Skandal-Rede:"Wir haben das Volk belogen"

Wie eine deftige interne Ansprache von Ungarns Premier Gyurcsanys einen Proteststurm der Opposition entfachte, der schließlich in einem Gewaltausbruch mündete.

Kathrin Lauer

Ungarns Regierung steht vor einer schweren Glaubwürdigkeitskrise. Am Sonntagabend waren geheime Aufnahmen einer Rede von Ministerpräsident Ferenc Gyurcsany veröffentlicht worden, in der dieser bekennt, jahrelang das Volk belogen zu haben. Tausende Demonstranten der rechten Opposition verlangten daraufhin vor dem Budapester Parlament Gyurcsanys Rücktritt. Der Vorfall dürfte die ohnehin geringen Chancen von Gyurcsanys Sozialisten bei der landesweiten Kommunalwahl am 1. Oktober noch mehr schmälern. Einen Rücktritt lehnte Gyurcsany ab.

Das Skandal-Tonband dokumentiert eine Rede des Premiers in einer geschlossenen Fraktionssitzung der Sozialisten vom Mai dieses Jahres am Plattensee-Badeort Balatonöszöd. Gyurcsany wollte damals, kurz nach der Wiederwahl der sozial-liberalen Regierungskoalition, seine Genossen auf den bevorstehenden Sparkurs angesichts der katastrophalen Haushaltslage einschwören.

In der etwa halbstündigen temperamentvollen Rede ließ der Premier keinen der gängigen ungarischen Kraftausdrücke aus. "Es war sonnenklar, dass das, was wir sagen, nicht wahr ist", sagte er mit Bezug auf die falschen Angaben zum Haushaltsdefizit im Wahlkampf und darauf, dass man dem Volk die Sparpläne verschwiegen habe.

Dies sei notwendig gewesen, "um die Regierung aus der Scheiße zu ziehen", sagte demnach Gyurcsany. Die Ungarn konnten die Rede auch im Internet hören. Vor dem Parlament versammelten sich sofort Tausende Gyurcsany-Gegner und harrten dort die ganze Nacht aus.

In der internen Runde hatte Gyurcsany Klartext geredet: "Wir haben vier Jahre lang nichts gemacht. Nichts! (...) Ich kann keine Regierungsmaßnahme nennen, auf die wir stolz sein könnten." Und er drohte: "Wir haben keine andere Wahl, weil wir es verbockt haben: Reform oder Zusammenbruch".

Der 45-jährige Gyurcsany, ein reicher Geschäftsmann und Politikneuling, war erst anderthalb Jahre vor der jüngsten Wahl Premier geworden, nach dem Rücktritt seines glücklosen Vorgängers Peter Medgyessy. So kurz vor der Wahl hatte Gyurcsany aber keine schmerzhaften Reformen mehr anpacken wollen. Die "schwarze Suppe", wie die Ungarn die nun kommenden Einschnitte nennen, sollte dem Volk erst nach gewonnener Wahl vorgesetzt werden.

Reformbedarf kein Geheimnis

Das seit vier Jahren stetig anwachsende Haushaltsdefizit und der Reformbedarf war allerdings in Ungarn kein Geheimnis, zumal alle Medien laufend darüber berichteten. Klar war den meisten Ungarn auch, dass deshalb die Einführung des Euro auf unabsehbare Zeit verschoben werden muss. Dennoch wurde Gyurcsanys Koalition in diesem Frühjahr wiedergewählt. Die populistischen Versprechen der rechten Oppositionspartei FIDESZ hatten nicht gezogen.

In diesem Jahr wird ein Haushaltsdefizit von 10,1 Prozent des Bruttoinlandsprodukts erwartet. Kürlich hat Gyurcsany sein drastisches Haushaltssanierungspaket der EU vorlegt. Vorgesehen sind viele Steuererhöhungen und der Abbau von Subventionen.

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