oft maroden oder überfüllten Schiffe kentern oder gar sinken. Aber Seeleute, die den in Not geratetenen beizustehen versuchen, müssen enorme seelische Belastungen aushalten. Denn oft kommen sie zu spät. Dann können sie nur noch die toten Körper bergen. Die Seeleute sind - nach den Flüchtlingen selbst natürlich - am unmittelbarsten betroffen.

Welche grausamen Szenen sich manchmal auf hoher See abspielen, hat nun die australische Rundfunkanstalt ABC aufgedeckt: Sie führte Interviews mit Soldaten der Royal Australian Navy. Denn nicht nur in Europa, wo die Lampedusa-Katastrophe am 3. Oktober 2013 für Schlagzeilen sorgte, auch am anderen Ende der Welt sterben Menschen, die in Booten vor der Not und den Kriegen in ihren Heimatländern fliehen.

Posttraumatische Belastungsstörung nach 13 Jahren Einsatz

ABC zufolge dienten alle Befragten während der Labor-Regierungen von Kevin Rudd und Julia Gillard. Was sie erzählen, ist schockierend. Troy Norris etwa wurde wegen einer posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS) aus der Navy entlassen. Davor war er 13 Jahre im Einsatz. Er beschreibt, wie er aufgedunsene Leichen aus dem Wasser zog, bei denen sich das Fleisch schon von den Knochen löste. Er sagt, dass seine Vorgesetzten ihm trotz seiner psychischen Probleme nicht geholfen hätten. Der befehlshabende Offizier habe nicht einmal mit der Wimper gezuckt, obwohl er vor ihm stand und unkontrolliert geweint habe, sagt Norris.

"Man kann die Fäkalien von drei Tagen riechen"

Ein mittlerweile ebenfalls entlassener Soldat will anonym bleiben. Seine PTBS war so schlimm, dass er sogar einen Selbsttötungsversuch unternahm. Auch er fühlt sich von der Navy hängengelassen. Unter dem Decknamen Greg beschreibt er, wie es für ihn war, an Bord eines solchen Flüchtlingsbootes zu gehen. "Man kann die Fäkalien von drei Tagen riechen, man kann Erbrochenes riechen, Dieselöl, verrottendes Holz. (...) Da sind schreiende Kinder." Und da sei vor allem: Verzweiflung. Gelegentlich seien sogar bereits tote Menschen mit an Bord, eingequetscht zwischen den Lebenden.

Eine noch im Dienst stehende Kollegin erhebt schwere Vorwürfe gegen die Regierung in Canberra. Sie sagt unter dem falschen Namen Fiona, Kapitäne seien angehalten worden, Flüchtlinge nicht an Bord zu nehmen, solange sie noch nicht in australische Gewässer eingedrungen waren. In mindestens einem Fall sei aus diesem Grund ein Schiff untergegangen. Auch ein anderer noch aktiver Soldat ("Michael") sagt, dass Flüchtlinge auf dem Meer im Stich gelassen worden seien. Er beschreibt eine viele Kilometer lange Kette von Leichen im Wasser, etwa 13 Stunden nachdem ein Schiff gesunken war. Den Interviews zufolge waren australische Regierungen also maßgeblich mitverantwortlich für das Ertrinken von Flüchtlingen, die unmenschlichen Erfahrungen überließen sie ihren Soldaten.

Australien verfolgt seit Jahren einen harten Kurs

Australische Regierungen versuchen seit Jahren, die Ankunft illegaler Einwanderer zu stoppen. Harte Maßnahmen sollen die Menschen vor einer Seeflucht in Richtung Australien abschrecken. Einige Menschen kommen trotzdem, vor allem aus Afghanistan, Sri Lanka, Iran und aus dem Irak, und versuchen, die australische Weihnachtsinsel zu erreichen, die etwa 350 Kilometer südlich der indonesischen Insel Java liegt. 2013 gingen in Australien etwa 24 300 Asylanträge ein - zum Vergleich: in Deutschland waren es weit mehr als 100 000.

Seit dem 18. September 2013 ist der Konservative Tony Abbott in Canberra an der Macht. Auch seine Regierung verfolgt einen harten Kurs. Flüchtlingsboote werden von der Navy zum Umdrehen bewogen oder die Menschen an Bord australischer Rettungsboote gebracht und zurückgeschleppt, zum Beispiel nach Indonesien (siehe Bild). Menschenrechtsgruppen und die Vereinten Nationen kritisieren das Vorgehen scharf.

Auch in Europa stehen die Zeichen mehr und mehr auf Abschottung. Das italienische Seenotrettungsprogramm Mare Nostrum ist ausgelaufen. Die neue EU-Operation Triton hat ihren Schwerpunkt hingegen auf dem Grenzschutz, nicht auf der Rettung von Flüchtlingen (mehr dazu lesen Sie hier). Pro Asyl zufolge starben im Jahr 2014 bisher etwa 3300 Flüchtlinge - allein im Mittelmeer.

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