Skandinavien:Norwegen rückt nach Westen

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Schert da jemand aus? Deutschland steht beim Zwei-Prozent-Ziel der Nato eher schlecht da. Im Bild Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen mit ihren Kolleginnen aus Norwegen, Marie Eriksen Søreide, und den Niederlanden, Jeanine Hennis-Plasschaert (von links) sowie Nato-Chef Jens Stoltenberg. (Foto: Kay Nietfeld/dpa)

Oslo bricht mit alten Regeln und lässt US-Soldaten zum ersten Mal dauerhaft ins Land. Schuld sei das aggressive Auftreten Russlands.

Von Silke Bigalke, Stockholm

Es sind nur 330 US-Soldaten, doch in Norwegen sorgen sie bereits für Ärger, bevor sie angekommen sind. Im Januar sollen sie die Basis Værnes bei Trondheim beziehen. Kritiker sehen darin einen Bruch mit alten Regeln, die sich Norwegen zum eigenen Schutz selbst auferlegt hat.

Es war stets schwierig für das skandinavische Land: zu klein, um sich selbst zu verteidigen, mit einer Grenze zu Russland und Zugang zur strategisch wichtigen Arktis. Anders als seine Nachbarländer Schweden und Finnland trat Norwegen 1949 der Nato bei. Um die Sowjetunion zu beschwichtigen, schränkte es gleichzeitig seine Verteidigungspolitik durch einige Regeln ein. Eine davon lautet, dass keine ausländischen Truppen dauerhaft auf Stützpunkten in Norwegen stationiert sein dürfen, solange das Land nicht angegriffen wird. Später hat die Regierung sie so erweitert, dass gemeinsame militärische Übungen möglich wurden; sonst aber hat sie sich stets an die Regeln gehalten.

Von einer ausländischen Basis will die Regierung in Oslo deswegen auch jetzt nicht sprechen. Schließlich würden die US-Marines regelmäßig ausgetauscht, der Stützpunkt werde weiterhin von Norwegern geleitet. Über die Pläne war lange spekuliert worden, im September und Oktober hatten sich die Besuche hochrangiger US-Militärs gehäuft. Inzwischen hat sie die Regierung in Oslo bestätigt. Die 330 Marines kämen nach Trondheim, um mit norwegischen Truppen zu üben und die militärische Kooperation zu vertiefen, sagte Verteidigungsministerin Ine Eriksen Søreide. Sie musste sich die Frage gefallen lassen, ob es nun noch kälter werde zwischen Norwegen und Russland als in Zeiten des Kalten Krieges - in denen Norwegen die Stützpunkt-Regel stets eingehalten hatte.

Die Reaktion aus Moskau ließ nicht lange auf sich warten. "Wir verstehen nicht, warum man in Friedenszeiten eine solche Entscheidung trifft", sagte Maria Zakharova, Sprecherin des russischen Außenministeriums, dem norwegischen Sender NRK. Sie werde Russlands Verhältnis zu Norwegen "auf jeden Fall nicht besser machen". Die russisch-europäischen Beziehungen steckten in einer Sackgasse. Die Entscheidung Norwegens werde "die Krise nur schlimmer machen und vertiefen".

Solche Töne aus Moskau sind für die Norweger nichts Neues. Es habe Tradition in der russischen Politik, verschiedenste Formen von Nato- oder US-Präsenz in Norwegen zu kritisieren, sagt Katarzyna Zysk, Dozentin am Institut für Verteidigungsstudien in Oslo. Ausländische Truppen trainieren regelmäßig in Norwegen, die Übung Cold Response etwa findet seit 2006 fast jährlich statt. Im März trafen sich wieder 15 000 Soldaten aus 14 Ländern in Norwegen.

Die Amerikaner lagern zudem seit vielen Jahren militärische Ausrüstung in Norwegen. Erst 2014 seien diese Lager modernisiert und aufgefüllt worden, unter anderem mit Kampfpanzern, sagt Forscherin Zysk. Viele davon stehen in Höhlen und Tunneln im Bergmassiv rund um den Trondheimfjord, zwei weitere US-Lager gibt es auf den Luftwaffenstützpunkten Ørland und Værnes, wo die Soldaten nun untergebracht werden sollen.

Anders als die Verteidigungsministerin sieht Ståle Ulriksen vom Norwegischen Institut für Internationale Politik darin sehr wohl eine Änderung in der Stützpunkt-Politik. Sie spiegele "die verschlechterte strategische Situation Norwegens und die steigenden Spannungen in der Barentssee-Region wider". Dort hat Moskau seine Truppen verstärkt, setzt seine U-Boote öfter ein und hat mehrere Großübungen gestartet, "auch sogenannte Blitzübungen, Übungen ohne Vorwarnung", sagt Ståle Ulriksen. "Das hat das Gefühl der Unsicherheit in Norwegen verstärkt."

Norwegen habe versucht, die Kooperation mit Russland im Norden zu erhalten und gleichzeitig den Schutz durch die Nato zu verstärken, eine Balance zwischen Beschwichtigung und Abschreckung, sagt Forscherin Zysk. Nun lege man mehr Gewicht auf Abschreckung, "eine direkte Antwort auf Russlands aggressivere, immer stärker von sich selbst eingenommene Außenpolitik". Die Amerikaner ihrerseits wollten ihren "Fußabdruck" im gesamten Norden vergrößern. Zuletzt hatten auch Schweden und Finnland, beide keine Nato-Mitglieder, engeren Kontakt zu den USA gesucht.

© SZ vom 09.11.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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