Skandal um türkischen Premier:Erdoğan gibt abgehörte Gesprächsinhalte zu

Turkey's Prime Minister Erdogan addresses supporters during an election rally of his ruling AK Party

Der türkische Premierminister Erdoğan im Wahlkampf für seine Partei AKP.

(Foto: REUTERS)

Die Mitschnitte angeblicher Telefonate bringen den türkischen Premier Erdoğan immer mehr unter Druck. Jetzt räumt er ein, dass einige Gespräche tatsächlich so stattgefunden haben. In einem geht es um die Verurteilung eines unliebsamen Medienunternehmers.

Von Christiane Schlötzer

In einem Wald bei Ankara entsteht der neue Amtssitz des türkischen Premiers. Es gibt nur Luftbilder, der Zutritt zur Baustelle ist Journalisten nicht erlaubt. Das "türkische Pentagon" hat Hürriyet den Riesenbau schon getauft. Nun hat ein Verwaltungsgericht in Ankara das neue Prestigeprojekt von Premier Recep Tayyip Erdoğan gestoppt: wegen Verstoßes gegen Umweltvorschriften. Der Wald ist Schutzgebiet. Was der Regierungschef von solchen Richtersprüchen hält, ist klar: nichts. Er werde das neue Amt "eröffnen und auch darin sitzen", sagte Erdoğan am Mittwoch. Im April werde der Bau wie geplant fertig sein, hieß es in Regierungskreisen.

Einblicke in Erdoğans Verhältnis zur Justiz gibt auch der neueste Youtube-Hit der Türkei. Wieder sind abgehörte angebliche Telefonate aus dem Jahr 2013 im Internet aufgetaucht, diesmal zwischen Erdoğan und dem damaligen Justizminister Sadullah Ergin. Es geht darin um das Steuerstrafverfahren gegen den prominenten Medienunternehmer Aydin Doğan und mehrere Firmenvertreter. Ein Gericht hatte am 2. Juli 2013 einen Freispruch verkündet. Eine Stimme, die Erdoğan gehören soll, aber insistiert in dem Telefonat: "Sie sollen verurteilt werden." Die andere Stimme, angeblich der Justizminister, lamentiert darüber, dass der Richter ein Alevit sei, ein Angehöriger einer religiösen Minderheit, was offenbar Grund genug für Ergins Misstrauen ist. Ergin, seit 26. Dezember nicht mehr im Amt, nannte die Aufnahmen "manipuliert". Er nehme sie "nicht ernst".

Die Zeitung Hürriyet, die Teil der Doğan-Medien-Gruppe ist, druckte am Mittwoch eine Erklärung auf der Titelseite. Darin schreibt der Verlag: "Wir wollen nicht glauben, dass das wahr ist". Falls die Telefonate so stattgefunden hätten, handle es sich um einen "Eingriff in die Justiz".

Erdoğan geht trotzdem zuversichtlich in die Kommunalwahl

Inzwischen hat Erdoğan auf einer Pressekonferenz in Ankara überraschend zugegeben, dass die Telefonate mit Ergin im Wesentlichen so stattgefunden hätten. Nur an manchen Stellen gebe es "Montagen". Erdoğan sprach von einem "noch nie da gewesenen Skandal", dass über besonders gesicherte Apparate geführte Gespräche abgehört und veröffentlicht worden seien. Er verteidigte die Telefonate mit den Worten, es sei "natürlich" gewesen, dass er angeordnet habe, den Fall zu prüfen.

Fast jeden Tag taucht nun ein Erdoğan-Telefonat im Internet auf. Einmal spricht der Premier mit seinem Sohn Bilal über die Vorstandswahlen im Istanbuler Fußballklub Fenerbahçe. In einem anderen Gespräch fordert er einen Unternehmer auf, das Ergebnis einer Ausschreibung für den Bau von Kriegsschiffen anzufechten. Ein Telefonat, das Erdoğan nun auch nicht bestreiten wollte. Der Zuschlag für das 1,5 Milliarden Euro teure Projekt war zuvor schon an die Koç-Gruppe gefallen. Koç ist das größte Industriekonglomerat der Türkei. Die Firma ist in Ankara zuletzt in Ungnade gefallen, nachdem das Istanbuler Divan-Hotel, das auch Koç gehört, während der Gezi-Proteste seine Türen für verletzte Demonstranten öffnete. Der Vertrag zum Bau der Kriegsschiffe wurde danach annulliert. So wie es der Premier wünschte.

Den größten Wirbel machten bisher angebliche Gespräche zwischen Erdoğan und seinem Sohn Bilal. Der Premier fordert darin seinen Sohn auf, große Geldsummen aus dem Haus zu schaffen. Die Echtheit dieser Aufnahmen hatte Erdoğan sofort vehement bestritten, und dazu hat er sich bisher auch nicht wieder geäußert.

Mit jeder neuen Enthüllung aber wächst offensichtlich die Unruhe in der Regierungspartei AKP. Staatspräsident Abdullah Gül ordnete nun mehrere Untersuchungen an. Sie sollen das Ausmaß von Abhörmaßnahmen in der Türkei klären. Gül möchte zudem wissen, ob die gesetzlichen Grundlagen reichten, um Korruption zu bekämpfen, und welche Profite Gemeinden aus ihrem Baugrund schlagen.

Nicht nur der Präsident scheint besorgt. Vizepremier Bülent Arinç meinte zwar, er könne sich nicht vorstellen, dass Erdoğan korrupt sei. Arinç empörte sich aber in einem Interview mit CNN Türk darüber, dass Zafer Çağlayan, bis zum 26. Dezember Wirtschaftsminister, sich im Amt eine Uhr für 500 000 Euro schenken ließ. Dafür habe er keine Worte, meinte Arinç. Dies war zu viel der Kritik. Der Staatssender TRT schnitt die kritischsten Passagen bei der Wiedergabe des Interviews heraus.

Am 30. März finden in der Türkei Kommunalwahlen statt, Erdoğan gibt sich weiterhin sicher, dass seine Partei, wie auch Umfragen sagen, stärkste Kraft bleibt. Am Mittwochabend zitierte die staatliche Agentur Anadolu ihn mit den Worten, er scheide aus der Politik aus, wenn die AKP weniger als bei den letzten Kommunalwahlen erhalte. Damals waren es 38,8 Prozent. Bei der letzten Parlamentswahl 2011 erreichte sie 50 Prozent.

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