Snowdens mögliche Aussage in Deutschland:Wie sicher ist sicheres Geleit?

Lesezeit: 4 min

Demonstranten für Edward Snowden in Berlin im Juni. Kommt Snowden nach Deutschland? (Foto: dpa)

Aktuell sitzt Edward Snowden noch in Moskau fest. Aber: Das Recht erlaubt der deutschen Regierung die feste Zusage an den Whistleblower, ihn nicht an die USA auszuliefern. Wenn der Bundestag ihn vorlädt, müsste Snowden eine Aufenthaltserlaubnis erteilt werden.

Von Heribert Prantl

Wenn Edward Snowden in Deutschland aussagen soll, will und braucht er Schutz davor, dass er - auf der Basis eines US-Haftbefehls - verhaftet und an die USA ausgeliefert wird. Eine solche Zusicherung kann ein "Geleitbrief" geben, den die zuständigen Behörden ausstellen. Er gewährt, und zwar nicht nach Gutdünken, sondern auf der Basis geltender Paragrafen und Verträge, freies und sicheres Geleit - verbindlich, unverbrüchlich und rechtsfest. Zu den Abkommen, die das möglich machen, zählt der deutsch-amerikanische Auslieferungsvertrag, weil dort Ablehnungsgründe für die Auslieferung vorgesehen sind. Diese sind auf Snowden anwendbar.

Wie sicher ist sicheres Geleit? Wer so eine Frage stellt, denkt weit zurück - an das wohl berühmteste angeblich sichere Geleit, das je gewährt (aber dann gebrochen) worden ist. Das ist fast 600 Jahre her. Kaiser Sigismund hatte damals dem böhmischen Reformtheologen Jan Hus freies Geleit zum Konstanzer Konzil versprochen. Hus, Reformator der Kirche hundert Jahre vor Luther, reiste daraufhin am 11. Oktober 1414 aus Prag ab, in Begleitung von böhmischen Adeligen, die für seine Sicherheit bürgen sollten.

Aber dieser Schutz reichte nicht. In Konstanz kehrten sich die Machtinteressen gegen ihn, der Kaiser war zu schwach, um sein Wort zu halten - und Jan Hus wurde am 6. Juli 1415 auf dem Scheiterhaufen verbrannt. Die katholische Kirche (sie hat Hus mittlerweile rehabilitiert) enthob den Kaiser aller moralischen Skrupel, indem sie das Wort, das er einem Ketzer gegeben hatte, für unverbindlich erklärte. So begann die Geschichte der großen Glaubenskämpfe in Europa. Jan Hus steht bis heute für den Aufstand des Gewissens gegen die Macht.

Nachricht an Deutschland
:Snowdens Brief im Wortlaut

Von seinem Treffen mit dem Whistleblower Edward Snowden hat der Grünen-Politiker Hans-Christian Ströbele eine Nachricht an Deutschland mitgebracht. Der Brief in der Übersetzung.

Freies und sicheres Geleit - verbindlich, unverbrüchlich und rechtsfest? Was im 15. Jahrhundert (damals ging es um die Machtinteressen der katholischen Kirche) nicht funktionierte, sollte im Rechtsstaat des 21. Jahrhunderts (heute geht es um die Machtinteressen der USA) funktionieren - weil es klare Gesetze und unabhängige Gerichte gibt, und weil die öffentliche Gewalt an Recht und Gesetz gebunden ist. Also stellt sich die Frage, ob nach Recht und Gesetz ein freies und sicheres Geleit für Edward Snowden möglich ist, und ob Snowden so vor der Auslieferung an die USA geschützt werden kann. Die Beantwortung der Frage ist in ihren Einzelheiten, wie in der Juristerei so oft, nicht ganz einfach, das Ergebnis hingegen ist es schon. Es lautet: Ja!

Großer Ermessensspielraum

Wenn ein parlamentarischer Untersuchungsausschuss Snowden als Zeuge vorlädt, muss ihm der Bundesinnenminister einen Aufenthaltstitel nach Paragraf 22 Aufenthaltsgesetz ausstellen. Dieser lautet so: "Einem Ausländer kann für die Aufnahme aus dem Ausland aus völkerrechtlichen oder humanitären Gründen eine Aufenthaltserlaubnis erteilt werden. Eine Aufenthaltserlaubnis ist zu erteilen, wenn das Bundesministerium des Inneren zur Wahrung der politischen Interessen der Bundesrepublik Deutschland die Aufnahme erklärt hat."

Wenn es um die Beurteilung der politischen Interessen geht, hat der Bundesinnenminister grundsätzlich einen weiten Ermessensspielraum. Dieser Spielraum wird aber auf null reduziert, wenn ein Untersuchungsausschuss einen Zeugen aus dem Ausland laden will. Dann muss der Minister die Aufenthaltserlaubnis erteilen. Die rechtliche Literatur begründet das so: "Die Wahrung des Staatswohls ist nicht nur der Regierung, sondern auch dem Parlament anvertraut." Snowden kann also, wenn ihn der U-Ausschuss einlädt, nach Deutschland einreisen. Er hat Anspruch auf Erteilung der Aufenthaltserlaubnis.

Ist er aber in Deutschland vor dem US-Zugriff rechtlich geschützt? Die wissenschaftlichen Dienste des Bundestags haben das in zwei Ausarbeitungen geprüft. Die eine beschäftigt sich damit, ob es Gründe gibt, mit denen man ein US-Auslieferungsersuchen ablehnen kann. Antwort: Ja - weil es sich bei den Straftaten, die Snowden von den USA vorgeworfen werden, um Straftaten mit politischem Charakter handelt. Die zweite Ausarbeitung beschäftigt sich damit, ob und wie Zeugen vor einem Untersuchungsausschuss vor Verhaftung geschützt werden können. Antwort: Sie können geschützt werden. Die Begründung ist wiederum, weil ein Auslieferungsersuchen abgelehnt werden darf.

Das freie sichere Geleit ist sowohl im deutschen Strafprozessrecht (Paragraf 295) als auch im internationalen Rechtshilfeverkehr vorgesehen. Sowohl das EU-Rechtshilfe-Übereinkommen in Strafsachen als auch das Rechtshilfeabkommen zwischen Deutschland und den USA enthält solche Regelungen: Die Vorschrift der Strafprozessordnung hilft Snowden aber nicht viel - denn sie gilt nur für Haftbefehle eines deutschen Gerichts; sicheres Geleit nach Paragraf 295 gibt es nicht bei ausländischen Haftbefehlen.

Artikel 17 des EU-Abkommens

Vor dem Zugriff auf der Basis ausländischer Haftbefehle können Snowden aber die Artikel des Rechtshilfeabkommens in Strafsachen zwischen Deutschland und den USA schützen (veröffentlicht im Bundesgesetzblatt II 2007, S. 1618, 1620): Dort steht, dass eine Auslieferung nicht bewilligt wird, wenn die Straftat, deretwegen sie begehrt wird, vom ersuchten Staat (also von Deutschland) als politische Straftat oder als Straftat mit politischem Charakter angesehen wird. Die Vorwürfe, die Snowden von den USA gemacht werden, gehören dazu. Im Übrigen kann die Auslieferung auch abgelehnt werden, wenn es sich um militärische Straftaten handelt oder der Auslieferung die öffentliche Ordnung oder andere wesentliche deutsche Interessen entgegenstehen. Auf der Basis dieser Vertragsvereinbarungen ist die Ablehnung der Auslieferung Snowdens juristisch nicht schwer zu begründen. Streiten kann man sich allenfalls darüber, ob diese Auslieferungsablehnungsgründe auch bei der Vernehmung durch einen Untersuchungsausschuss oder nur bei Vernehmung durch die ordentliche Justiz gelten.

MeinungFreies Geleit für Snowden
:Ein Flüchtling, wie er im Buche steht

Es geht um das Schicksal eines Flüchtlings, den die Amerikaner verfolgen, als handele es sich um die Reinkarnation von Bin Laden. Snowdens Handeln mag in den USA strafbar sein; wirklich kriminell sind die Zustände und die Machenschaften, die er anprangert. Man muss ihm einen stabilen Aufenthaltstitel für Deutschland geben, auch wenn man dabei einen Konflikt mit den Amerikanern riskiert.

Ein Kommentar von Heribert Prantl

Der Anwendung dieses bilateralen Vertrags steht der zwischen der EU und den USA geschlossene Vertrag über Auslieferung nicht entgegen. Dieser Vertrag sieht eine Ablehnung der Auslieferung zwar nur bei drohender Todesstrafe vor. Auf der Basis dieses Vertrags könnte Snowden also ausgeliefert werden, wenn die USA zusichern, dass sie nicht die Todesstrafe verhängen. Nach Artikel 17 des EU-Abkommens mit den USA ist es jedoch möglich, dass Deutschland weitere Ablehnungsgründe geltend macht, die sich nicht aus dem EU-Vertrag, sondern aus dem deutsch-amerikanischen Vertrag ergeben.

Voilà: Dem Zeugen Snowden kann ein rechtlich stabiler Aufenthalt und der Abschiebungsschutz zugesichert werden. Ob die Behörden und Gerichte sich das trauen, ist eine andere Frage. Für die Aufenthaltserlaubnis ist das Innenministerium zuständig, für die Fragen der Abschiebung sind es Justiz und Bundesjustizministerium. Snowden kann natürlich, sobald er deutschen Boden betritt, Asyl beantragen. Ob ihm das gewährt wird, ist nicht so entscheidend - wichtig ist der zugesicherte Schutz vor Abschiebung, da Abschiebungsvorschriften stärker sein können als das Asyl.

© SZ vom 02.11.2013 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: